Stadt im neoliberalen Zeitalter

Von der DFG gefördert untersuchen am Institut für Humangeographie vier Einzelprojekte sowie drei weitere assoziierte Projekte seit 2010 Dynamiken und Effekte der Neuordnungen des Städtischen im neoliberalen Zeitalter anhand unterschiedlicher stadtpolitischer Felder: Kreativitäts- und Diversity-Ansätze, Kulturpolitik, Migrationspolitik, Sicherheitspolitik, Wirtschaftspolitik, städtischer Verwaltungsarbeit sowie dem lokalen Wohlfahrtstaat.


 

Projektteam: Prof. Dr. Susanne Heeg & Prof. Dr. Robert Pütz
Laufzeit: 2010 – 2013
Finanzierung: DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft)

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Regieren der Wohnungslodigkeit

DFG-Forschungsprojekt
Leitung: Robert Pütz, Nadine Marquardt 
Bearbeitung: Nadine Marquardt
Förderung: DFG
Dauer: 2010-2013
Projektbeschreibung:

Das Forschungsprojekt Regieren der Wohnungslosigkeit ist Teil des interdisziplinären Forschungsprogramms Neuordnungen des Städtischen im neoliberalen Zeitalter, in dem die Prozesse der Herstellung und Durchsetzung neuer stadtpolitischer Strategien und Programme im Spannungsfeld global aufgegriffener Impulse und lokaler Transformationsleistungen untersucht werden.
Regieren der Wohnungslosigkeit heißt: Wohnungslosigkeit als politisches Problem konstituieren und Maßnahmen zu dessen Bearbeitung vornehmen. Die Untersuchung zielt darauf ab, herauszuarbeiten, welche Kontinuitäten und Verschiebungen sich in den gegenwärtigen, vermeintlich neoliberalen Gouvernementalitäten der Wohnungslosigkeit finden lassen. Über Fallstudien in den Städten Frankfurt am Main und Berlin zeichnet das Projekt nach, wie sich das Regieren von Wohnungslosigkeit in einem komplexen Kraftfeld von veränderten stadtentwicklungspolitschen Dynamiken, neueren Sozialreformen und lokal gewachsenen Kräfteverhältnissen konkret vollzieht.
In der angloamerikanischen Stadtforschung ist Wohnungslosigkeit bereits seit den 1990er Jahren ein prominenter Forschungsgegenstand. Zum einen werden Wohnungslose hier herangezogen, um die Verdrängung marginalisierter Gruppen aus den öffentlichen Räumen der Innenstädte beispielhaft zu illustrieren und zu skandalisieren. Zum anderen werden die alltäglichen Raumaneignungen städtischer Räume durch Wohnungslose und der auf sie ausgerichteten sozialen Einrichtungen analysiert. Beide Forschungsrichtungen fokussieren vor allem auf die Straßenobdachlosigkeit als sichtbarste Ausprägung des Phänomens Wohnungslosigkeit.
Die Analytik der Gouvernementalität der Wohnungslosigkeit bewegt sich jenseits dieser etablierten Forschungsperspektiven. Entwickelt wird ein Zugriff, der nicht so sehr die marginalisierte Gruppe der Wohnungslosen selbst zum Thema macht, sondern vielmehr das komplexe Netz der Regierungsweisen von Wohnungslosigkeit, das sowohl repressive und fürsorgliche Sozialpolitiken als auch die Selbsttechniken der Wohnungslosen umfasst, in den Mittelpunkt rückt. Das Forschungsprojekt gliedert sich in drei verbundene Teilschwerpunkte:
(1) Um die Verschiebungen in der politischen Bearbeitung von Wohnungslosigkeit zu verstehen und identifizieren zu können, rekonstruiert das Projekt aus genealogischer Perspektive, wie Wohnungslosigkeit in das Blickfeld des Staates geriet und innerhalb des staatlichen Territoriums verortet, festgesetzt und verfolgbar gemacht wurde. Die historisch verschiedenen Problematisierungen und „Verortungen“ der Wohnungslosigkeit werden dabei als unterschiedliche Artikulationen der „sozialen Frage“ verstanden.
(2) Die lokalen Effekte des Zusammenwirkens aktueller Stadtentwicklungsdynamiken, innerstädtischer Aufwertungsprozesse und einer neoliberal restrukturierten städtischen Sozialpolitik untersucht das Projekt in einem zweiten Schwerpunkt, der Wohnungslosigkeit als Gegenstand der Regulation durch das Hilfesystem auf (sub)kommunaler Ebene in den Blick nimmt. Neoliberale Sozialpolitik wird hier sichtbar als abgestuftes, differenziertes Netz von staatlichen und humanitären Hilfs-, Aktivierungs- und Normalisierungsmaßnahmen.
(3) Strategien des Sichtbar- oder Unsichtbarmachens von Wohnungslosigkeit und der auf sie ausgerichteten Hilfesysteme im städtischen Raum bilden einen dritten Schwerpunkt. Welche Architekturen, welches Design kommt zum Einsatz, um Nutzungsweisen des städtischen Raums zu steuern? Wie vollzieht sich Raumaneignung in Einrichtungen der sozialen Wohnhilfe, welche gestalterischen Mittel kommen hier zum Einsatz? Analytischen Zugang zu diesen Forschungsschwerpunkten ermöglichen vor allem epistemische Dinge (historische Wanderkarten und Ausweissysteme, Wohnfähigkeitsgutachten, Wohnungslosigkeitsstatistiken) als auch soziotechnische Artefakte wie etwa Architekturen und Designs, die Wohnungslosigkeit auf verschiedene Weise intelligibel, kontrollierbar, und damit auch sichtbar oder unsichtbar machen sollen und daher operative Bestandteile des Regierens der Wohnungslosigkeit darstellen.


