Das I.G. Farben-Gebäude: Bau und Baugeschichte

Als sich die damals größten Chemieunternehmen Deutschlands 1925 zur Bildung einer Interessengemeinschaft entschieden, beriefen sie sich bei der Namensgebung der Gruppe auf ihre gemeinsamen Wurzeln. Es handelte sich dabei um einen Industriezweig der seit der Industrialisierung immer bedeutender wurde: die Herstellung von Textilfarbstoffen.[1] So entstand die Interessengemeinschaft Farbenindustrie AG (I.G. Farben), deren neugewonnene Monopolstellung durch den repräsentativen Bau eines neuen Verwaltungssitzes in Frankfurt auch nach außen deutlich erkennbar werden sollte.

Wegen einiger Unstimmigkeiten bei der Planung und der Standortfrage wünschte Carl Duisberg, Aufsichtsratsvorsitzender der I.G. Farben und vormaliger Generaldirektor von Bayer, eine Verschiebung des Baubeginns, von der er seine Vorstandskollegen jedoch nicht überzeugen konnte. Massive Proteste der Anwohner verhinderten schließlich die Bauarbeiten auf dem vorgesehenen Areal, das die I.G. Farben zwischen Main und Gutleut-Viertel erworben hatte. Da die Stadt auch das Gelände der mittlerweile aufgegebenen Psychiatrischen Klinik („Irrenschloss“) anbot, einigte man sich 1927 auf einen – um weitere Erwerbungen im Bereich der Grüneburg ergänzten – Grundstückstausch.[2]

Uneinigkeit herrschte indes nicht nur in der Standortfrage, sondern auch bei der architektonischen Planung des Gebäudes. Entschiedene Hochhausgegner monierten, dass das Areal für ein höheres Gebäude nicht geeignet sei, und forderten einen klassischen Verwaltungskomplex in Niedrigbauweise, während sich Duisberg und der Vorstandsvorsitzende Carl Bosch auf langen Reisen durch die USA unter anderem von der Gestaltung des General-Motors-Gebäudes in Detroit begeistert zeigten.- Nach langer Diskussion einigte man sich auf einen beschränkten Wettbewerb, zu dem Architekten mit internationalem Ruf eingeladen wurden.[3] Das Gebäude sollte als erweiterbarer Komplex mit 23.000 Quadratmetern Nutzungsfläche, Labor- und Wirtschaftsgebäuden sowie Speise- und Veranstaltungsräumen alles bieten, was für den Hauptsitz eines international tätigen Konzerns nötig schien.

Die Architekten Paul Bonatz, Fritz Höger, Jacob Koerfer, Hans Poelzig, Ernst May und Martin Elsaesser wurden eingeladen, dem Gremium ihre Entwürfe zu präsentieren. Auch firmeneigene Planer reichten sechs Entwürfe ein. Am Ende entschied sich das Gremium für den Entwurf Hans Poelzigs (1869-1936), der das Hauptgebäude und das dahinter liegende Casino – so die damals übliche Bezeichnung für die Kantine – beinhaltete. Als langgestrecktes, leicht geschwungene, aber immerhin siebenstöckiges Gebäude konnte Poelzigs Entwurf des Hauptgebäudes Hochhausgegner wie -befürworter überzeugen.

Ausführung und Gestaltung

Bei der Umsetzung seines Entwurfs griff Poelzig auf bereits im amerikanischen Hochhausbau etablierte Methoden zurück: moderne Kräne, Anlieferungs- und Materialnutzungskonzepte sowie Gerüste aus Stahl. Der gewaltige Bau sollte ein Stahlskelett erhalten, dessen Trägerkonstruktion zunächst auf dem Boden montiert, dann durch neuartige Kräne versetzt und schließlich mit Steinen ausgekleidet wurde.[4]

Da der mit der Stadt vereinbarte Vertrag eine Ausführung der Planung binnen drei Jahren vorsah, arbeiteten bis zu 1000 Beschäftigte – zum Teil sogar nachts.[5] Das hohe Tempo der Bauarbeiten macht diese vor allem zu Beginn fehleranfällig; beim Einsturz eines Gebäudeteils verloren zwei Arbeiter ihr Leben.

