Der Umzug der Goethe-Universität auf den neuen Campus Westend

Überlegungen und Pläne zum Umzug der Universität hatte es schon 1993 gegeben, als erstmals der Abzug der US-Armee aus den damals „Abrams Building“ genannten Gebäuden diskutiert wurde. Dass der in den 1920er Jahren von dem Architekten Hans Poelzig entworfene Komplex weiterhin genutzt werden sollte, stand angesichts des guten Zustandes der Gebäude und in Anbetracht der enormen Größe des architektonisch wertvollen Ensembles außer Frage. Zu klären war lediglich, welche Organisation oder Institution der neue Nutzer sein könnte.

Öffentlich diskutiert wurde zunächst, ob die Europäische Zentralbank hier ihren neuen Sitz finden könne oder ob das Frankfurter Polizeipräsidium ansässig werden sollte [1]. Weil beides wegen der NS-Geschichte des Gebäudes unangemessen schien, wurden 1994 Stimmen für die Nutzung durch eine öffentliche Einrichtung laut. Der damalige Präsident der Goethe-Universität, Professor Meißner, ergriff die Chance, den innerstädtischen Hauptstandort der Universität von Bockenheim in das Westend zu verlagern. Beginnend mit dem Umzug der Geistes- und Sozialwissenschaften sollte so ein in Deutschland einzigartiger Campus entstehen. Nach langen Verhandlungen erwarb das Land Hessen das Areal samt dem vom Architekten Hans Poelzig für die I.G. Farben errichteten Gebäude 1996 vom Bund, wobei man einen Wert von 148 Millionen DM festlegte. Aufgrund der damaligen haushaltsrechtlichen Bestimmungen zur öffentlichen Nachnutzung sogenannter Konversionsliegenschaften musste der Bund dem Land Hessen hiervon noch 50% erlassen, und beteiligte sich im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau darüber hinaus mit ebenfalls 50% an den Kosten für die Um- und Neubauarbeiten. [2] Die Mittel zum Kauf durch die Universität stammten aus Finanzumschichtungen – einen Teil des Geldes hatte das Land bereits für den Neubau eines Gebäudes für die Geisteswissenschaften in Bockenheim freigegeben.

Weil nicht wenige das Gebäude mit den während des Nationalsozialismus durch die I.G. Farben begangenen Kriegs- und Menschheitsverbrechen verbanden, wurde auch innerhalb der Universität kontrovers über den Umzug diskutiert. Hinzu kam, dass die Universitätsgeschichte selbst von den Ereignissen der NS-Zeit überschattet war: Auch die Goethe-Universität hatte zahlreiche jüdische und politisch unliebsame Professoren entlassen und mit ihren Forschungen auf unterschiedlichen Gebieten die Kriegsvorbereitung sowie die ideologischen Standpunkte der Nationalsozialisten unterstützt. 1935 war das „Universitätsinstitut für Erbbiologie und Rassenhygiene“ gegründet worden, und überzeugte Nationalsozialisten, wie beispielsweise Otmar von Verschuer und Joseph Mengele, hatten an der Universität gelehrt und geforscht.[3] Kurz: Die historische Vergangenheit der Universität war Mitte der 1990er Jahre nur teilweise aufgearbeitet, und der Bezug des I.G. Farben-Gebäudes war ein Anstoß, sich intensiv mit der NS-Vergangenheit des Gebäudes sowie ihrer eigenen Geschichte im Nationalsozialismus auseinanderzusetzen.

Die Kontroversen um die Nutzung des I.G. Farben-Areals waren vielfältig. So entbrannten heftige Debatten um die Benennung des Gebäudes. Nachdem sich zahlreiche Stimmen im Sinne eines Neuanfangs vergeblich für den neutralen Begriff „Poelzig-Bau“ ausgesprochen hatten, reichte eine studentische Initiative 1999 einen Konventsantrag für die Weiternutzung des Begriffs „I.G. Farben-Haus“ ein. Durch eine Abstimmung im Universitätskonvent wurde dem Antrag stattgegeben; der geschichtsträchtige Ort sollte auch Gedenkort und Mahnmal für die Ereignisse der Vergangenheit sein. Anlässlich des Einzugs wurden zwei Gedenktafeln zur Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus im Eingangsbereich des I.G. Farben-Gebäudes enthüllt. Weitere Gedenkorte, wie etwa das Norbert Wollheim Memorial, folgten.

