Gisèle Freund (1908–2000)

Gisèle Freund, ursprünglich Sophia Gisela Freund, kam 1908 in Schöneberg (Berlin) in einer wohlhabenden jüdischen Familie zur Welt. Ihre Eltern und vor allem ihr Vater, der Kunstsammler Julius Freund, unterstützten früh ihr künstlerisches Interesse für Fotografie und schenkten ihr zum Abitur eine Leica-Kamera. Diese nutzte sie, um als Fotoreporterin ihr Studium der Soziologie – zunächst in Freiburg, ab 1930 in Frankfurt bei Karl Mannheim und dessen Assistenten, Norbert Elias – zu finanzieren. In Frankfurt besuchte sie auch Lehrveranstaltungen des Instituts für Sozialforschung und lernte unter anderem Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Nina Rubinstein kennen. Walter Benjamin, den sie später mit eindrucksvollen Aufnahmen porträtierte, wurde ihr ein langjähriger Freund.

Angeregt von Norbert Elias, entwickelte Freund die Idee einer soziologischen Promotion über die Anfänge der Fotografie in Frankreich. Besonders dem Pariser Fotopionier Nadar (eigentlich Gaspard-Félix Tournachon) galt Gisèle Freunds großes Interesse, weshalb sie ab den frühen 1930er Jahren mehrfach für Forschungsaufenthalte nach Paris reiste. Als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland an die Macht kamen und zahlreiche jüdische Professoren ihre Lehrbefugnis verloren und emigrieren mussten, wählte die engagierte Sozialistin und Antifaschistin Paris als Exil. Hier beendete Freund 1936 ihre Promotion an der Sorbonne, die sie wie Nina Rubinstein an der Universität Frankfurt bei Karl Mannheim begonnen hatte. Zugleich setzte sie ihre fotojournalistische Tätigkeit fort. Ihre Reportagen erschienen in der Weekly Illustrated und in dem gerade entstandenen Life-Magazin. Mit dem deutschen Einmarsch in Frankreich musste Gisèle Freund wieder flüchten und ging schließlich nach Lateinamerika, wo Fotoreportagen und Bildserien sie nach Chile, Argentinien und Mexiko führten. Wieder in Frankreich setzte sie 1953 unter anderem die Arbeit an ihrer ‚Galerie der Dichter und Denker‘ fort und fotografierte Intellektuelle der Nachkriegszeit wie Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre oder Eugene Ionesco.

Ihre fotografischen Arbeiten wurden erstmals 1968 in Paris ausgestellt und befruchteten die Diskussion um die Trennung zwischen Fotografie und Fotokunst. Insbesondere ihre Portrait-Galerie gilt bis heute als wichtiges Zeitzeugnis und beinhaltet viele inzwischen ikonisch gewordenen Darstellungen berühmter Intellektueller und Schriftsteller. Auch Gisèle Freunds Dissertation, die 1968 als Photographie und bürgerliche Gesellschaft. Eine kunstsoziologische Studie zum ersten Mal auch auf Deutsch erschien, gilt als grundlegendes Werk zur Entstehung der Fotografie und war die erste geisteswissenschaftliche Betrachtung der Fotografie überhaupt. Gisèle Freund starb 2000 in Paris und wurde dort auf dem Montparnasse-Friedhof beerdigt.

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