Neben den Unfällen und dem strikten Bauplan bereiteten Poelzig auch die mehrfach vom Vorstand verlangten Änderungen des ursprünglichen Konzepts Kopfzerbrechen. Um Straßen um die Gebäude anzulegen, wurde das Hauptgebäude mit deutlich größerer Entfernung zur Straße errichtet, als das Model es vorsah. Ebenso wurde auf die an jeder Seite als Abschluss geplanten großen Quertrakte verzichtet und nur die heute vorhanden sechs Querbauten errichtet. Auch im Inneren mussten die Pläne geändert werden, zum Beispiel um die Ausstellungshalle des Konzerns ins Erdgeschoss zu verlegen – wodurch die heutige Rotunde entstand.[6] Auch war Poelzig angewiesen, I.G.-eigene Betonmischungen, Anstriche und Farben zu verwenden. Probleme bei der Raumvergabe und interne Zwistigkeiten der einzelnen Abteilungen der I.G. Farben verzögerten zudem den Innenausbau.[7]

Trotz der erheblichen Komplikationen konnte der Bau 1931 termingerecht fertig gestellt werden. Unter der Anleitung des Architekten entstand nicht nur ein Meisterwerk der Architektur, sondern auch ein baulicher Ausdruck des Monopolstatus‘ der I.G. Farben.

Der 250 Meter lange, siebenstöckige Hauptbau mit sechs radial gestellten Querflügeln war der größte Bau der Weimarer Republik und blieb bis in die 1950er Jahre hinein der größte Bürokomplex Europas.[8] Die I.G. Farben hatte sich mit der Auswahl des Entwurfs bewusst für eine zukunftsweisende Gestaltung entschieden: Die klare Formsprache, eine weitgehend schmucklose Fassade und der „serielle Charakter“ der sechs Querbauten sind als „Anerkennung des industriellen Rationalismus schlechthin“ interpretiert worden.[9] Gemeinsam mit der hochmodernen Innenausstattung, der Lage auf freier Fläche sowie den monumentalen Ausmaßen des Gebäudes – im damaligen Volksmund und in Anspielung auf die Geschichte des Geländes auch als „die Grüneburg“ bezeichnet[10] – wurde die beim Bau angestrebte „seriöse Eleganz“ im Laufe des 20. Jahrhunderts zum Vorbild für spätere Konzernbauten.[11]

Die Inneneinrichtung und das Raumkonzept wurden von Poelzigs zweiter Ehefrau, Marlene Moeschke-Poelzig (selbst Bildhauerin und Architektin), entworfen und gestaltet, die auch am Gesamtkonzept der Gebäudeanlage mitgewirkt hatte.[12] Dies war nicht die erste gemeinsame Arbeit: Das Paar, das 1920/21 gemeinsam das Bauatelier Poelzig gründete, hatte sich zuvor bereits mit anderen Bauprojekten wie dem Großen Schauspielhaus in Berlin (das nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut aber 1988 schließlich abgerissen wurde) einen Namen gemacht.[13] Die Innengestaltung der Konzernzentrale folgte einer dezidiert rationalen Logik: Die südliche Ausrichtung der Arbeitsräume erlaubte eine optimale Ausnutzung des Tageslichts.[14] Glastrennwände, mechanische Entlüftung, Telefone, Aktenaufzüge, Paternoster, Altpapier- und Müllschlucker sowie fließend Warmwasser und nicht zuletzt Linoleum-Fußböden auf Korktrittschalldämmung machten aus den Büroabteilungen moderne High-Tech-Arbeitsräume für die ca. 2.000 dort beschäftigten Angestellten.[15] Mit diesem „Palast des Geldes“ [16] demonstrierte der Konzern darüber hinaus eindrucksvoll seine wirtschaftliche Macht.

Bis zu seiner Auflösung 1933 war Hans Poelzig Mitglied des „Rings“, eines Zusammenschlusses wichtiger Vertreter moderner Architektur, die heute auch oft als „Bauhaus-Stil“ bezeichnet wird. Zu ihnen gehörten unter anderem auch Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius.  Hans Poelzig selbst war nicht nur Architekt, sondern auch Künstler. Die Originale einiger seiner Gemälde wurden von der Goethe-Universität gekauft und sind heute im oberen Stockwerk des Casino-Gebäudes ausgestellt. Ebenfalls in diesem Gebäude, im Seminarraum 1.812, befindet sich ein Wandgemälde des Frankfurter Künstlers Georg Heck (1897-1987). Nachdem es 1929 durch den Vorstand der I.G. Farben in Auftrag gegeben und 1934 fertiggestellt worden war, ließen die Nationalsozialisten es kurz darauf übertünchen, da Hecks Kunst gemäß ihrer Ideologie als ‚entartet‘ diffamiert wurde. Im Jahr 2006 konnte es nach mühevollen Freilegungs- und Restaurierungsarbeiten wieder in seinen Originalzustand versetzt werden und ist heute ebenfalls zu sehen.[17]

Die Dauerausstellung „Von der Grüneburg zum Campus Westend“, die im I.G. Farben-Gebäude installiert ist, würdigt den Architekten Hans Poelzig und hält viele weitere Informationen zu seinem Leben und Wirken als Künstler und Architekt bereit (im 2. Stock auf der Höhe des Querbaus Q4).

