Archäologische Feldforschungen 2018:

In der Grabungskampagne 2018, die vom 19.07.2018 bis zum 30.08.2018 durchgeführt wurde, lag der Schwerpunkt der Forschungen weiterhin auf der Untersuchung des 2017 neu entdeckten Wall-Graben-Systems im Westen Olbias sowie auf den architektonischen Entwicklungsphasen innerhalb des Vorstadtareals. Mittels einer Sondagengrabung galt es zudem, eine 2017 im Südwesten des geophysikalisch prospektierten Areals lokalisierte, markante Anomalie archäologisch zu klassifizieren, die sich allein durch ihre beachtlichen Ausmaße deutlich von allen anderen bislang bekannten Objekten im direkten Umfeld unterscheidet und die auf einen außergewöhnlichen Gebäudekomplex schließen lässt (Abb. 1 Nr. 5). Für alle drei Zielsetzungen konnten insgesamt hervorragende Ergebnisse erzielt werden!

Auf der Basis der geophysikalischen Prospektion ist es dem deutsch-ukrainischen Kooperationsprojekt nunmehr tatsächlich gelungen, im Westen Olbias an mehreren Stellen ein Wall-Graben-System auf einer Länge von insgesamt über 480 m zu verfolgen, das an seinem südlichen Abschluss zudem direkt auf eine Geländesenke zuläuft, die steil herab an das ca. 15 m tieferliegende Flussufer führt. Der archäologische Befund im Grabungsareal HEKP-7 bestätigt einen durchschnittlich 4 m breiten und vom antiken Laufniveau aus bis zu 2 m eingetieften Graben (Abb. 2). Direkt östlich verläuft zudem ein ebenfalls bis zu 4 m breiter Wall, der an der heutigen Oberfläche zwar nicht mehr erkennbar ist, dessen Ausdehnung in der Grabungskampagne 2018 aber im Planum überzeugend ermittelt werden konnte. Fragmente chiotischer, thasischer und lesbischer Amphoren unmittelbar aus dem Bereich der Grabensohle sowie das reichhaltige Fundspektrum aus den weiteren Füllschichten verweisen darauf, dass der Graben um die Mitte des 5. Jhs. v.Chr. angelegt worden und bis in die erste Hälfte/Mitte des 4. Jhs. v. Chr. in Funktion geblieben ist (hierzu jüngst Fornasier u. a. 2018).

Dieses früheste Fortifikationssystem wird zukünftig unsere Vorstellungen zur Genese und städtebaulichen Struktur des archaischen und klassischen Olbias grundlegend verändern. Der chronologische Ansatz des neu entdeckten Wall-Graben-Systems ab der Mitte des 5. Jhs. v. Chr. ist dabei von ebenso großer Bedeutung wie das Faktum, dass der eindeutig rekonstruierbare Verlauf der Fortifikation nicht nur die gesamte Vorstadt, sondern auch die östlich gelegene Kernstadt, die zu diesem Zeitpunkt noch über keine eigene Fortifikation verfügte, auf der gesamten nordsüdlichen Länge zur Landseite hin abschirmt. Für annähernd drei Generationen bildete sie den architektonisch einfach konzipierten, jedoch äußerst effektiven Schutz der gesamten Stadtfläche zum Landesinneren, bis sie im Laufe der ersten Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. durch eine massive, aus Stein errichtete Stadtmauer entlang des dreiecksförmigen Kernstadtareals ersetzt und die ehemals besiedelte Fläche zwischen den beiden Befestigungslinien nunmehr aufgelassen wurde. Eingedenk dieser Beobachtungen gilt es zukünftig – vor allem auch unter Einbezug der Ergebnisse früherer Grabungen – die traditionelle Einteilung des olbischen Territoriums in eine Kern- und eine Vorstadt neu zu bewerten, liegt doch nunmehr ein erstes handfestes Indiz dafür vor, dass offenbar von Anfang an nur ein einziges zusammenhängendes Stadtareal existiert hat.

Die jüngsten Grabungsergebnisse des deutsch-ukrainischen Projektes führen auch zu einem neuen chronologischen Ansatz für den Urbanisierungsprozess im Areal der sog. Vorstadt. Die aktuellen Feldforschungen des Kooperationsprojektes konzentrierten sich in diesem Zusammenhang in den vergangenen Jahren zunächst auf das Grabungsareal HEKP-4 direkt nördlich der sog. Weststraße. Die hier freigelegten Wohn- und Wirtschaftsstrukturen belegen eindeutig, dass die Nutzung dieser Areale bereits in der zweiten Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. beginnt und nicht mehr – wie bislang vermutet – auf das 5. Jh. v. Chr. beschränkt ist. In der Grabungskampagne 2018 standen demgegenüber nunmehr die Arbeiten im Areal Π-2 im Zentrum der Aufmerksamkeit, mit denen eine weitere Grubenstruktur fern der Weststraße im Südwesten des Vorstadtareals gezielt auf die Frage eines schrittweisen Siedlungsprozesses untersucht wird. Auch wenn die Feldforschungen im Areal Π-2 erst in der Grabungskampagne 2019 abgeschlossen werden und eine endgültige Auswertung der Funde und Befunde erst dann möglich ist, fügen sich die erzielten Ergebnisse in das von uns favorisierte, aktuelle Entwicklungskonzept der Stadtgenese Olbias bislang überzeugend ein.

