Keramikanalysen:

Geochemische Untersuchungen an keramischem Fundmaterial:

Dank der Förderung durch die Fritz Thyssen Stiftung konnte das deutsch-ukrainische Forschungsprojekt zwischen Oktober 2015 und Juni 2016 in einer Pilotstudie geochemische Untersuchungen an keramischem Fundgut des 6. Jhs. v. Chr. aus Olbia und der nahegelegenen Berezan-Siedlung durchführen. Mittels der portablen energiedispersiven Röntgenfluoreszenzanalyse (P-ED-RFA) wurden von Dr. Markus Helfert 120 Keramikproben aus archäologisch gesicherten Fundkontexten auf ihre Elementmuster hin überprüft und in einem zweiten Schritt mit den chemischen „Fingerprints“ von 40 Referenzproben verglichen, die von Prof. Dr. Hans Mommsen im Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn durch die instrumentelle Neutronenaktivierungsanalyse (INAA) ermittelt werden konnten. Das als Frankfurter Modell bekannte Vorgehen, das an der Goethe-Universität evaluiert und über mehrere Jahre hinweg erfolgreich in der Praxis getestet und optimiert worden ist (Helfert u. a. 2011; Helfert 2013), verbindet die Vorteile von portablen und Labormethoden und bot für Olbia erstmals die Möglichkeit, größere keramische Probenserien geochemisch zu erfassen und auszuwerten.

Abb. 1: Grabungsareal R-25 in der Kernstadt Olbias (Fotos Bujskich, 2014). Links: Hausbefund, letztes Viertel des 6. Jhs. v. Chr., rechts: Grube 1680, 2. Viertel des 5. Jhs. v. Chr.

Das für die Messungen zur Verfügung stehende Material aus Olbia stammte dabei aus archäologisch geschlossenen, sehr gut datierbaren archaischen Komplexen im Areal R-25 im südöstlichen Teil der Oberstadt von Olbia (Abb. 1) und umfasste für die Erstellung notwendiger Referenzgruppen zudem herausragende Proben in Form von Fehlbränden (Abb. 2), deren lokale Herkunft sehr wahrscheinlich ist (Крапивина/Буйских 2010). Das zeitgleiche Material aus der Siedlung Borysthenes hingegen stammte aus gut dokumentierten Grabungen der Kampagnen 1964 und 1966 auf der Insel Berezan, deren Funde im Archäologischen Institut in Kiev magaziniert sind.

Abb. 2: Olbia. Fehlbrand aus der Grube 1025 im Areal R-25, 2. Viertel des 6. Jhs. v. Chr. (Foto A. Bujskich, 2005)

Lokale Keramikproduktion in Olbia – Forschungsstand

Der Beginn einer lokalen Keramikproduktion in Olbia wird mangels eindeutiger Belege – etwa in Form eines Töpferofens/einer Töpferwerkstatt – bis heute sehr kontrovers diskutiert, wie die vor wenigen Jahren von Sergej Bujskich veröffentlichte Zusammenstellung der bislang formulierten Thesen prägnant verdeutlichen kann (Буйских 2007; vgl. Schultze u. a. 2006). Vorgeschlagen wurden unter anderem ein Zeitraum gleich zu Beginn der Besiedlung im ersten Viertel des 6. Jhs. v Chr., da unter den ersten Siedlern mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Töpfer gewesen seien, bis hin zu einer lokalen Herstellung nicht vor dem Ende des 6. Jhs. v. Chr., als Olbia seiner ersten Blütephase entgegensah. Bis zu diesem Zeitpunkt sei man weitgehend auf Importe angewiesen gewesen, die vor allem in Form der weit verbreiteten sog. Bucchero-Keramik ihre kleinasiatische Herkunft offenbare. Den zuletzt genannten, von Sergej Bujskich selbst favorisierten chronologischen Ansatz sah der Kiever Forscher vor allem dadurch bestätigt, dass – bis zum Abschluss seines Manuskriptes – in Olbia kein einziger Fehlbrand aus der frühen Siedlungsphase bekannt war. Durch die Grabungen Alla Bujskichs im Areal R-25 im Süden der olbischen Kernstadt in den 2000er Jahren ist diese Überlieferungslücke allerdings nunmehr geschlossen (Abb. 2), wodurch eines der Hauptargumente gegen eine frühe Keramikproduktion hinfällig geworden ist (Крапивина/Буйских 2010).

