Wettbewerb der Systeme – System des Wettbewerbs in der EU

War der europäische Bundesstaat noch das Leitbild Walter Hallsteins und anderer Gründerväter der europäischen Integration, gilt er heute nicht mehr als Option für die Zukunft der Europäischen Union. Das ist, entgegen gelegentlich geäußerter Kritik am vermeintlichen Ziel eines europäischen Superstaates, nicht erst seit der Lissabon-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts so. Das schließt es aber nicht aus, dass die EU als ein quasi-föderales Gebilde angesehen wird und etwa Vergleiche mit den USA herangezogen werden, wenn es um Modelle und Leibilder Europas geht. Ein solches Modell ist der Wettbewerbsföderalismus. Damit sind zunächst Formen des Standort- oder Regulierungswettbewerbs der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialordnungen gemeint, die ein wie auch immer verstandenes Gemeinwohlinteresse fördern sollen. Das weitgehend folgenlose Verpuffen der Lissabon-Strategie und der so genannten Offene Methode der Koordinierung mit ihren durch „benchmarks“ und Evaluierungen gesetzten Anreizen scheint zu belegen, dass es nicht möglich ist, einen solchen Wettbewerb durch politische Strategien zentral zu lancieren. Doch treten infolge der Konkurrenz zwischen den Staaten und ihren Wirtschafts- und Sozialordnungen Effekte ein, die durch das europäische Recht, oft in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof, begünstigt und als Überbietungs- oder Unterbietungswettbewerb um bessere Wachstumschancen gedeutet werden. Beispiele bieten die Förderung von Investitionen durch Steuervergünstigungen und große Gefälle bei Tarifen und Standards auf den Arbeitsmärkten.

Die Beiträge des Kolloquiums beschäftigen sich mit diesen Themen und wenden sich dem Steuerwettbewerb, dem Wettbewerb der Gesellschafts-/Privatrechtsordnungen und den Befürchtungen eines race to the bottom im Arbeitsrecht zu. Auch das erst kürzlich beobachtete Phänomen der unterschiedlichen Freizügigkeitsrechte für Migranten gehört in diesen Zusammenhang. Am Ende können Schlussfolgerungen darüber stehen, ob der Wettbewerb der Systeme für Europa ein taugliches normatives Leitbild oder zumindest eine brauchbare Zustandsbeschreibung bietet, oder ob es sich nicht vielmehr um Folgen einer freiheitsbasierten Integration handelt, die durch gemeinsame europäische Rechtsetzung eingefangen werden müssten.