Das I.G. Farben-Gebäude 1945 – 1995

Im Frühjahr 1945 bot sich den amerikanischen Streitkräften kaum noch organisierter Widerstand, als sie den Rhein überquerten. Bereits am 26. März erreichten die schnell vorrückenden Truppenverbände Rüsselsheim, Raunheim und Groß-Gerau.[1] Das Frankfurter Stadtgebiet konnte bis auf vereinzelte Widerstandsnester innerhalb weniger Tage eingenommen werden. Wie aus den Berichten amerikanischer Soldaten hervorgeht, soll eine ungewöhnliche Stille über der beinahe menschenleeren Stadt gelegen haben, deren inneren Stadtbezirke durch alliierte Luftangriffe im Winter größtenteils zerstört worden waren. Der ehemalige Hauptsitz der Interessengemeinschaft Farbenindustrie AG (I.G. Farben) indes hatte bei den Bombardements kaum Schäden erlitten. Lediglich einer der sechs Querbauten wurde beim Vorrücken der amerikanischen Verbände durch Artilleriefeuer beschädigt.

Am 29. März 1945 führte der stellvertretende Betriebsführer Hermann W. Lumme, Mitglied des Vorstandes der I.G. Farben, den kommandierenden Offizier der amerikanischen Streitkräfte durch die damals auch Poelzig-Ensemble genannten Gebäude der I.G. Farben-Verwaltung und des angrenzenden Casinos.[2] Die vorangegangene Übernahme der I.G. Farben-Hauptverwaltung gestaltete sich den Quellen zufolge recht anekdotenhaft: Vor dem Gebäude sei nur ein einziger, unbewaffneter Wachmann der I.G. Farben postiert gewesen, der sich gegenüber der eintreffenden US-Infanteriedivision entschieden geweigert habe, den Schlüssel ohne Genehmigung seiner Vorgesetzten auszuhändigen.[3] Nicht willens Gewalt anzuwenden, holte man schließlich einen der Direktoren des Chemiekonzerns mit einem Jeep aus Oberursel herbei.

Der erste amerikanische Militärkommandant, Oberstleutnant Howard D. Criswell, und seine Untergebenen standen in der Folgezeit vor zahlreichen Herausforderungen. Die Lebenssituation der in der Stadt verbliebenen Frankfurter war höchst bedenklich und musste schnell verbessert werden. Außerdem hatten sich im März 1945 circa 2.000 Flüchtlinge verschiedener Nationalitäten, darunter auch ehemalige Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge, auf dem Grundstück des Verwaltungskomplexes zusammengefunden. Die Menschen lagerten zwischen Hauptgebäude und Casino und nutzten den Teich als Waschplatz und Trinkwasserreservoir. Auf der Suche nach dem Notwendigsten hatten einige Flüchtlinge auch Büromobiliar aus den Gebäuden verwendet, um sich Schlafstätten zu errichten oder es als Brennmaterial zu nutzen.[4] Criswell ließ Flüchtlinge und Ausgebombten so gut es ging versorgen und begann mit Aufräumarbeiten auf dem Gelände.

Die verkehrsgünstige Lage Frankfurts und der gute Erhaltungszustand des I.G. Farben-Gebäudes weckten das Interesse von Criswells Vorgesetztem, General Dwight D. Eisenhower, dem damaligen Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte. Dieser ließ nach einiger Überzeugungsarbeit – denn Frankfurt sollte ursprünglich zur französischen Besatzungszone gehören – die „Supreme Headquarters Allied Expeditionary Forces“ (SHAEF) in den ersten Stock des I.G. Farben-Hauses einziehen. Als diese Organisation am 14. Juli 1945, rund drei Monate nach Kriegsende, aufgelöst wurde, übernahm Eisenhower als amerikanischer Militärgouverneur und Oberbefehlshaber der „U.S.-Forces European Theater“ (USFET) wiederum die Leitung und die Räumlichkeiten. Der Konferenzsaal 130 im ersten Stock des I.G. Farben-Gebäudes wurde zu seinem häufig genutzten Amtszimmer und trägt daher heute den Namen „Eisenhower-Saal“ [LINK].