Die neu angelegte Sondage im Areal Π-1 im Südwesten des Vorstadtareals komplettiert schließlich die Feldforschungen der diesjährigen Kampagne und bildet zugleich einen weiteren wichtigen Ausgangspunkt für eine geplante, intensivierte Erforschung sowie Neukonzeption der olbischen Stadtgenese in archaischer und klassischer Zeit. Neben der außergewöhnlichen Größe der Anomalie (10 x 20 m) ist vor allem auch ihre konkrete Lage im olbischen Stadtbild bemerkenswert, da sie anscheinend ein Verteilungsmuster aufnimmt, das durch verschiedene Sakralzonen aus dem 6. Jh. v. Chr. gebildet wird und das wie eine frühe Eingrenzung des zur Besiedlung vorgesehenen Areals wirkt (Abb. 1 Nr. 1–5). Die Existenz von Heiligtümern direkt an den Grenzen neuer Siedlungsterritorien oder Einflusssphären ist in der Forschung bereits mehrfach thematisiert worden, auch wenn dieses Prinzip offensichtlich in erster Linie für die Sichtbarmachung der territorialen Ansprüche im Umland neuer Siedlungen aufgezeigt worden ist. Der archäologische Befund in Olbia könnte zukünftig allerdings als ein handfestes Indiz dafür dienen, das eine zunächst sakrale Absicherung möglicherweise auch im Kontext der eigentlichen Genese einer Koloniestadt Anwendung finden konnte.

Der im Sommer 2018 fixierte archäologische Befund im Grabungsareal Π1 bestätigt an dieser Stelle bereits ein über 2 m in den Boden eingetieftes Gebäude des 6. Jhs. v. Chr., das somit in die gleiche Zeit wie ein weiter nördlich gelegener, von Julia Kozub in den 1960er Jahren an vergleichbarer Stelle aufgefundener Kultkomplex datiert (Abb. 1 Nr. 4). Neben der topographischen Lage und der Synchronität beider Strukturen stimmt auch ihre außergewöhnliche Eintiefung überein, die sonst von keiner anderen bekannten Struktur im sog. Vorstadtareal erreicht wird. Auch zeigt das Kleinfundspektrum in seiner Quantität und Qualität bemerkenswerte Übereinstimmungen mit den Befunden aus den frühen Heiligtümern Olbias. Dazu zählen zwei sog. Opfertischchen (Abb. 3), das Fragment einer Terrakotta-Statuette mit der Darstellung einer sog. Sitzenden Göttin (Abb. 4) sowie das Fragment eines Dachziegels, für den sich Analogien aus dem 6. Jh. v. Chr. bislang ausschließlich in den bereits bekannten Heiligtümern der damaligen Zeit nachweisen ließen.

Ein ausführlicher Vorbericht ist derzeit in Vorbereitung und wird nach seiner Veröffentlichung an dieser Stelle mit dem entsprechenden Literaturzitat aufgeführt. Bis dahin sei auf folgende Publikation verwiesen:

Lit.: J. Fornasier/A. V. Bujskich/A. G. Kuz’miščev, Ein Stadtbild im Wandel. Neue Ergebnisse eines deutsch-ukrainischen Forschungsprojektes aus der griechischen Kolonie Olbia Pontike. Das Altertum 62, 2017 [2018], 241–270.

 

Abb. 1: Olbia Pontike. Plan der Stadt mit Lage der bislang bekannten Heiligtümer (1–4)
sowie der Anomalie südwestlich des Kernstadtareals (5) (Foto: Olbia-Projekt).

 
 

Abb. 2: Olbia Pontike. Südprofil des im Areal HEKP-7 freigelegten Grabens (Foto: Olbia-Projekt).

 
 

Abb. 3: Olbia Pontike. Sog. Opfertischchen aus dem Grabungsareal Π1 (Foto: Olbia-Projekt).

 
 

Abb. 4: Olbia Pontike. Fragment einer Terrakotta-Statuette aus dem Grabungsareal Π1 (Foto: Olbia-Projekt).