Archäologische Feldforschungen 2015:

Ein internationales Team, das sich aus Wissenschaftlern und Studenten aus Kiev, Charkov, Frankfurt und Regensburg zusammensetzte, führte vom 19.07. bis 24.08.2015 eine erste Grabungskampagne im Vorstadtareal Olbias durch (Abb. 1). Auf Basis der bereits im August 2014 erfolgten geomagnetischen Prospektion wurde ein 100 m2 großes Untersuchungsgebiet (4 Quadrate à 5 x 5 m) in unmittelbarer Nähe zur Weststraße ausgewählt, die – noch heute im Gelände gut sichtbar – als eine der Hauptverkehrsachsen Olbias direkt auf das archäologisch nachgewiesene Westtor der Kernstadt führt (Abb. 2).

Abb. 1: Olbia. Das Grabungsteam des deutsch-ukrainischen Forschungsprojektes (Foto Olbia-Projekt, 2015).

Abb. 2: Olbia. Das ausgewählte Vorstadtareal entlang der Weststraße vor den Ausgrabungen (Foto Fornasier, 2014).

Die Ziele dieser ersten Kampagne umfassten eine Vielzahl an wissenschaftlichen Themenstellungen. Fragen zur zeitlichen Einordnung sowie strukturellen Beschaffenheit der vermuteten Vorstadt standen ebenso im Vordergrund wie die quantitative und qualitative Zusammensetzung des Fundspektrums, das im Idealfall als Gradmesser für eine Rekonstruktion des Lebensstandards der antiken Vorstadtbewohner dienen kann (Abb. 3). Existierte die Vorstadt tatsächlich – wie bislang vermutet – nur im 6.-4. Jh. v. Chr. und war sie ausschließlich durch vermeintlich einfache Grubenhausstrukturen charakterisiert? Lassen sich gegenüber den intra muros gelegenen Stadtarealen deutliche Unterschiede in der Bebauungsstruktur oder der Zusammensetzung und Qualität des Fundmaterials nachweisen, oder gliedern sich Funde und Befunde in das bereits bekannte Spektrum ein? Ein weiteres wichtiges Forschungsziel gerade der ersten Grabungskampagne war zudem, die Ergebnisse der geomagnetischen Prospektion durch die Feldforschungen auf ihre Aussagekraft hin zu überprüfen: In welchem Detailgrad spiegeln die Magnetbilder den tatsächlichen archäologischen Befund und wie lassen sich diese Erkenntnisse zukünftig für die interdisziplinären Forschungen des Projektes gewinnbringend nutzen?

Abb. 3: Olbia. Exemplarisches Fundspektrum aus dem Grabungsareal des deutsch-ukrainischen Forschungsprojektes (Foto Olbia-Projekt, 2015).

Abb. 4: Olbia. Deutsch-ukrainische Ausgrabungen im Vorstadtareal (Foto Olbia-Projekt, 2015).

Schon im Zuge der diesjährigen Ausgrabungen konnten für diese Fragen erste aussagekräftige Ergebnisse erzielt werden (Abb. 4). So verweisen die neuen Befunde auf eine deutlich längere Existenz der Vorstadt, die nach den aktuellen Erkenntnissen von der zweiten Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. bis in die erste Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. reicht. Ostgriechische sowie attisch schwarzfigurige Keramik der archaischen Zeit (Abb. 5), der Nachweis eines beachtlichen Amphorenspektrums für die gesamte Vorstadtexistenz, Tisch- und Küchengeschirr, Münzen des 5./4. Jhs. v. Chr. und schließlich die in Olbia nahezu allgegenwärtigen Zählungsäquivalente in Pfeilspitzen- und Delphinform (Abb. 6) lassen eine intensive und offensichtlich ununterbrochene Besiedlung des untersuchten Areals über mehr als ein Jahrhundert vermuten.

Abb. 5: Olbia. Attisch schwarzfiguriges Schalenfragment aus dem Grabungsareal des deutsch-ukrainischen Forschungsprojektes (Foto Olbia-Projekt, 2015).

Abb. 6: Olbia. Prämonetäres Zahlungsmittel in Delphinform aus dem Grabungsareal des deutsch-ukrainischen Forschungsprojektes (Foto Olbia-Projekt, 2015).

 

Dabei besteht auch in unserem Grabungsareal – vergleichbar der Kernstadt – die früheste Bebauung erwartungsgemäß aus einer Grubenstruktur, die einen ca. 10 m2 großen, leicht ovalen Grundriss aufweist und die bis zu 1,2 m in den anstehenden Boden eingetieft ist (Abb. 7). In ihrem südlichen Wandbereich eingelassen fand sich eine ca. 2 m lange und bis zu 0,5 m breite Lehmbank, die ehemals Sitzgelegenheit oder Abstellfläche gedient haben dürfte (Abb. 8). Ihr direkt gegenüber konnte der ebenfalls in das Anstehende hinein eingetiefte Eingang freigelegt werden, von dem sich bislang drei Treppenstufen nachweisen ließen. Die deutlichen Abnutzungsspuren der Treppenstufen legen dabei ebenso wie verschiedene Fußbodenniveaus eine längere Nutzungsphase der vermutlich als Wirtschaftsraum genutzten Grubenstruktur nahe. Zwischen Eingangsbereich und Lehmbank fand sich zudem im östlichen Bereich des Objektes eine größere Nische, in der neben kleineren Mulden zwei konische Eintiefungen ehemals das Aufstellen von größeren Amphoren ermöglichten.

