Hölderlin-Gastprofessur

Dramaturgien der Überwachung: Edward Snowden, der Sicherheitsstaat und das Theater

17./18. Juli 2015, Campus Westend Goethe-Universität und Künstlerhaus Mousonturm

Dem Thema des Symposiums liegt die Einsicht zugrunde, dass sich die lange Geschichte der sicherheits- und machtpolitisch motivierten Überwachung stets auch in Theater und Drama niedergeschlagen hat (von Shakespeares Hamlet zu Schillers Don Karlos zu Brechts Leben des Galileo). Man könnte umgekehrt allerdings auch formulieren, dass traditionelle Formen der Überwachung insofern selbst als theatral gelten können, als sie Zuschauerschaft implizieren und die überwachten Subjekte, häufig ohne deren Wissen, als Performer behandeln. Was neu ist an den von Edward Snowden aufgedeckten Praktiken der amerikanischen National Security Agency (NSA) ist nicht der zugrundeliegende Impuls zur totalen Überwachung jeglicher Kommunikation sondern die historisch erstmalige technische Umsetzbarkeit dieses Impulses, zumindest im Hinblick auf globale digitale Kommunikation. Zu fragen wäre nicht nur, welche Folgen das von der NSA repräsentierte gegenwärtige Überwachungsdispositiv langfristig für den öffentlichen Raum, die politische Gewaltenteilung, und internationale Beziehungen einerseits, sowie für die Privatsphäre, die Ausübung freier Meinungsäußerung, und die Verfasstheit des Subjekts selbst andererseits haben wird, sondern auch, wie Theater und Performance diese Entwicklungen nicht nur in den Blick bekommen sondern sich ihnen gegenüber auch kritisch positionieren können. Dies ist angesichts der Pariser Anschläge vom 7. Januar dieses Jahres noch von zusätzlicher Dringlichkeit.

      

VERANSTALTUNGSPROGRAMM

Freitag, 17. Juli 2015       Dramaturgien der Überwachung in Theater und Performance

 

Campus Westend (Norbert-Wollheim-Platz 1, Raum 1.411)

 

 

 

10.00 Uhr

Eröffnung

Markus Wessendorf

10.30 Uhr

Panel 1

Vorträge von studentischen Teilnehmern des Seminars zu „Theatre and Performance ‚Post-9/11’: From the ‚War on Terror’ to Edward Snowden and the NSA“ (Moderation: Markus Wessendorf)

11.30 Uhr

Kaffeepause

 

12.00 Uhr

Panel 2

Vorträge von studentischen Teilnehmern des Seminars zu „Theatre and Performance ‚Post-9/11’: From the ‚War on Terror’ to Edward Snowden and the NSA“ (Moderation: Markus Wessendorf)

13.00 Uhr

Mittagessen

 

 

Künstlerhaus Mousonturm (Waldschmidtstraße 4)

 

 

15.00 Uhr

Vortrag 1

James Harding (School of Theatre, Dance and Performance Studies, University of Maryland): "Of Sheep, Shepherds and Surveillance: DeFrocking the Cultures of Surveillance." (Einführung: Markus Wessendorf)

Dieser Vortrag untersucht die westlichen, jüdisch-christlichen Traditionen, die nicht nur der Expansion der Überwachungsgesellschaft, sondern, ironischerweise, auch entscheidenden Standpunkten der Überwachungswissenschaft als Fachdisziplin Legitimität und Autorität verleihen. Der Vortrag plädiert dafür, die kritische Auseinandersetzung mit der Überwachung von diesen Traditionen klar zu trennen und argumentiert, dass die Grundlagen für eine substantielle Kritik der Bedrohung, die von der zunehmenden Vormachtstellung der Überwachungstechnologien ausgeht, erst durch eine solche Trennung geschaffen werden. (Dieser Vortrag ist auf Englisch.)