Das Spektrum der Aufgaben der USFET war vielfältig: Neben der Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung, der Entwaffnung der verbleibenden Wehrmachtseinheiten und dem Aufbau einer neuen Polizei musste die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und medizinischer Betreuung gewährleistet werden. Außerdem mussten die sogenannten „displaced persons“ (DP), also ehemalige Kriegsgefangene, Konzentrationslagerhäftlinge und Zwangsarbeiter, reintegriert oder – sofern möglich – in ihre Heimat überführt werden. Zugleich galt es, Kriegsverbrecher zu finden und zu bestrafen sowie Kriterien für die Entnazifizierung der deutschen Gesellschaft zu entwickeln. Später war die USFET auch an der Neuordnung Deutschlands beteiligt: 1948 wurden im Eisenhower-Saal die Grundlagen für die Bildung der ersten Bundesländer erarbeitet, und von hier aus erteilte Eisenhower den Auftrag, eine neue Verfassung, das spätere Grundgesetz, zu entwerfen.

In den folgenden Jahrzehnten blieb das I.G. Farben-Gebäude von enormer Bedeutung.[5] Als sich die westlichen Siegermächte und die Sowjetunion entzweiten und der „Kalte Krieg“ begann, wurde ab 1951 hier das fünfte Korps der US-Infanterie stationiert. Die US-Streitkräfte wollten Frankfurt als Standort – und damit das I.G. Farben-Gebäude als Sitz – behalten, und so wurde es zum „Pentagon of Europe“. Entscheidend hierfür war die zentrale strategische Lage der Stadt. Von hier aus konnte die militärische Sicherung des „Fulda Gap“, eines möglichen Einfallskorridors für die Streitkräfte des Warschauer Pakts von etwa 100 km Länge, an der Innerdeutschen Grenze gesteuert werden. Daher blieben während des Kalten Krieges zwei Divisionen mobiler Einheiten, also Panzer und gepanzerte Fahrzeuge, in Frankfurt stationiert.

Bis zum Abzug der amerikanischen Truppen Mitte der 1990er Jahre war das I.G. Farben-Gebäude zentraler Bestandteil der US-amerikanischen Militärplanungen. Aus diesem Grunde wurde es auch zum Ziel eines der ersten Anschläge, den die damals neu entstehende Terrorgruppe „Rote Armee Fraktion“ (RAF) 1972 auf US-amerikanische Einrichtungen verübte. Bei diesem ersten Anschlag wurden der amerikanische Oberstleutnant Paul A. Bloomquist getötet und dreizehn weitere Personen verletzt. Drei weitere Anschläge auf das Gebäude sollten folgen.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands zogen die Amerikaner aus Frankfurt ab und übergaben das seit 1975 nach dem General und Oberbefehlshaber der US-Truppen im Vietnamkrieg als  „Creighton W. Abrams Building“ bezeichnete I.G. Farben-Gebäude im Jahre 1995 den deutschen Behörden. Die Überlegungen, was mit dem Areal geschehen sollte, hatten zu diesem Zeitpunkt längst begonnen.

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Literatur und Links:

  • Drummer, Heike/Zwilling, Jutta: Von der Grüneburg zum Campus Westend. Die Geschichte des IG Farben-Hauses. Frankfurt am Main 2007.
  • Kirkpatrick, Charles: Das I.G. Farben-Gebäude als Sitz der Amerikaner – 1945-1995. In: Meißner, Werner/Rebentisch, Dieter/Wang, Wilfried (Hrsg.): Der Poelzig-Bau. Vom I.G. Farben-Haus zur Goethe-Universität. Frankfurt am Main 1999, 104-122.

[1] Kirkpatrick 1999, 104.
[2] Ebd., 105.
[3] Ebd., 106.
[4] Drummer/Zwilling 2007, 96.
[5] Kirkpatrick 1999, 110ff.