  • Organisationslogiken grenzüberschreitender Immobilienmärkte: Akteurskonstellationen und Geographien am Beispiel des Büromarktes von Warschau (DFG, 2010-2012)

Die Intersektionalität von Geschlecht, Klasse und Ethnizität in der quartiersbezogenen Sozialpolitik. Das „Stadtteilmütter“-Projekt in Berlin-Neukölln.

Forschungsprojekt
Leitung & Bearbeitung:
Nadine Marquardt & Verena Schreiber
Förderung: Förderprogramm „Frauen- und Genderforschung“ der Goethe-Universität Frankfurt, Freunde und Förderer der Universität
Dauer: 2011
Projektbeschreibung:

Das Forschungsprojekt schließt konzeptionell an den Forschungsschwerpunkt des Instituts für Humangeographie zu neoliberaler Stadtentwicklung an und untersucht die geschlechterbezogenen Wirkungen quartiersbezogener Integrationspolitiken am Beispiel des „Stadtteilmütter-Projekts“ in Berlin-Neukölln. Anleitende Fragestellung ist, wie neue quartiersorientierte Programme nicht etwa nur mit gegebenen geschlechtlichen und ethnisch-kulturellen Identitäten umgehen und diese für die Stadtteilarbeit aktivieren, sondern wie geschlechtlich-kulturelle Differenz durch die quartiersorientierten Programme überhaupt erst produziert und gleichzeitig zur Grundlage wie auch zum Problem von „Integration“ erklärt wird. Empirisch fokussiert die Forschungsarbeit auf das „Stadtteilmütter“-Projekt in Berlin-Neukölln, um die Politisierung von Identitäten und die (Re)Produktion geschlechtlich-kultureller Differenz als zentralen Effekt sozial-integrativer und kriminalpräventiver Programme auf Quartiersebene nachzuzeichnen. Theoretisch-konzeptionell greift die Forschungsarbeit auf Ansätze zurück, die unter dem Begriff der „Intersektionalität“ zusammengefasst werden. Der im Konzept der „Intersektionalität“ integrierte Blick auf Überschneidungen der gesellschaftlichen Konstruktionen Geschlecht, Klasse und Ethnizität ist aus sozialgeographischer Perspektive interessant, da Wirkmechanismen gesellschaftspolitischer Ungleichheit immer an konkreten Orten produziert werden und auch den so erzeugten Identitäten immer bestimmte gesellschaftliche Räume zugewiesen werden. Weder sind die auf der Hand liegenden sozialräumlichen Dimensionen des Intersektionalitätskonzepts in der deutschsprachigen Sozialgeographie bislang theoretisch durchdrungen, noch ist die analytische Verknüpfung der axialen Prinzipien Geschlecht, Klasse und Ethnizität mit der Kategorie Raum empirisch fruchtbar gemacht worden. Gerade aufgrund der aktuell dominanten Thematisierung eines vermeintlichen „Integrationsproblems“ der migrantischen Bevölkerung in den innerstädtischen Quartieren deutscher Großstädte ist diese Leerstelle kritischer Auseinandersetzung in der sozialgeographischen Stadtforschung problematisch. Das angestrebte Projekt soll einen Beitrag zur Schließung der Forschungslücke beitragen.