Ausgangspunkt für alle bisherigen stilistischen und makroskopischen Untersuchungen waren die in vorrömischer Zeit in Olbia, seiner Chora und auch in Borysthenes vorherrschenden einfachen Tischgefäße der grau- und rottonigen Ware (Книпович 1940; Кульская 1940; Schultze u. a. 2006; Буйских  2007). Beide Gruppen unterscheiden sich vorderhand durch die im Laufe des Herstellungsprozesses entstandene typische Färbung, weisen jedoch praktisch den gleichen Ton auf, wie bereits vielfach in der Forschung hervorgehoben worden ist. Vereinzelt geäußerte Thesen, dass die Tonfarbe als ein Unterscheidungskriterium für lokale und importierte Ware herangezogen werden könne, fanden daher bislang und zu Recht nur wenig Beachtung. Die Frage nach dem Beginn einer eigenen Keramikproduktion in Olbia ist jedoch letztlich nur durch die Einbindung geochemischer Analysen konkret zu klären. Geochemische „Fingerprints“ ermöglichen über einen Abgleich mit bestehenden INAA-Datenbanken im Idealfall Provenienzzuweisungen, die Aufschluss über wirtschaftsarchäologische Aspekte wie Warentransfer und Handelskontakte, aber eben auch über das Einsetzen einer lokalen Herstellung geben können (vgl. z.B. die Beiträge von Kerschner 2006; Mommsen u. a. 2006; Posamentir/Solovyov 2006; Posamentir/Solovyov 2007; Posamentir u. a. 2009; Attula u. a. 2014). Genau an dieser Stelle setzte die interdisziplinäre Pilotstudie methodisch an.

 

Ausgewählte Ergebnisse der Untersuchungen

Die mittels P-ED-RFA untersuchten Proben der Drehscheibenkeramik (vorwiegend sog. „Graue Ware“) aus der Kernstadt Olbias und aus Borysthenes, die makroskopisch sehr gleichartig wirken, ergaben völlig unerwartet kein einheitliches geochemisches Bild und gliedern sich aufgrund der Haupt- und Spurenelemente jeweils in vier voneinander getrennte Gruppen. Mithilfe bi- und multivariater statistischer Auswertungen lassen sich die Produkte von beiden Fundorten zudem anhand ihrer Elementkonzentrationen deutlich voneinander unterscheiden – insbesondere mit Hilfe der Spurenelemente, darunter Zink und Uran, sind beide Orte geochemisch eindeutig differenzierbar. Die in die Analyseserie zum direkten Vergleich mit eingeflossenen sieben Proben importierter, ostgriechischer Keramik tragen demgegenüber wie erwartet eine deutlich andere geochemische Signatur.