© Forschungszentrum Historische Geisteswissenschaften


Literatur und Links:

  • Cachola Schmal, Peter: Der Kunde ist König – Zum Einfluß des Bauherrn I.G. Farbenindustrie AG auf die Entstehung der »Grüneburg«. In: Meißner Werner/Rebentisch, Dieter/Wang, Wilfried (Hrsg.): Der Poelzig-Bau. Vom IG-Farben-Haus zur Goethe-Universität. Frankfurt am Main 1999; 47-59.
  • Drummer, Heike/Zwilling, Jutta: Von der Grüneburg zum Campus Westend. Die Geschichte des IG-Farben-Hauses. Frankfurt am Main 2007.
  • Ehringhaus, Sybille 1992: „…übrigens im ausgesprochenen Gegensatz zu Auffassung eines Corbusier…“. Marlene Moeschke-Poelzig, Bildhauerin und Architektin, 1894-1985. In: Frauen Kunst Wissenschaft, 13/1992, 56-68.
  • Hammbrock, Heike 2005: „Also los und Mut!... Die Werkstätte, unsere Werkstätte, muss eingerichtet werden“. In: Forschung Frankfurt 2/2005, 70-76.
  • Meißner Werner/Rebentisch, Dieter/Wang, Wilfried (Hrsg.): Der Poelzig-Bau. Vom IG-Farben-Haus zur Goethe-Universität. Frankfurt am Main 1999.
  • Rhein, Johannes: Immer wieder das Gleiche: Noch einmal zur Geschichte des schönsten Campus Deutschlands... In: Zeitung des Allgemeinen Studierendenausschusses der Goethe-Universität Frankfurt, 01/2013; 5-10.
  • Ronneberger, Klaus: Architektonische Räume des Wissens. Eine historische Betrachtung zur Universität Frankfurt. In: Forum Wissenschaft 1/2015, 32. Jahrgang. Marburg 2015; 12-15
  • Santifaller, Enrico 2014: Das Poelzig Projekt: Im Geschmack der Zeit, in Frankfurt/Main. In: Bauwelt 14/2004, 4. Manuskriptfassung
  • Schillig, Christiane: Das übertünchte Arkadien. Ein Wandgemälde in Frankfurts Universität. In: Monumente. Magazin für Denkmalkultur in Deutschland. Oktober 2007.
  • Wang, Wilfried: Das Bürohaus des frühen 20. Jahrhunderts oder Über den Abstrahierungsprozeß der Arbeitssphären. In: Meißner Werner/Rebentisch, Dieter/Wang, Wilfried (Hrsg.): Der Poelzig-Bau. Vom IG-Farben-Haus zur Goethe-Universität. Frankfurt am Main 1999; 36-46.
  • Sander, Ferdinand: Georg Heck, Wandgemälde (Casino-Gebäude 1.812).

[1] Vgl. Rhein 2013; Drummer/Zwilling 2007, 24.
[2] Drummer/Zwilling 2007, 36.
[3] Drummer/Zwilling 2007, 36; Ronneberger 2015, 13.
[4] Drummer/Zwilling 2007, 38.
[5] Drummer/Zwilling 2007, 38.
[6] Cachola Schmal 1999, 52f.
[7] Cachola Schmal 1999, 55.
[8] Drummer/Zwilling 2007, 40;  Ronneberger 2015, 13 f.
[9] Wang 1999, 44.
[10] Cachola Schmal 1999, 47.
[11] Vgl. Wang 1999.
[12] Ehringhaus 1992, 58; Hammbrock 2005, 75; vgl. Santifaller 2014
[13] Hambrock 2005
[14] Drummer/Zwilling, 40.
[15] Cachola Schmal 1999, 55f.
[16] Theodor Heuss 1929, so zitiert bei Rhein 2013, 5.
[17] Vgl. Schillig 2007