Weltweit sind Menschen auf der Flucht. Das hat zur Folge, dass immer mehr Sprachen, kulturelle und historische Hintergründe, Religionen und individuelle Lebensgeschichten aufeinandertreffen, sich bereichern, aber auch neuartige Herausforderungen für die Gesellschaft in ganz unterschiedlichen Bereichen entstehen – auch in Deutschland. Besonders in Bezug auf traumatisierte Menschen sind Ansätze für psychologische Interventionen notwendig. Auch eine gute (Aus-)Bildung ist wichtig, für die Integration in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt, denn geflüchtete und migrierte Menschen sind generell einem hohen Armutsrisiko ausgesetzt. Gleichzeitig besteht dadurch die Gefahr gesellschaftspolitischer Vorurteile und Ausgrenzungen. Folglich muss der Bildungssektor mit langfristigen Maßnahmen zur Einbindung von Geflüchteten unterstützt werden, denn viele von ihnen sind in einem Alter, in dem Schule, Studium oder Ausbildung den Lebensmittelpunkt darstellen. Lehrkräfte müssen diesen Gegebenheiten angepasst aus- und weitergebildet werden.

Aus pädagogischer und psychologischer Sicht wird deutlich, dass viele langfristige Anforderungen auf uns zukommen: Welche sozial- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen werden benötigt, damit MigrantInnen nicht dauerhaft in Armut leben müssen? Wie gestalten sich die Bildungsbedingungen für geflüchtete Kinder und Jugendliche in Deutschland langfristig? Mit welchen therapeutischen Handlungsweisen kann den besonderen psychischen Problemen und Belastungen geflüchteter Menschen angemessen begegnet werden?

Auf diese Fragen gehen in der interdisziplinären Vortragsreihe „Gesellschaft in Bewegung“ der Fachbereiche Erziehungswissenschaften, Gesellschaftswissenschaften, Psychologie und Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung der Goethe-Universität Frankfurt international renommierte Wissenschaftler ein. Sie diskutieren dabei die gesellschaftspolitischen, psychologischen sowie bildungswissenschaftlichen Perspektiven auf die Thematik Migration und Flucht. Eingeladen zu dieser Vortragsreihe an der Goethe-Universität, die im Rahmen der von der Deutsche Bank AG initiierten und geförderten Stiftungsgastprofessur „Wissenschaft und Gesellschaft“ stattfindet, sind interessierte Bürgerinnen und Bürger, Studierende sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Theorie und Praxis, die mit geflüchteten Menschen arbeiten.

Programm der Vortragsreihe

08.11.2017, 18 Uhr, Anbau Casino Saal West, Campus Westend

(Kinder-)Armut und Fluchtmigration – Herausforderungen für Schule und Gesellschaft

Prof. Dr. Christoph Butterwegge

Auf Grund der Fluchtmigration der letzten Jahre dürfte sowohl die absolute als auch die relative Armut zunehmen. Es besteht die Gefahr einer dauerhaften ethnischen Unterschichtung der Gesellschaft, vor allem dann, wenn Geflüchtete sozial ausgegrenzt, in Wohnsilos am Rande der Städte gedrängt und diskriminiert werden. Das „importierte“ Flüchtlingselend darf aber nicht zur Messlatte für Armut in Deutschland gemacht werden. Umgekehrt gilt vielmehr: Je wohlhabender eine Gesellschaft ist, desto weiter sollte ihr Armutsverständnis sein!

Um die Hauptgefahr der Ghettoisierung von Flüchtlingen und der Kriminalisierung von Migranten zu bannen, ist eine inklusive Sozial-, Bildungs-, Gesundheits-, Stadtentwicklungs- und Wohnungsbaupolitik notwendig.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge studierte Sozialwissenschaften, Rechtswissenschaften, Psychologie und Philosophie. 1980 promovierte und 1990 habilitierte er im Fach Politikwissenschaften an der Universität Bremen. Darauf folgten Dozententätigkeiten an der Akademie für Arbeit und Politik sowie an der Forschungs- und Bildungsstätte für die Geschichte der Arbeiterbewegung im Lande Bremen und an den Universitäten Bremen, Münster und Duisburg, der PH Erfurt sowie den Fachhochschulen Bremen, Fulda und Magdeburg. Butterwegge war von 1991 – 1994 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bremischen Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung. Bis 2016 war er Professor für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln und Mitglied der Forschungsstelle für interkulturelle Studien. Zuletzt ist sein Buch „Armut“ (PapyRossa Verlag, Köln 2017) erschienen.


