Das „Irrenschloss“ auf dem Affenstein – „Anstalt für Irre und Epileptische“

Denn Reimerich Kinderlieb, der im Jahre 1845 mit seinem „Struwwelpeter“ deutschlandweite Bekanntheit erlangte, hieß eigentlich Dr. Heinrich Hoffmann (1809-1894)[1] und war ein „Mann der Tat“. So, wie er den Mangel an bebilderten Büchern für Kleinkinder nicht hinnahm und selbst zum Autor wurde,[2] akzeptierte er auch die schon damals als menschenunwürdig geltenden Zuständen des Frankfurter „Tollhauses“ nicht, dessen Direktor er 1851 wurde. Weil es sich bei der Einrichtung eher um ein Gefängnis oder eine Verwahrstelle als um ein Krankenhaus handelte, organisierte der stark im Frankfurter Vereins- und Kulturleben engagierte Mediziner eine erfolgreiche Sammelaktion unter der Frankfurter Bürgerschaft, um eine zeitgemäße Versorgung der Kranken sicherzustellen. Die neue Einrichtung sollte dabei erstmals auch für die medizinische Versorgung jüdischer Bürgerinnen und Bürger offenstehen, die sich an der Finanzierung des Baus beteiligten.

Der ganzheitliche Ansatz, den Hoffmann verfolgte, unterschied sich von der hergebrachten Psychiatrie grundlegend, und die Überzeugung, dass psychische Erkrankungen auf physische Ursachen zurückzuführen seien, prägte auch die Planung der weitläufigen Anlage. Das Areal der „Anstalt für Irre und Epileptische“ sollte über Gärten und Parzellen zum Anbau von Obst und Gemüse, Bäder und Wasserklosetts, sowie nach Geschlecht und Krankheit getrennte Innen- und Außenbereiche verfügen. Aufenthalte an der frischen Luft, gesunde Ernährung und ausreichend Hygiene sollten einen Ausgleich für die erkrankte Psyche schaffen. Im Sinne der Trennung der Kranken nach ihren Leiden entstanden zum Beispiel auch der „Hof für die Tobsüchtigen“ und der „Garten für die Unruhigen“. Anregungen gewann Hoffmann auf mehreren „Belehrungsreisen“ zu anderen Anstalten in Westeuropa und England, die er 1856 zusammen mit dem Architekten Oskar Pichler unternahm, dessen Frau an einem nervösen Leiden litt.

Weil die Stadtverwaltung ihr Mitspracherecht bei der Außengestaltung der psychiatrischen Anstalt geltend gemacht hatte, wurde die Fassade im neogotischen Stil errichtet. Mit den 1859 begonnenen Bauarbeiten bürgerte sich für den herrschaftlich anmutenden Komplex der Name „Irrenschloss“ ein. Im Sinne der weiteren Ausdifferenzierung entstand auf dem Gelände unter Hoffmanns Nachfolger 1909 eine der deutschlandweit ersten Abteilungen für Kinder und Jugendliche.

Nachdem das „Irrenschloss“ der neu gegründeten Stiftungsuniversität 1914 als „Städtische Universitätsklinik für Gemüts- und Nervenkranke“ angegliedert wurde, mussten die Gebäude einige Jahre später wegen der gestiegenen Anforderungen an die Behandlung und Unterbringung von Patienten aufgegeben werden. Im Jahr 1929 wurden sie abgerissen und ein Neubau bei den Universitätskliniken in Niederrad errichtet. Das ehemalige Gelände der Anstalt wurde von der „Interessengemeinschaft Farbenindustrie A.G.“ (I.G. Farben) gekauft, die es zum Bau ihrer Hauptverwaltung nutzte, dem berühmten „Palast des Geldes“.

© Forschungszentrum Historische Geisteswissenschaften


Literatur und Links:

  • Bildnachweise: Original Kupferstich des Gebäudes durch den Architekten Oskar Pichler. Erschienen 1863 in Allgemeine Bauzeitung, Pläne, BL. 594. Quelle: ANNO/ Österreichische Nationalbibliothek; Der Struwwelpeter, Buchdeckel vorn der 400. Auflage (1917). Gestaltet durch Heinrich Hoffmann.  Exemplar der Universitätsbibliotek Braunschweig. Quelle: Wikipedia Commons/ gemeinfreies Werk
  • Drummer, Heike/Zwilling, Jutta: Von der Grüneburg zum Campus Westend. Die Geschichte des IG Farben-Hauses. Frankfurt am Main 2007.
  • Ewers, Hans-Heino: „Der Schlingel hat die Welt erobert – ganz friedlich, ohne Blutvergießen“. Warum der Struwwelpeter bis heute ein Beststeller ist. Forschung Frankfurt 1/27, 2009, 32-40.
  • Roloff, Eckart / Henke-Wendt, Karin: Ein buntes Haus – von der Psychiatrie bis zum Kinderbuch – Klassiker. ( Heinrich-Hoffmann & Struwwelpeter-Museum, Frankfurt am Main), in: Besuchen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Eine Tour durch Deutschlands Museen für Medizin und Pharmazie, Bd. 2. Stuttgart 2015, S. 188-190
  • Struwwelpeter-Museum in Frankfurt am Main: www.struwwelpeter-museum.de