Ingeborg Schulze-Schröder

Ein Dasein als Hausfrau und Mutter. Das war vor mehr als einem halben Jahrhundert in der Bundesrepublik nicht nur eine private Entscheidung, sondern auch ein staatlich gewolltes Lebensmodell. Die Erinnerung daran empört Ingeborg Schulze-Schröder noch heute. Bis 1977 blieb es dem Ehemann per Gesetz vorbehalten, seine Zustimmung zu verweigern, wenn seine Frau arbeiten oder studieren wollte. Auch Schulze-Schröder konnte ihren größten Wunsch, Jura zu studieren, erst nach einigen Umwegen realisieren. Weder ihr Vater noch ihr Ehemann, den sie sehr jung Anfang der sechziger Jahre heiratete, hatten für ihren Herzenswunsch Verständnis. Doch Ehe und der erstgeborene kleine Sohn wogen die fehlenden persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten nicht auf.

Mit der Unterstützung einer befreundeten Kinderfrau gelang es ihr, den Traum von einem Jurastudium zu verwirklichen. Glück und Zufall nennt die ehemalige Richterin das. Mit hoher Motivation, Disziplin, sehr viel Kraft und exzellenten Examen setzte sie sich durch. So manches Mal habe sie bis morgens um vier Uhr in der Früh an Urteilen geschrieben, erzählt sie, Frühstück für ihre Kinder habe sie dennoch immer gemacht. Das ist ihr wichtig zu betonen. Ingeborg Schulze-Schröder wirkt wie viele Frauen ihrer Generation, die entgegen allen Widerständen beruflich erfolgreich arbeiteten: sehr taff, sehr geradlinig und – sehr stilbewusst. Ein Kriegskind, das als Fünfjährige an Heiligabend 1944 einen Bombenangriff auf das Elternhaus überlebte. Eine schöne Frau, die nie nur Schmuckstück ihres Mannes sein wollte. Sie schaffte es als Richterin über Amtsund Landgericht bis an das Oberlandesgericht in Frankfurt. Dort wirkte sie mehr als 20 Jahre. Zivilrecht war ihr Fachgebiet.

Wie sehr der eigene Lebensweg Antrieb für ihr heutiges universitäres Engagement ist, zeigt die Gründung der Ingeborg-Schulze-Stiftung. Ingeborg Schulze-Schröder möchte alle begabten und leistungsbereiten jungen Frauen ermuntern, ihre Talente und Fähigkeiten so weit wie möglich zu nutzen. Um diesen eine Hilfestellung zu bieten, fördert Ingeborg Schulze-Schröder engagierte Studentinnen inzwischen mit jährlich drei Deutschlandstipendien. Darum hat sie eine Verbrauchsstiftung gegründet und verfügt, dass ihre Förderung über ihren Tod hinaus für mindestens zehn Jahre fortbestehen wird. Sie investiere gerne in etwas, was positive Früchte trägt, sagt Ingeborg Schulze-Schröder.

Frau Schulze-Schröder, sind Sie ein Fan der Eintracht Frankfurt? Sie haben als Richterin dem Verein im Jahr 2002 seinen Zweitliga-Platz gesichert.

Nein, ich bin überhaupt kein Fußballfan, und die damalige Entscheidung meines Senates beim Oberlandesgericht hatte natürlich auch nichts mit der Vorliebe für irgendeinen Verein zu tun. Der bayrische Konkurrent SpVgg Unterhaching bezweifelte die Lizenzfähigkeit der Eintracht aus verschiedenen Gründen. Das erwies sich aber als haltlos.

Richterin an einem Oberlandesgericht ist für viele ein Traumjob. Wie verlief Ihre eigene Karriere?

Der Ausdruck »Traumjob« passt eigentlich nicht recht. Ich wusste zwar schon mit Beginn meines Jurastudiums, dass ich später als Richterin arbeiten möchte, und habe das dann mit Leib und Seele mehr als 30 Jahre getan. Der Beruf aber ist mit einer sehr hohen Arbeitsbelastung verbunden, und zwar schon seit den 1980er-Jahren. Oft arbeiteten wir bis zu 55 Stunden, natürlich ohne zusätzliche Honorierung, obwohl es sich eigentlich um eine 40- und später sogar 38-Stunden-Woche handeln sollte.