Die Umgestaltung des I.G. Farben-Hauses und des zugehörigen Casinos waren eine bauliche Herausforderung. Auch wenn die amerikanischen Streitkräfte die Gebäude in einem relativ guten Zustand hinterlassen hatten, mussten doch einige Umbauten im Inneren wieder Rückgängig gemacht werden: So hatten die Amerikaner etwa den großen ehemaligen Versammlungsraum des I.G.-Verwaltungsrates komplett entkernt und in einen Sqashraum verwandelt (heute befinden sich dort Bibliotheksräume im Querbau 1).[4] Es galt daher, die als Kulturdenkmal geschützten Gebäude an die Bedürfnisse der universitären Nutzung anzupassen, aber die Architektur Poelzigs zu erhalten. An einer europaweiten Ausschreibung nahmen 1997 insgesamt 125 Architekturbüros teil. Das dänische Team „Dissing & Weitling“ erhielt den Zuschlag und entwickelte die notwendigen räumlichen Neuzuschnitte. Weite Teile, wie etwa das Foyer, die Eisenhower-Rotunde und die Treppenhäuser blieben im alten Zustand, die großen Büroflächen wurden entkernt. Zusätzliche Fluchttreppen wurden eingebaut und eine an die neuen Ansprüche angepasste Raumaufteilung vorgenommen. Nach einer nur dreijährigen Umbauphase fand am 26. Oktober 2001 die Neueröffnung statt, und die Geisteswissenschaften begannen ihren Umzug vom Campus Bockenheim ins Westend. Weitere Fachbereiche und Institute sowie das Präsidium folgten, nachdem entsprechende Neubauten fertiggestellt waren. Der dritte Bauabschnitt der Campusgestaltung befindet sich derzeit in Umsetzung. Nach Fertigstellung soll das gesamte Gelände zwischen Fürstenbergstraße, Bremer Straße und Hansaallee, Miquelallee sowie Grüneburgpark mit rd. 28 Hektar (inkl. Reserveflächen 33 Hektar) Gesamtfläche von der Universität genutzt werden.

Der  Campus Westend ist heute, neben dem Campus Riedberg der Naturwissenschaften und dem Standort der Universitätsklinik in Niederrad, einer der drei Hauptstandorte der Goethe-Universität. Bis jedoch alle Fächer, Verwaltungsgebäude und Einrichtungen hierher verlegt sein werden, wird es noch einige Zeit dauern.[5]

© Forschungszentrum Historische Geisteswissenschaften


Literatur und Links:

  • Drummer, Heike/Zwilling Jutta: Von der Grüneburg zum Campus Westend. Die Geschichte des IG-Farben-Hauses. Frankfurt am Main 2007.
  • Dudde, Daniel: Das IGF als militärisches Hauptquartier. Wie bauten die Amerikaner das Gebäude für ihre Zwecke um? In: USE – Universität Studieren/Studieren Erforschen, Frankfurt am Main, 14.10.2014.
  • Hammerstein, Notker: Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. 3 Bände, Neuwied und Frankfurt 1989, 2012, 2014
  • Meißner, Werner: Die Zukunft der Goethe-Universität. In: Meißner, Werner/Rebentisch Dieter/Wang, Wilfried (Hrsg.): Der Poelzig-Bau. Vom I.G. Farben-Haus zur Goethe-Universität. Frankfurt am Main 1999, 147-158.
  • Meißner, Werner: Goethe zieht um. Wie die Goethe-Universität ins Westend kam. Frankfurt am Main 2014.
  • Ortmeyer, Benjamin: Jenseits des Hippokratischen Eids: Josef Mengele und die Goethe-Universität. Frankfurt am Main 2014.
  • Uni Report: „Attraktive Vision für Campus Westend. Land, Stadt und Goethe-Universität verständigen sich über Grundstückstausch“. Frankfurt am Main, 1/2017, 1.
  • Wagner, Klaus: Erwerbsgeschichte des Poelzig-Ensembles. In: Meißner, Werner/Rebentisch Dieter/Wang, Wilfried (Hrsg.): Der Poelzig-Bau. Vom I.G. Farben-Haus zur Goethe-Universität. Frankfurt am Main 1999, 123-129.
  • Foto: Im ehemals großen Sitzungssaal der I.G. Farben waren in der Zeit der amerikanischen Nutzung des Gebäudes Squashplätze untergebracht. Nach dem Umbau beherbergt der zweigeschossige Raum nun einen Teil der Germanistik-Bibliothek im I.G. Farben-Gebäude. Quelle: Goethe-Universität (auf Wikipedia als Autor so genannt).

[1] Drummer/Zwilling 2007, 120.
[2] Wagner 1999, 126-128.
[3] Ortmeyer 2014
[4] Dudde 2014
[5] Meißner 1999; Uni Report 1/17, 1.