Archäologische Feldforschungen 2016:

Das deutsch-ukrainische Team, das sich erneut aus Forschern und Studenten aus Kiev, Charkov, Frankfurt und Regensburg zusammensetzte, führte vom 18.07. – 15.08.2016 die zweite Grabungskampagne im Vorstadtareal Olbias durch. Das Hauptziel galt der Fortsetzung der Feldforschungen im Grabungsareal HEKP-4, in dem auch in diesem Jahr wieder äußerst bemerkenswerte Fund und Befunde freigelegt wurden. So konnte nur wenige Meter von der bereits 2015 untersuchten Grubenstruktur, die mit hoher Wahrscheinlichkeit als Wirtschaftsraum genutzt worden war, eine weitere, etwas über 10 m2 große Grubenstruktur fixiert werden, die vermutlich Wohnzwecken diente (Abb. 1). Von besonderer Bedeutung ist eine doppelte Ofenkonstruktion in einer Ausbuchtung im Osten des Hauses, deren einzelnen Kammern untereinander mit einem Kanal verbunden waren. Diese ungewöhnliche Konstruktion konnte gleichsam als Wärmequelle und zur Speisezubereitung genutzt werden und ist in ihrer komplexen Form erstmals in Olbia nachzuweisen.

Abb. 1: Olbia. Deutsch-ukrainische Ausgrabungen im Vorstadtareal (Foto Olbia-Projekt, 2016).

Abb. 2: Olbia. Attisch schwarzfiguriges Gefäßfragment aus dem Areal HEKP-4 des deutsch-ukrainischen Forschungsprojektes (Foto Olbia-Projekt, 2016).

In der Verfüllung der Grubenstruktur traten ausschließlich Fundobjekte zutage, die nicht später als in das letzte Viertel des 6. Jhs. v. Chr. datieren (Abb. 2–3). Damit ist die gesamte Konstruktion der bislang älteste Nachweis für die olbische Vorstadt, deren Beginn chronologisch bereits in der zweiten Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. anzusetzen ist – ein Ergebnis, das für die bislang vorgeschlagene Rekonstruktion des historischen Kontextes von großer Bedeutung ist. So wurde in der bisherigen Forschung bereits mehrfach das zeitlich vermeintliche Zusammenfallen des Vorstadtbeginns mit einer ›Landflucht‹ hervorgehoben, während derer im ersten Viertel des 5. Jhs. v. Chr. ein Großteil der umliegenden Chorasiedlungen aufgelassen wurde (Марченко 1982; Крыжицкий u. a. 1999; vgl. Fornasier 2016). Obwohl zum Auslöser bislang keine communis opinio besteht – favorisiert wird eine durch skythischen Druck hervorgerufene Krisensituation –, schien ein Zusammenhang doch allgemein akzeptiert: Die Bevölkerung der aufgegebenen Chorasiedlungen habe sich im ersten Viertel des 5. Jhs. v. Chr. im direkten Umfeld der Stadt angesiedelt, wobei der im Vergleich zur vollständig entwickelten Kernstadt eher provisorisch wirkende Charakter der Bebauung eine zeitlich von Anfang an bewusst für die Krisenzeit begrenzte Siedlungsdauer dokumentiere (Марченко 1982, 134 f.). Diese These kann nicht mehr uneingeschränkt akzeptiert werden. Die Genese der Vorstadt beginnt bereits deutlich früher in der zweiten Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. und damit vor dem bemerkenswerten Kollaps der Chora. Nach jetzigem Kenntnisstand scheint die Vorstadt, deren frühesten Bauten offensichtlich zunächst entlang der Weststraße errichtet wurden, zudem kontinuierlich gewachsen zu sein und eine schrittweise Entwicklung von den Grubenhausstrukturen hin zur komplexeren, ebenerdigen Architektur sowie einer handwerklichen Spezialisierung durchlaufen zu haben, wie sie der Befund im Areal NEKP-4 erstmals verdeutlicht.

Abb. 3: Olbia. Fragmente einer chiotischen Amphora aus dem Areal HEKP-4 des deutsch-ukrainischen Forschungsprojektes (Foto Olbia-Projekt, 2016).

Abb. 4: Olbia. Das Areal HEKP-4 am Ende der diesjährigen Feldforschungen (Foto Olbia-Projekt, 2016).

Neben einer in klassischer und auch noch in frühhellenistischer Zeit genutzten Nische mit kleinem rechteckförmigen Altar, die nur über eine ca. 1,5 m tiefe Grube zu erreichen war, komplettieren zahlreiche kleinere Wirtschaftsgruben sowie eine große, aller Wahrscheinlichkeit nach zur Aufbewahrung von Getreide genutzte Grube des 5. Jhs. v. Chr. die diesjährige Befundsituation im Areal HEKP-4. All diese Strukturen sind insgesamt zweifellos als eine größere, durch mehrere Umbauphasen charakterisierte Siedlungseinheit entlang der Weststraße zu verstehen (Abb. 4).