Sie studierten Jura an der Frankfurter Goethe-Universität in den 1960er-Jahren, also zu einer Zeit, in der Sie die Erlaubnis zum Studium von Ihrem Ehemann benötigten. Wie haben Sie das durchgesetzt?

Zunächst einmal waren meine Eltern für meine berufliche Laufbahn nach dem Abitur zuständig. Ein Studium allerdings hatten sie für mich nicht vorgesehen, obwohl ich das sehr gerne wollte. In die Bildung eines Mädchens viel zu investieren kam für die meisten Eltern damals nicht infrage, weil sie mit ihrer baldigen Heirat und Enkeln rechneten. Ich nahm deshalb Ende der 1950er-Jahre im hessischen Justizdienst eine Ausbildung zur Rechtspflegerin auf. Während dieser Zeit lernte ich meinen späteren Ehemann kennen. Wir zogen nach der Heirat nach Bremerhaven, wo mein Mann eine Beamtenstelle hatte.

Als Hausfrau alleine mit dem ersten Kind in einer völlig fremden Umgebung ohne Kontakte war ich aber so unterfordert und unglücklich, dass ich mir schwor, für den Rest meines Lebens lieber viel zu viel zu arbeiten, als jemals noch mal so gelangweilt auf einen kleinen Haushalt beschränkt zu sein. Ich überredete dann meinen Mann, mir das Studium zu erlauben. Seine Bedingung war, dass der Haushalt trotzdem ordentlich von mir geführt sein musste.

Als Sie Ihr Studium begannen, hatten Sie schon eine Familie. Damals gab es noch keine Uni-Kindergärten für den Nachwuchs von Studierenden. Wie haben Sie Studium und Familie unter einen Hut gebracht?

Die Gelegenheit für ein Studium ergab sich, als mein Mann sich nach Frankfurt versetzen ließ. Nun hatte ich nicht nur wieder Kontakt zu meiner Familie, sondern auch die Unterstützung der besten Freundin meiner Mutter, eine Kriegerwitwe ohne eigene Kinder. Sie kümmerte sich um unseren kleinen Sohn, während ich juristische Vorlesungen besuchte. Ohne diese »Ersatzoma« hätte ich das auf keinen Fall schaffen können, und ohne sie hätte mir mein Ehemann dieses Studium auch nicht erlaubt.

Welche Hindernisse mussten Sie überwinden, um es bis zum Oberlandesgericht zu schaffen?

Es gab keine großen Hindernisse. Als ich auf die Universität kam, freute ich mich, auf die intellektuelle männliche Elite zu treffen und war sehr bescheiden. Man hatte mir immer gesagt, Mädchen könnten nicht logisch denken und deshalb auf keinen Fall Jura studieren. So hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt kein großes Selbstwertgefühl. Dies änderte sich allmählich, weil ich fast alle Kommilitonen bald überflügeln konnte. Beide Staatsexamina bestand ich mit »gut«, also einem selten erreichbaren Prädikatsexamen. Es war deshalb nicht schwer, eine Stelle als Richterin zu bekommen. Zur Richterin am Oberlandesgericht konnte man nur ernannt werden, wenn man vorher erfolgreich dort ein Probejahr, gemeinhin »drittes Staatsexamen« genannt, absolviert hatte. Dies gelang mir Anfang der 1980er-Jahre.

Sie schrieben nebenbei auch Bücher und arbeiteten zudem als Lektorin für den Beck-Verlag. Wie kam es dazu?

Die Tätigkeit als Lektorin in der Frankfurter Redaktion des Beck-Verlages wurde mir Mitte der 1990er-Jahre angetragen. Dort lektorierte ich neben meinem Richterberuf und auch später als Pensionärin juristische Fachliteratur, d. h. Aufsätze und Urteile. Es war dem Verlag wichtig, dass dies jemand aus der Praxis macht. Die eigenen Bücher – es handelt sich dabei um zwei kleine Bände mit Versen – habe ich allerdings nicht nebenbei, sondern erst nach Abschluss meiner beruflichen Tätigkeit veröffentlicht.