Das Verfahren der INAA bestätigt grundsätzlich die auf den Ergebnissen der P-ED-RFA basierenden Gruppeneinteilungen in lokale und importierte Keramik. Ein Teil der bereits stilistisch eindeutig als Importware klassifizierten Gefäßfragmente konnte sogar ganz konkret mediterranen Produktionszentren (MilB; SmyE) zugeordnet werden, wodurch die traditionelle archäologische Determination eine wichtige Bestätigung und zugleich Aktualisierung erfährt. Überraschend konkrete Aussagen lassen sich aus archäologischer Sicht auch für eine der separierten Berezan Gruppen treffen, die geochemisch mit der bislang der westpontischen Koloniestadt Histria zugewiesenen Produktion übereinstimmt. Borysthenes und Histria zählen zu den frühesten, der literarischen Tradition nach milesischen Kolonien im westlichen und nordwestlichen Schwarzmeerraum (zuletzt Fornasier 2016). Wirtschaftliche Kontakte zwischen beiden griechischen Niederlassungen sind von Anfang an zu erwarten und wurden aufgrund einzelner stilistischer Vergleiche an ausgewähltem Fundgut beider Zentren bereits früher schon thematisiert (Буйских  2007). So fanden sich gerade für die grautonige Keramik des 6./5. Jhs. v. Chr. dem Sortiment und den formal-morphologischen Aspekten nach direkte Analogien in nahegelegenen griechischen Zentren wie Nikonion, Histria und Kerkinitis. Mit den neuen geochemischen Analysen liegt nun aber erstmals ein handfester Beleg für diese Verbindung vor. Dabei ist die Frage, ob das untersuchte Keramikmaterial von Histria nach Borysthenes oder von Borysthenes nach Histria verhandelt worden ist, letztlich erst nach der Einbindung von unzweideutigen Referenzproben in Form von lokalen Produktionsstätten in die Analysen möglich. Für den vor wenigen Jahren in Borysthenes freigelegten Töpferofen des 6. Jhs. v. Chr. (Крутилов/Бондаренко 2015) kann dies zeitnah durch das deutsch-ukrainische Kooperationsprojekt durchgeführt werden, für Histria bleibt dies für die nahe Zukunft zu hoffen. Dennoch kann der Fehlbrand (Abb. 3 rechts) bereits jetzt als erstes deutliches Indiz für eine Produktionsstätte auf Berezan angeführt werden.

Abb. 3: Olbia. Fragmente der Berezan Gruppe 3.

Schließlich zeigen die Untersuchungen exemplarisch, wie aufgrund der Tonfärbung vermeintlich heterogenes Material durch die geochemische Analyse zu einzelnen Gruppen zusammengeführt werden kann (Abb. 4). Grautonige Schüsseln und Schalen weisen in der Analyse die gleichen Elementmuster auf wie ihre rottonigen Pendants, die durch Form und Verzierung zum Teil ganz bewusst ostgriechische Keramik imitieren. Durch die vorliegenden Messergebnisse ist ein eindeutiger Beleg dafür erbracht, dass die unterschiedliche Färbung vielfach tatsächlich nur auf den Herstellungsprozess und nicht auf unterschiedliche Tonarten aus unterschiedlichen Regionen zurückzuführen ist. Als grundlegendes Unterscheidungskriterium für importierte oder lokale Ware ist sie somit vollkommen ungeeignet, wie dies in der bisherigen Forschung auf Basis der makroskopischen Analysen bereits auch postuliert worden ist.

Abb. 4: Olbia. Fragmente der Olbia Gruppe 2.



Die hier skizzierten Ergebnisse der Pilotstudie verdeutlichen im besonderen Maße das große Potential geochemischer Analysen für archäologische Forschungsprojekte. Klare Abgrenzungen der Referenzgruppen aus Olbia und aus Borysthenes, Zuweisungen an mediterrane Herstellungszentren, Übereinstimmungen zum keramischen Fundgut aus einer weiteren milesischen Koloniestadt am Westpontos und schließlich die Möglichkeit, durch Tonfärbung zunächst getrennte Objekte zu Gruppen zusammenzufassen – all dies bildet ein sicheres Fundament für die avisierten Grundlagenforschungen, die dank der umfangreichen Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft in der zweiten Projektphase des deutsch-ukrainischen Kooperationsprojektes 2017–2019 durchgeführt werden können.

Ein erster ausführlicher Vorbericht zu den Ergebnissen der Pilotstudie liegt bereits vor, weitere Publikationen sind in Vorbereitung. Bislang erschienen ist:

J. Fornasier/A. V. Bujskich/A. G. Kuz’miščev/A. Patzelt/M. Helfert/N. Kratzsch, Vor den Toren der Stadt. Deutsch-ukrainische Forschungen in der Vorstadt von Olbia Pontike. Archäologischer Anzeiger 2017, 1, 19–61.