Zeitlich parallel zu diesen Tätigkeiten konnten die Arbeiten in dem neuen Grabungsareal NEKP-7 begonnen werden, durch das nach Aussage der 2014 durchgeführten geomagnetischen Untersuchungen eine insgesamt mindestens 45 m lange und etwa 3 m breite, positive lineare Anomalie verläuft, die unmittelbar östlich zudem von einer parallel verlaufenden, negativen Anomalie flankiert wird. In Analogie zu geophysikalischen Pro¬spektionen in anderen Bodendenkmälern wurde hier ein Wall-Graben-System als Abgrenzung der Vorstadt zur Westnekropole und zum offenen Umland vermutet. Sollte diese These richtig sein, wären für Olbia erstmals die grundsätzliche Frage zur Existenz und Struktur einer baulichen Westgrenze zu klären und zudem eindeutige Parameter für eine Neuberechnung der Vorstadtfläche gegeben.

Abb. 5: Olbia. Das Areal HEKP-7 am Ende der diesjährigen Feldforschungen (Foto Olbia-Projekt, 2016).

Abb. 6: Olbia. Rotfiguriges Vasenfragment aus der Grabenverfüllung (Foto Olbia-Projekt, 2016).

 

Die Ergebnisse der ersten Untersuchungen bestätigen bislang sehr deutlich die Vorstellung einer antiken Vorstadtbegrenzung und zeigen erneut eine bemerkenswert genaue Übereinstimmung des archäologischen Befundes mit den Ergebnissen der Geomagnetik. So konnte im Westteil des Areals NEKP-7 ein antiker Graben in seinem Verlauf verfolgt werden, der 3–4 m breit ist, dessen Grabensohle allerdings erst in der Grabungskampagne 2017 erreicht werden wird (Abb. 5). Direkt östlich schließen sich Reste einer bislang ebenfalls ca. 3-4 m breiten Lehmkonstruktion an, die aller Wahrscheinlichkeit nach die Reste einer Wallkonstruktion darstellen. Endgültige Klarheit des Befundes – Konstruktion, tatsächliche Breite – werden allerdings auch hier erst die Feldforschungen 2017 ergeben. Wie ferner zu erwarten stand, konnten in der Verfüllung des Grabens, der offensichtlich nur sehr langsam und über einen längeren Zeitraum hin verschüttet worden war, chronologisch sehr heterogenes Material von archaischer bis in römische Zeit festgestellt werden (Abb. 6–7). Schließlich ist der starke Zerscherbungsgrad eines Großteils des keramischen Materials (Abb. 8) untypisch für Siedlungs- wie auch Nekropolenbefunde in Olbia und entspricht eher der Zusammensetzung von Straßenpflastern. Es ist daher durchaus wahrscheinlich, dass entlang des vermuteten Wall-Grabensystems in klassischer Zeit ein entsprechend gepflasterter Verkehrsweg existiert hatte.

Abb. 7: Olbia. Terra Sigillata Fragment aus der Grabenverfüllung (Foto Olbia-Projekt, 2016).

Abb. 8: Olbia. Stark zerscherbte Keramikfragmente aus der Grabenverfüllung (Foto Olbia-Projekt, 2016).

 

Erste ausführlichere Vorberichte zu den Ergebnissen der Grabungskampagnen 2015–2016 sowie der geomagnetischen Prospektion in der Vorstadt Olbias liegen bereits vor. Bislang erschienen sind:

А. В. Буйских/Й. Форнасье/А. Г. Кузмищев, Преместе Ольвии в свете новых украинско-германских исследований. In: Записки Института истории материальной культуры РАН 14 (Санкт-Петербург 2016) 46–57; А. В. Буйських/О. Г. Кузьміщев/Й. Форнасьє, Дослідження Ольвійського передмістя біля західних воріт. In: Ю. В. Болтрик (Hrsg.), Археологiчнi Дослiдження в Україні 2015 (Kiev 2016) 114–115; Й. Форнасье/А. В. Буйских/А. Г. Кузьмищев, Полуземлянка конца VI – начала V в. до н. э. с ольвийского предместья. In: Північне Причорномор’я за античної доби (на пошану С.д. Крижицького) (Kиїв 2017) 33–44; J. Fornasier/A. V. Bujskich/A. G. Kuz’miščev/A. Patzelt/M. Helfert/N. Kratzsch, Vor den Toren der Stadt. Deutsch-ukrainische Forschungen in der Vorstadt von Olbia Pontike. Archäologischer Anzeiger 2017, 1, 19–61.