Die Frankfurter jüdische Gemeinde in der Frühen Neuzeit: Autonomie und Selbstverwaltung zwischen christlicher Stadtobrigkeit und Kaiser

Promotionsprojekt: Rahel Blum, M.A.

Das Promotionsprojekt untersucht die Entwicklung jüdischer Selbstorganisation und jüdischen Selbstverständnisses im Diskurs mit der beginnenden Moderne und im Spannungsfeld zwischen Absolutismus, Aufklärung, dem Ende des Alten Reichs und den Vorboten der Emanzipation am Beispiel der Frankfurter Gemeinde zwischen 1628 und 1806.  

Ab dem späten 16. Jahrhundert entwickelte sich die Frankfurter Judenschaft zu einer der größten und bedeutendsten Gemeinden im deutsch­sprachigen Raum - insbesondere da sie im Gegensatz zu den meisten Reichsstadtgemeinden in der Zeit des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit keine Vertreibung erfahren musste. Die Geschichte der Gemeinde war dabei stets eng mit der Frankfurter Stadtgeschichte verknüpft. Dies zeigte sich im 17. und 18. Jahrhundert neben zahlreichen Kontakten im Alltag auch durch die Übernahme administrativer Strukturen, die Herausbildung einer Frankfurter jüdischen Tradition sowie eines starken lokalen Selbstbewusstsein, welches seinen Ausdruck fand in der Selbstrepräsentation der Gemeinde gegenüber Magistrat, Kaiser und Aschkenaz.  

Trotz der herausragenden Position der Frankfurter Judenschaft, sowohl gemäß ihrer Größe, als auch ihres religiösen Einflusses im auf das aschkenasische Judentum blieb die Forschung zu den Frankfurter Juden hinter der Bedeutung dieser Gemeinde zurück. So hat beispielsweise Isidor Kracauers im Jahr 1925 veröffentlichte Geschichte der Frankfurter Juden bis heute keine entsprechende Überarbeitung erfahren.

Auch eine vergleichende Darstellung der strukturellen Entwicklung der Gemeinde aus jüdischen und obrigkeitlichen Quellen vom frühen 17. Jahrhundert bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit blieb aus, ebenso ist die Divergenz zwischen der Vielfalt innerjüdischer Organisation und dem tatsächlichen Wissen des Magistrats hierüber noch nicht aufgearbeitet worden. Des Weiteren wurden Diskussionen um die Einflüsse von Aufklärung und Emanzipationsgedanken auf die Frankfurter Gemeinde im späten 18. Jahrhundert und die Reaktionen des Gemeindevorstands hierauf nur ansatzweise geführt und daneben die Frage nach dem Selbstverständnis der Frankfurter Juden als Kollektiv in der Frühen Neuzeit bisher nicht explizit aufgearbeitet. Auch die Frage nach der Selbstrepräsentation der Frankfurter Juden gegenüber der Obrigkeit in Verbindung mit der Entwicklung einer jüdischer (Gruppen-) Identität stellt ein Novum in der Forschungsgeschichte zur Frankfurter Gemeinde dar.

Das Dissertationsprojekt soll sich den genannten Forschungsdesideraten annehmen und dabei zunächst die kontinuierliche Weiterentwicklung der Frankfurter Gemeindeorganisation veranschaulichen. Diese Entwicklung beinhaltete eine zunehmende Ausdifferenzierung der internen administrativen Strukturen und der Ämtervielfalt.

Das Projekt folgt dabei der These, dass die Entwicklungen der Gemeindestrukturen im reichsstädtischen Kontext und das Selbstverständnis der Frankfurter Juden sich gegenseitig beeinflussten. Am Beispiel Frankfurts soll dabei aufgezeigt werden, dass, entgegen allgemeinen Annahmen für die Frühe Neuzeit, Veränderungen innerhalb der jüdischen administrativen Strukturen nur in einem bestimmten Maße auf initiative obrigkeitliche Eingriffe zurückzuführen sind. Vielmehr erforderten wohl innerjüdische Konflikte die obrigkeitliche Intervention, wie schon Selma Stern für Preußen (Der preussische Staat und die Juden) zeigte und dass die Gemeinde selbst, wie in diesem Projekt gezeigt werden soll, das Vorbild der städtischen Strukturen für die eigene interne Verwaltung zunehmend adaptierte.

Bezüglich der Selbstrepräsentation und des Selbstverständnisses der Frankfurter Gemeinde plädiert dieses Projekt für die Verwendung eines Konzeptes von opportunistischer Situational identity aus den Migration Studies, um die wechselnde kollektive Selbstrepräsentation der Gemeinde gegenüber der doppelten Obrigkeit, Kaiser und Magistrat, zu erklären.

Das Dissertationsvorhaben stützt sich dabei methodisch auf die Analyse und Gegenüberstellung einschlägiger jüdischer und obrigkeitlicher Dokumentation aus dem Untersuchungszeitraum. Dabei ist besonders der Pinkas Kahal, das Protokollbuch des Frankfurter Gemeindevorstands, von Bedeutung. Während der Pinkas jedoch häufig eine Idealvorstellung des Gemeindelebens propagiert, muss diese Perspektive vergleichend den realen Konflikten und Streitigkeiten der Gemeinde entgegengestellt werden, welche v.a. in der obrigkeitlichen Dokumentation in Frankfurt und Wien erhalten geblieben ist.

Das Dissertationsprojekt verortet Veränderungen, internen Diskurse und Strukturen der Frankfurter Gemeinde unmittelbar in ihrer Beziehung zur Frankfurter Stadtgeschichte und der Entwicklung der reichsstädtischen administrativen Strukturen. Es versteht sich als Beitrag zur Erforschung der Frankfurter Stadtgeschichte mit Fokus auf die Geschichte einer reichsstädtischen Minderheit und wurde im Dezember 2016 von der Historischen Kommission der Stadt Frankfurt mit dem Johann-Philipp-von-Bethmann-Studienpreis ausgezeichnet.

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