16.00 Uhr

Kaffeepause

 

16.30 Uhr

Aufführung

Studentische „Devised Theatre“-Projekte zum Thema „Überwachung“ (Einführung: Markus Wessendorf)

18.00 Uhr

Abendessen

 

20.00 Uhr

Aufführung

Ich bereue nichts

Ein NSA-Projekt von Jan-Christoph Gockel, Thomas Halle & Konstantin Küspert (Staatstheater Karlsruhe)

         

Samstag, 18. Juli 2015   Grundrechte und Überwachungsstaat

Künstlerhaus Mousonturm (Waldschmidtstraße 4)

 

 

 

9.00 Uhr

Dialog

Daniel Wetzel (Rimini Protokoll), Konstantin Küspert (Dramaturg, Ich bereue nichts), Jan Christoph Gockel (Regisseur, Ich bereue nichts), und studentische Teilnehmer an den „Devised Theatre“-Projekten: „Werkstattgespräch zu szenischen Arbeiten über Stasi, NSA und Edward Snowden“ (Moderation: Nikolaus Müller-Schöll)

10.30 Uhr

Kaffeepause

 

11.00 Uhr

Vortrag 2

Antonia Birnbaum (Département de philosophie, l’Université de Paris 8): „In & Out“ (Einführung: Nikolaus Müller-Schöll)

Die Attentate auf die Journalisten von Charlie-Hebdo und auf den jüdischen Supermarkt werden in Frankreich als Ereignis oder Wendepunkt stilisiert. Sieht man auf die Folgen, so scheint es sich eher um eine gravierende Weiterführung einer bestimmten Politik zu handeln. Die Ablehnung der Attentate wurde unmittelbar in einen Konsens über die vermeintlich herrschende Presse- und Meinungsfreiheit umgebogen. Dies führte zu einer Demonstration, auf der sowohl „Je suis Charlie“ wie „J’aime la police“ gerufen wurde. Der mit dieser Freiheit verknüpfte Laïzismus ist inzwischen nicht mehr eine Trennung von Staat und Religion, er wird dem Individuum aufgebürdet als Konformitätszwang mit den “freiheitlichen“ Werten und ihrem „Verteidiger“: dem Staat. Im folgenden möchte ich nochmals Foucaults Analyse der Räumlichkeit aufgreifen, die die Vernunft von ihren Rändern aus zu verstehen versucht, also von den Elementen aus, welche die Vernunft aus sich selbst ausgeschlossen hat, um sie in ein Außen zu überführen. Anhand dieser Analyse möchte ich fragen, welches Außen diese aktuelle Verteidigung der Werte produziert.

12.00 Uhr

Mittagessen

 

13.00 Uhr

Vortrag 3

Gerhart Baum (Bundesminister des Innern a. D., Rechtsanwalt, Autor): „Weltüberwachungsstaat und Überwachungskapitalismus—Wie bewahren wir die Menschenwürde gegenüber den Gefahren des Internets?“ (Einführung: Thorsten Thiel)

Es ist keine offene Frage, was der 11. September bewirkt hat. Wir sind auf dem Weg in einen Weltüberwachungsstaat. Viele der vor allem von den Vereinigten Staaten eingeleiteten Maßnahmen leisten keinen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung des Terrorismus, sondern beschädigen unsere Grundrechte und Werte, ohne dass wir die langfristigen Folgen überblicken. Es muss weltweit ein Weg gefunden werden, die großen Vorteile des digitalen Zeitalters zu nutzen, ohne die freiheitliche Substanz unserer Gesellschaft zu gefährden. Europa kommt bei der Gestaltung eines neuen internationalen Gesellschaftsvertrages besondere Verantwortung zu.

14.00 Uhr

Panel

Abschlussdiskussion

         

Leitung: Prof. Dr. Markus Wessendorf, Friedrich-Hölderlin-Gastprofessor für Allgemeine und Vergleichende Dramaturgie (Sommersemester 2015), Goethe-Universität.

Eine Kooperation der Theaterwissenschaft am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Goethe-Universität mit dem Künstlerhaus Mousonturm und dem Staatstheater Karlsruhe.

Gefördert vom DAAD aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sowie durch das International Office der Goethe-Universität, die Hessische Theaterakademie und das Staatstheater Karlsruhe.