15.11.2017, 18 Uhr, Anbau Casino Saal West, Campus Westend

The diversity dividend: Why the economic, social and cultural benefits of immigration are much greater than commonly thought

Philippe Legrain

Der Vortrag wird auf Englisch gehalten!

Migration sorgt in Europa aus verschiedenen Gründen für kontroverse Diskussionen. Kritiker und Populisten werfen Migranten und Migrantinnen vor, Arbeitsplätze wegzunehmen, den Wohlfahrtsstaat zu gefährden und die nationale Identität, lokale Kulturen sowie die Sicherheit zu gefährden. Doch die meisten dieser Vorwürfe sind nicht haltbar oder stark übertrieben. Stattdessen können Migranten und Migrantinnen sowie Flüchtlinge im Speziellen viel Positives zu einer Gesellschaft beitragen, die bereit ist, sich für sie zu öffnen.

Philippe Legrain ist Senior Visiting Fellow am London School of Economics’ European Institute. Er gründete das Open Political Economy Network (OPEN), einen internationalen Think-Tank, und arbeitet als Kolumnist für die „Project Syndicate“ und die „Foreign Policy“.

Von 2011 bis 2014 war er wirtschaftlicher und politischer Berater des Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso. Davor beriet er den Direktor der Welthandelsorganisation Mike Moore und arbeitete als Handels- und Wirtschaftskorrespondent für „The Economist“.

24.01.2018, 18 Uhr, Anbau Casino Saal West, Campus Westend

Im Jahrhundert der Migration: Psychische Funktionstüchtigkeit als Schlüssel für gelingende Gesellschaften

Prof. Dr. Thomas Elbert

Gewalterfahrungen verändern das Wesen des einzelnen Menschen. Bedrohliche Erfahrungen werden nicht einfach vermerkt, sondern sollen den Organismus für künftige Gefahren fit machen. Mit zunehmender Belastung wird eine Anpassung aber nicht mehr positiv möglich, es kommt zu seelischem Leid und Funktionsverlust.

In der Narrativen Expositionstherapie erstellt der Patient einen chronologischen Bericht über seine Lebensgeschichte mit Schwerpunkt auf lebensbedrohenden Erfahrungen. Lückenhafte Angaben zu den traumatischen Erlebnissen werden mithilfe der imaginativen Wiedererfahrung sensorischer, emotionaler, kognitiver, körperlicher Erinnerungen und deren Bedeutung in Lebensgeschichten überführt. Es kommt zum Erkennen und zu einem Verständnis für das eigene Verhalten und Gefühlsspektrum und zu einer Würdigung der Person in einer Gesamtschau.

Prof. Dr. Thomas Elbert studierte Psychologie, Mathematik und Physik. 1978 wurde er in Tübingen promoviert, wo er (unterbrochen von Gastprofessuren an der Pennsylvania State University und an der Universität Stanford) bis 1989 lehrte. Danach leitete er als Professor an der Universität Münster eine Forschungsgruppe im neurowissenschaftlichen Bereich.  Seit 1995 ist er Professor für Klinische Psychologie und Verhaltensneurowissenschaften an der Universität Konstanz. Gemeinsam mit Prof. Dres. Frank Neuner und Maggie Schauer entwickelte er die Narrative Expositionstherapie zur Reduzierung traumatischer Stress-Symptome. Elbert ist Hector-Fellow, Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, und hält Honorarprofessuren an der Université Lumière in Burundi und der Mbarara University of Science and Technology in Uganda.

31.01.2018, 18 Uhr, Anbau Casino Saal West, Campus Westend

Trauma in a cross-cultural perspective

Prof. Dr. Devon Hinton

Der Vortrag wird auf Englisch gehalten!

Der kulturelle Hintergrund eines Menschen  hat einen tiefgreifenden Einfluss auf seine Traumaerfahrungen. Schwere Traumata können zu einer Reihe von Symptomen führen, welche kulturell unterschiedlich interpretiert werden und zu verschiedenen Vorstellungen in Bezug auf den Geist und den Körper führen. Prof. Dr. Hinton spricht über Beispiele aus Kambodscha, Afghanistan und Syrien und wird Schlüsselsymptome und –syndrome betrachten. Er wird aufzeigen, dass kulturgebundene Syndrome die Interpretation von Traumasymptomen stark beeinflussen – auch in Bezug darauf, wie der Symptomverlauf aussieht und wie Patienten diese behandeln lassen. Hinton präsentiert ein Modell, mit dem sich die Entwicklung von Symptomen und der Einfluss unserer kulturell angepassten psychologischen Behandlung für Trauamopfer nachvollziehen lässt.