Abb. 7: Olbia. Beginn der Ausgrabungen im Bereich der Grubenhausstruktur (Objekt 15) (Foto Olbia-Projekt, 2015).

Abb. 8: Olbia. Lehmbank innerhalb der Grubenhausstruktur (Objekt 15) (Foto Olbia-Projekt, 2015).

 

Reste eines Mauerzuges aus klassischer Zeit, der ehemals zu einem oberirdisch errichteten Gebäude gehörte, sowie weitere, zeitgleiche Siedlungsbefunde – ein Ofen, Schlacken, welche ebenso auf Metallverarbeitung hinweisen wie ein Gussformfragment (Abb. 9), weiter qualitätsvolles Trink- und Essgeschirr (Abb. 10) – widerlegen die bislang vorherrschende Ansicht, dass die Vorstadt während ihrer gesamten Existenz einzig aus provisorischen Unterbringungen für die aus dem Umfeld Olbias stammende Landbevölkerung bestand. Ein Silbermünze aus Pantikapaion (Abb. 11) wie auch das Fragment einer beinernen Applike mit der Darstellung eines gelagerten Hirschen, welche ikonographisch eindeutig im skythischen Tierstil verankert ist, lassen demgegenüber auf überregionale Handels- und Kulturkontakte der Vorstadtbevölkerung schließen, der damit offensichtlich eine wichtigere Rolle im städtischen Leben Olbias zugesprochen werden kann, als bislang angenommen.

Abb. 9: Olbia. Fragment einer steinernen Gussform aus dem Grabungsareal des deutsch-ukrainischen Forschungsprojektes (Foto Olbia-Projekt, 2015).

Abb. 10: Olbia. Stempelverziertes attisches Schalenfragment (sog. Schwarzfirnis-Keramik) aus dem Grabungsareal des deutsch-ukrainischen Forschungsprojektes (Foto Olbia-Projekt, 2015).

 

Schließlich lassen die bemerkenswert genauen Übereinstimmungen zwischen den Ergebnissen der geomagnetischen Prospektion einerseits und den archäologischen Befunden der diesjährigen Grabungskampagne andererseits aufhorchen und stellen einen wichtigen Beleg für den sinnvollen Einsatz dieser Untersuchungsmethode in der Vorstadt Olbias dar. Durch ihre gezielte Nutzung und ergänzend zu den archäologischen Feldforschungen wäre es zukünftig auf einzigartige Weise möglich, konkrete Vorstellungen zur tatsächlichen Größe der antiken Siedlungsfläche westlich der befestigten Kernstadt zu entwickeln. Der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn für die Stadtentwicklung Olbias in klassischer Zeit als politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Zentrum des gesamten Unter-Bug-Gebietes wäre beachtlich, weshalb das deutsch-ukrainische Forschungsprojekt im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeiten weitere geomagnetische Prospektionen anstrebt (Abb. 12).

Abb. 11: Olbia. Pantikapaische Silbermünze aus dem Grabungsareal des deutsch-ukrainischen Forschungsprojektes (Foto Olbia-Projekt, 2015).

Abb. 12: Olbia. Sonnenaufgang über dem Kernstadtareal der griechischen Koloniestadt (Foto Olbia-Projekt, 2015).

 

Erste ausführlichere Vorberichte zu den Ergebnissen der Grabungskampagne 2015 sowie der geomagnetischen Prospektion in der Vorstadt Olbias liegen bereits vor. Bislang erschienen sind:

А. В. Буйских/Й. Форнасье/А. Г. Кузмищев, Преместе Ольвии в свете новых украинско-германских исследований. In: Записки Института истории материальной культуры РАН 14 (Санкт-Петербург 2016) 46–57; А. В. Буйських/О. Г. Кузьміщев/Й. Форнасьє, Дослідження Ольвійського передмістя біля західних воріт. In: Ю. В. Болтрик (Hrsg.), Археологiчнi Дослiдження в Україні 2015 (Kiev 2016) 114–115; J. Fornasier/A. V. Bujskich/A. G. Kuz’miščev/A. Patzelt/M. Helfert/N. Kratzsch, Vor den Toren der Stadt. Deutsch-ukrainische Forschungen in der Vorstadt von Olbia Pontike. Archäologischer Anzeiger 2017, 1, 19–61.