Sicherheitsorientierte Governance-Formen in Wohnquartieren

Forschungsprojekt (abgeschlossen)
Leitung: Georg Glasze, Robert Pütz
Bearbeitung: Henning Füller, Nadine Marquardt 
Förderung: DFG
Dauer: 2006-2009
Kurzbeschreibung: Das Projekt untersucht im Rahmen einer internationalen Vergleichsstudie (USA, Deutschland) national/institutionell gebundene Diskurse über „Sicherheit und Wohnen“, in denen ausgehandelt wird, wie (Stadt-)Räume und (Wohn-)Orte gelesen und interpretiert werden.
Projektbeschreibung:
Ausgehend von aktuellen Prozessen der Stadtentwicklung, namentlich dem Bedeutungsgewinn hochpreisigen innerstädtischen Wohnens und einer entsprechenden Bautätigkeit im Immobilienbereich („Renaissance der Stadt“), konnten in einer vergleichenden Untersuchung zwischen den USA und Deutschland zusammenhängende Veränderungen im Bereich Sicherheitspolitiken, städtischer Governance und sozialer Kontrolle aufgezeigt werden.
Eine in beiden untersuchten Ländern generell zu beobachtende Restrukturierung der Innenstadt auch in Richtung stärkere Wohnnutzung geht einher mit einer weitreichenden Neubestimmung der geteilten Vorstel-lungen von „Stadt“, „städtischem Leben“ und „Urbanität“. Diese in beiden Ländern analoge Verschiebung des Diskurses ist insbesondere relevant, da sich daraus auch veränderte Maßnahmen der beteiligten Akteure ergeben. Hier unterscheiden sich die untersuchten Länder hinsichtlich Reichweite und Wirkungskraft der ergriffenen Maßnahmen. In beiden Fällen bedeutet die „Renaissance der Stadt“ aber eine Intensivierung von sozialer Kontrolle in innerstädtischen Räumen. Das Städtische wird in den untersuchten Diskursen in dem doppelten Sinne „sichergestellter Urbanität“ aufgerufen: Zum einen als Gewährleistung überraschungsvoller, lebendiger und attraktiver „urbaner“ Räume. Zum anderen aber auch als Sicherheitsversprechen kontrollier-ter Räume. Entlang dieser teils gegenläufigen Leitlinien gruppieren sich in den untersuchten Fallbeispielen einzelne Programme und Maßnahmen der beteiligten Akteure: etwa die Bedeutung gebietsbezogener Interventionen auf Seiten der Immobilienentwickler (z.B. die Einrichtung von Business Improvement Districts in den USA) oder die aktive Vermarktung der Projekte für eine eng gefasste „urbane“ Lebenstilgruppe. Auf Sei-ten der Stadt resultiert die „Sicherstellung von Urbanität“ besonders in dem Fallbeispiel Los Angeles in einer zunehmend repressiven Polizeistrategie gegenüber als deviant wahrgenommenen Personen im öffentlichen Raum. In beiden nationalen Kontexten wird öffentlicher Räume zudem stärker unter private Verfügungsgewalt gestellt und dadurch direkte Maßnahmen sozialer Kontrolle, seien es Überwachungstechniken, private Sicherheitsdienste oder Zugangsbarrieren ermöglicht und befördert.