Devon E. Hinton M.D., Ph.D., ist Anthropologe und Psychiater. Er ist außerordentlicher Professor der Psychiatrie am Massachusetts General Hospital und am Department of Global Health and Social Medicine der Harvard Medical School. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf kulturspezifischen Erscheinungen somatischer Symptome, Panikattacken, Panikstörungen und Posttraumatischen Belastungsstörungen bei geflüchteten Menschen.


07.02.2018, 18 Uhr, Anbau Casino Saal West, Campus Westend

Migration im Verlauf der Schulbiografie. Die Situation migrierter Kinder, Jugendlicher sowie junger Erwachsener im deutschen Bildungssystem und Möglichkeiten der Professionalisierung im Lehramt

Mona Massumi

Mona Massumi wird in ihrem  Vortrag einen Überblick über die „Gruppe“ neu zugewanderter Kinder, Jugendlicher und junger Erwachsener gegeben, um im Anschluss anhand rechtlicher Rahmenbedingungen und schulorganisatorischer Modelle die institutionellen Bedingungen für die Einbindung migrierter SchülerInnen ins Bildungssystem aufzuzeigen. Im Weiteren soll anhand eines Praxisbeispiels gezeigt werden, wie Lehramtsstudierende durch institutionell verankerte Angebote in der Arbeit mit Lernenden mit geringen Deutschkenntnissen professionalisiert werden können. Abschließend werden sowohl die Chancen als auch Herausforderungen dieses Angebots zur Professionalisierung von Lehramtsstudierenden kritisch beleuchtet.

Mona Massumi ist Lehrerin und hat sechs Jahre lang im Schwerpunkt Internationale Förderklassen an einem Berufskolleg unterrichtet. Seit 2013 ist sie abgeordnet an das Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln. Dort koordiniert sie den Arbeitsbereich „Diversity“ mit dem Fokus Migration. Neben Rassismuskritik in der LehrerInnenbildung ist die Professionalisierung von (angehenden) Lehrkräften in der Arbeit mit neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen einer ihrer Arbeitsschwerpunkte. Außerdem promoviert sie zu Schulverläufen von migrierten Jugendlichen im deutschen Bildungssystem.


14.02.2018, 18 Uhr, Anbau Casino Saal West, Campus Westend

Let’s Talk about Difference: Empowering First-generation College Students to Succeed

Prof. Dr. Nicole M. Stephens

Der Vortrag wird auf Englisch gehalten!

Gängige Meinungen in der Literatur stellen das Aufzeigen von sozialen Unterschieden oft als Quelle von Stereotypisierungen und Diskriminierungen dar. Die meisten sozialpsychologischen Maßnahmen zur Reduktion von Leistungsunterschieden vermeiden die Betrachtung der Unterschiede der Studierenden und somit auch deren Potential. Prof. Dr. Nicole M. Stephens stellt die Frage, inwiefern es möglich ist, Studierende über die Potentiale ihrer verschiedenen Hintergründe aufzuklären und somit benachteiligten Studierenden zu helfen, eine erfolgreiche Hochschulbildung abzuschließen. Stephens wird sich der Thematik auf die neue Art der „Difference-Education“ annähern und  verschiedene Prozesse aufzeigen, in welchen die Thematisierung von Ungleichheiten die akademischen Leistungen verbessern kann sowie verdeutlichen, wo diesem neuen Ansatz auch Grenzen gesetzt sind.

Nicole M. Stephens ist außerordentliche Professorin für Management und Organisation an der Kellogg School of Management. Sie promovierte in Psychologie an der Stanford University. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Rolle der Kultur als ein starker und dennoch häufig vernachlässigter Faktor in Bezug auf die Motivation und die Erklärung menschlichen Verhaltens. Ihre gegenwärtige Forschung beschäftigt sich mit der Rolle der Kultur als Quelle sowie als Lösung von Ungleichheiten in Schulen und am Arbeitsplatz. Sie testet die Effizienz von forschungsbasierten Maßnahmen, welche die Verbesserung der Lebens- und Lernsituationen von unterrepräsentierten Gruppen zum Ziel haben.