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Bedeutung der L1 (Türkisch) und L2 (Deutsch) für die Entwicklung kommunikativer Kompetenz in der L3 (Englisch) bei mehrsprachigen Schülerinnen und Schülern

Aus Ergebnissen internationaler Vergleichsstudien ist einerseits bekannt, dass mehrsprachige Schüler*innen deutlich schlechter als ihre einsprachigen Mitschüler*innen in zentralen Maßen der schulischen Leistung abschneiden und schlechtere Prognosen für eine erfolgreiche Schullaufbahn erhalten. Andererseits scheinen bilinguale Kinder im Drittspracherwerb unter Berücksichtigung des sozio-ökonomischen Hintergrunds leichte Vorteile aufzuweisen. Es besteht allerdings Forschungsbedarf hinsichtlich der Gründe für einen (positiven) Zusammenhang zwischen dem Drittspracherwerb und der Zweisprachigkeit. Ausgehend von heterogenen Befunden zur Nutzung der Erst- und Zweitsprache bei der Bedeutungskonstruktion in der Drittsprache in unterschiedlichen Lernkontexten ist es Forschungsanliegen des Projekts, das Ausmaß der Bedeutungsaushandlung im Englischen in kooperativen Lernsettings bei Kindern mit türkischem Migrationshintergrund zu untersuchen, indem die Salienz zur Nutzung der Erst- bzw. Zweitsprache durch Aufgabenmaterial und Partnerkonstellationen experimentell variiert wird.

Ziele und Fragestellungen


In diesem Projekt soll die Bedeutung der Erst- und Zweitsprache für die Entwicklung kommunikativer Kompetenz in einer Fremdsprache (Englisch) bei bilingualen (deutsch-türkischen) Grundschulkindern während der Bearbeitung einer textbezogenen Aufgabe in koope­rativen Lernsettings untersucht werden. Dabei wird angenommen, dass Lernende ihr kontextuelles und sprachliches Vorwissen nutzen, um fremde Texte zu erschließen und darüber mit ihren Lernpartner*innen kommunizieren. Wir werden untersuchen, ob der Rückgriff auf die Erst- bzw. Zweitsprache bei der Bedeutungsaushandlung auf Wort- und Satzebene und damit für die Entwicklung von kommunikativer Kompetenz in der englischen Sprache nützlich sein kann. Dabei gehen wir davon aus, dass eine produktive Auseinander­setzung mit Lernmaterialien insbesondere in kooperativen Lernsettings stattfindet, welche eine sprachliche und metasprachliche Bedeutungsaushandlung zwischen Lernenden in der Fremd­sprache ermöglichen.

Zentrale Forschungsfragen des Projekts sind:

  1. Welchen Effekt haben kooperative Lernsettings mit unterschiedlicher Salienz zur Nutzung erst- und zweitsprachlicher Ressourcen für die Entwicklung ausgewählter Bereiche der kommunikativen Kompetenz im Englischen bei zweisprachigen Schüler*innen der Grundschule?
  2. Welchen Effekt haben kooperative Lernsettings mit unterschiedlicher Salienz der Nutzung erst- und zweitsprachlicher Ressourcen in Bezug auf die Häufigkeit der Aushandlung von formbezogenen Aspekten und inhaltsbezogenen Aspekten im Diskurs?
  3. Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Ausmaß an Bedeutungsaushandlung in der Fremdsprache Englisch und den outcome-orientierten Merkmalen der kommunikativen Kompetenz?
  4. Welche Funktionen nimmt die Nutzung der Erst- und Zweitsprache in den unterschiedlichen Lernsettings ein? Lässt sich ein Zusammenhang zwischen der Nutzung der erst- und zweitsprachlichen Aufgabenangeboten und der Aushandlung von Form- und Wortschatzbedeutungen im Diskurs feststellen?

Die Ergebnisse der Studie geben Aufschluss über die Bedeu­tung der sprachlicher Ressourcen von zweisprachigen Lernern im Kontext der Drittsprachen­aneig­nung; sie bieten zudem didaktische Impli­ka­tio­nen zur Nutzung von ein- und mehrsprachigem Unterrichtsmaterial in kommunikativen Aufgabenkontexten des Fremdsprachen­unterrichts der Grundschule.

Forschungsdesign und Untersuchungsmethoden


In einem experimentellen Design werden unterschiedliche Lernsettings variiert; die Interaktion der Sprachpartner wird videographiert und im Hinblick auf zentrale Elemente des Diskurses sowie der Bedeutungsaushandlung analysiert.

Konkret wird in kontrollierten Vergleichen sowohl der Faktor Sprache in Aufgabenmaterial und der Faktor Erstsprache der Interaktionspartner*innen variiert werden, um Aufschluss über die unterschiedliche Auswirkung der Lernsettings für die  Bedeutungskonstruktion der Paare im Englischen zu geben. Wir gehen davon aus, dass die aktive Nutzung der Erst- und Zweitsprache mit einer besseren kontextuellen Einbettung von neuen Sprachinhalten auf lexikalischer bzw. semantischer Ebene verbunden ist. Vergleichend werden die Effekte bei einsprachig deutschen Lernerenden erhoben, um die Rolle der Erstsprache bei zweisprachigen Lernerende von der Erstsprache bei einsprachigen Lernerenden abgrenzen zu können. In den abhängigen Variablen fokussieren wir die für kommunikative Kompetenz zentralen Aspekte des Wortschatzes und der formfokussierten Inhalte, welche einerseits durch Videoanalysen der gemeinsamen Bearbeitung des Aufgabenmaterials durch beide Interaktionspartner*innen untersucht werden wird, andererseits als individuelle Prä-Posttestvergleiche zur Bestimmung der Effekte der unterschiedlichen Aufgabenbearbeitung eingesetzt werden.

Forschungsfragen 1 und 2 werden durch multivariate varianzanalytische Verfahren mit Messwiederholung bzw. Kovariaten überprüft, um die Haupt- und Interaktionseffekte der verwendeten experimentellen Faktoren auf die jeweiligen abhängigen Variablen zu bestimmen. Für Forschungsfrage 3 wird ein regressionsanalytisches Vorgehen vorgeschlagen, welches die Maße der Wortschatzentwicklung  bzw. grammatikalischer Entwicklung (Differenz aus Prä- und Posttest für jedes Paar) als abhängige Variablen mit den Prädiktoren des Ausmaß an Bedeutungsaushandlung bei der Bearbeitung der Lernaufgaben, der Verwendung der Erstsprache sowie den Kontrollvariablen aus der Prätestung verbindet. Forschungsfrage 4 soll durch detaillierte Analysen der Interaktionen bei einer Intensivstichprobe von N = 30 Paaren (5 je Versuchsbedingung) untersucht werden, wobei die Paare anhand der Prätestwerte ausgewählt und vergleichbare sprachliche Kompetenzen in Erstsprache und Fremdsprache Englisch aufweisen sollten. Dieselbe Intensivstichprobe wird zur Entwicklung der hochinferenten Ratingsskalen zur Bedeutungsaushandlung herangezogen, so dass Kodierungen der Interaktionen nach dem Kodiersystem von Hardy & Moore (2004) für weitergehende Analysen verwendet werden können, welche die Verbindung von form- und bedeutungsfokussierten Aushandlungen mit der Verwendung der Erstsprache beschreiben.