Welches Buch ist das wichtigste in Ihrem Leben?

Die wichtigsten Bücher meines Lebens waren Märchenbücher. Ich habe nach dem Zweiten Weltkrieg lesen gelernt, und dieses waren die einzigen und ersten Bücher, die es damals für Kinder gab. Die darin enthaltene Unterscheidung zwischen »Gut« und »Böse« hat mich neben christlicher Erziehung sehr geprägt und auch mein Gerechtigkeitsgefühl geformt.

Sie haben die Ingeborg-Schulze-Stiftung gegründet. Warum?

Der Hauptanlass für die Gründung meiner Stiftung war die Sorge, dass wir die ständig steigenden Sozialleistungen in der Bundesrepublik bald nicht mehr aufbringen werden können, ohne die arbeitende Bevölkerung mit Steuern und Abgaben zu überfrachten, wenn nicht neue Einkünfte erschlossen werden. Woher soll das Geld denn kommen? Der Zweck meiner Stiftung ist es, intellektuelle Fähigkeiten zugunsten der Bildung und Fortbildung zu fördern. Bildung ist die wichtigste und fast einzige Ressource der Bundesrepublik. Die Stiftung soll einen Beitrag dazu leisten, Wissenschaft und Forschung in diesem Land voranzutreiben.

Sie unterstützen jedes Jahr mehrere Studentinnen finanziell mit einem Deutschlandstipendium. Warum ausschließlich Studentinnen?

Das hängt zum Teil mit meinem eigenen Lebenslauf zusammen. Ich hatte ja schließlich alleine aufgrund der Tatsache, dass ich ein Mädchen war, erhebliche Probleme bei der Durchsetzung meines Studienwunsches und es allein dem Zufall, dass ich eine »Kinderfrau« fand, zu verdanken, dass ich ihn verwirklichen konnte.

Diese Probleme haben sich heute durch Betreuungsangebote für Kinder zwar entspannt, aber immer noch ist es in der Regel die Mutter, die in erster Linie für die Versorgung der Babys und Kleinkinder zuständig ist und dadurch berufliche Ausfälle, Zurücksetzungen und Karriereknicke hinnehmen muss. Die Stipendien sollen dafür einen gewissen Ausgleich schaffen und dazu dienen, sich nicht entmutigen zu lassen. Dies gilt insbesondere auch für Studentinnen mit Migrationshintergrund: Das Stipendium soll ihnen auch zu größerer Anerkennung ihres Bildungsinteresses innerhalb der Familie verhelfen.

Hervorragende Studienleistungen gepaart mit gesellschaftlichem Engagement sollen sich lohnen – so eines der Ziele des Deutschlandstipendiums. Wie wichtig sind Ihnen Exzellenz und gesellschaftliche Verantwortung?

Ich halte die Förderung tüchtiger Menschen für unsere Gesellschaft für außerordentlich wichtig. Fleiß, Einsatz und Verantwortungsgefühl fand ich denn auch bei all meinen bisherigen Stipendiatinnen in hohem Maße bestätigt. Es erscheint mir nur gerecht, diese Eigenschaften zu honorieren, wenn schon Arbeitslose praktisch ein volles Gehalt, wenn auch im unteren Bereich, ohne jeden gesellschaftlichen Einsatz erhalten.

Als Förderin eines Deutschlandstipendiums ist man gewissermaßen Patin der Stipendiaten. Wie gestaltet sich Ihr Kontakt zu Ihren Stipendiatinnen?

Mir ist der persönliche Kontakt zu meinen Stipendiatinnen sehr wichtig: Diesen pflege ich durch gemeinsame Konzertbesuche in der Alten Oper Frankfurt oder andere Veranstaltungen, wie zum Beispiel eine kurze Wanderung, eine Stadtbesichtigung oder einen Theaterabend, die Idstein-Jazzwoche oder dergleichen, offensichtlich bisher zu beiderseitigem Interesse und Genuss.

Ihr Lebensmotto?

Lieber Motivation und Stress als Resignation und Langeweile.

Das Interview führte Heike Jüngst