Fragen an Nadia Sergan

Ehemalige AStA-Vorsitzende der Goethe-Universität

Politik ist ihre Leidenschaft. Nadia Sergan engagiert sich schon als Schülerin. Gerade mal sieben Jahre alt, wird sie erstmals zur Klassensprecherin gewählt. Später vertritt sie die Interessen der Schülerinnen und Schüler im Frankfurter Stadtschülerrat. Sergan hat ein ausge-prägtes Gespür für Gerechtigkeit, kämpft schon früh für Ausgleich und Chancengleichheit. So scheint es nur folgerichtig, dass die heute 36-Jährige als junge Politikstudentin an der Goethe-Uni 2008 zur AStA-Vorsitzenden gewählt wird – Nadia Sergan mischt sich ein, auf freundliche, aber durchaus bestimmte Art.

Eigentlich hat sie so gar nichts Kämpferisches in Gestik, Mimik oder Sprachausdruck. Nadia Sergan ist vielmehr eine warmherzige und bodenständige Frau und doch durch und durch intellektuell und reflektiert. Argumente wägt sie sorgfältig ab. Als Nachrichtenjunkie, wie sie sich selbst bezeichnet, ist sie informiert und belesen. Ein Studium wird der Tochter einer Tschechin und eines Ägypters bereits in die Wiege gelegt. Sie stammt zur Hälfte aus einer Akademikerfamilie. Schon ihre Prager Großeltern waren Juristen. Nadia Sergan wächst in Frankfurt mit einer selbstbestimmten studierten Mutter – im Spannungsfeld von sozialen Brennpunkten und bürgerlichen Verhältnissen – und einer Schwester auf.

Das prägt. Wenn Nadia Sergan heute gefragt wird, wie sie Kind, Arbeit, Studium und politisches Engagement unter einen Hut bekommt, irritiert sie das. Sie kennt es nicht anders. Als Frau benachteiligt zu sein, ist für Nadia Sergan keine Kategorie. Als 2012 ihr Sohn geboren wird, arbeitet sie neben dem Studium als Studienberaterin an ihrem Fachbereich der Politikwissenschaften. Das ging gut zusammen, sagt sie, so wie es auch heute für Nadia Sergan selbstverständlich ist, ein weiteres Mal zu studieren. Sie ist in die Fußstapfen ihrer Großeltern getreten und studiert seit einem Jahr Jura an der Goethe-Universität. Ihr Sohn liebt es, sie auf dem Campus Westend zu besuchen. Nadia Sergan wurde so erzogen, dass sie in keine Schublade passen muss.

Frau Sergan, einer ganzen Generation von Studierenden sind Sie als streitbare AStA-Vorsitzende in Erinnerung. Wie kommen Sie zu diesem Ruf?
Ist das so? Das ist mir nicht bewusst. Ich war ja zwei Jahre AStA-Vorsitzende, von 2008 bis 2010. Möglicherweise haben mich diejenigen in Erinnerung, die 2009 bei den Bildungsstreiks und bei der Besetzung des Casinos dabei waren.

Was waren die Ziele des Bildungsstreiks, wer profitierte davon?
Wir setzten uns für eine bessere Bildungspolitik ein. Es ging vor allem um eine kritische Begleitung des Bologna-Prozesses. Damals wurde das Bachelor-/Master-System auch deutschlandweit eingeführt. Plötzlich drehte sich alles um workload, um credit points. Die sogenannte Bachelorisierung war ein damals unausgereifter Schnellschuss. Wir forderten demokratische Mitbestimmung und haben mit unserem Protest erreicht, dass die neuen Prüfungsordnungen und die Curricula zugunsten der Studierenden angepasst wurden. Die Pläne waren anfangs zu großen Teilen unrealistisch, das heißt heillos überfrachtet.

Halten Sie Ihre Kritik am Bologna-Prozess, der Harmonisierung des europäischen Hochschulraums, nach wie vor für gerechtfertigt?
Ja. Absolut. Es zeigt sich bis heute, dass durch die Verknappung von Masterstudienplätzen nicht alle Studierenden einen voll- bzw. forschungsqualifizierenden Abschluss erlangen können. Das Studium ist ökonomisiert worden, verschult. Wenn man heute studiert, kann man so gut wie nichts anderes machen, will man die vorgeschriebene Semesterzahl einhalten. Deshalb forderten wir auch als radikales Gegenprojekt die Öffnung der Hochschulen – inhaltlich wie strukturell.

Die Streikbeteiligten besetzten damals das Casino der Goethe-Universität. Das Präsidium ließ es bereits zwei Tage später räumen.
Wir hatten das Casino besetzt, um Zeit und Raum zu schaffen für eine kritische Auseinandersetzung mit den Veränderungen, die mit der Ökonomisierung der Hochschulen einhergingen. Ein Sinnbild dafür war für uns beispielsweise auch der Einzug des House of Finance auf den Campus. Die Hochschulräte gewannen immer mehr Einfluss, was wiederum die demokratisch gewählten Gremien in ihren Mitbestimmungsrechten schwächte. Wir hatten dazu zahlreiche eigene Veranstaltungen mit gesellschaftskritischen Themen organisiert. Statt sich dieser Diskussion zu stellen, wie es Uni-Leitungen an anderen Standorten taten, wurden wir geräumt. Letztlich ging es nur um die Kosten, nicht um Inhalte.

Sie waren also auch dagegen, dass die Goethe-Universität sich 2008 ihrer Wurzeln besann und sich zur Stiftungsuniversität wandelte. Warum?
Bei der Umwandlung zur Stiftungs-universität sahen wir die Freiheit von Forschung und Lehre durch die Einflussnahme aus der Privatwirtschaft gefährdet. Wir forderten auch die paritätische Besetzung der Hochschulgremien. Wir sahen das als Angriff auf die Errungenschaften der Studentenbewegungen in den Jahrzehnten zuvor. Man wollte den Studierenden eine neue Corporate Identity einbläuen, machte sie aber bloß zu Statisten. Das passte nicht zusammen.

Die Goethe-Universität erreichte mit diesem Schritt eine größere Unabhängigkeit vom Staat. Das müsste Ihnen doch gefallen haben?
Naja... Es werden Professoren eingestellt, die das Renommee der Universität nach außen hin steigern sollen, um die nächste Exzellenzinitiative zu gewinnen. Ich bin der Meinung, dass eine Universität hinreichend staatlich finanziert sein muss und fordere ganz klar, dass die Universität den Studierenden auch den gesellschaftlichen Auftrag vermittelt, der mit Wissen einhergeht: soziale Verantwortung.

Sie studieren aktuell in einem Zweitstudium Jura an der Goethe-Universität, sind also eine Wiederholungstäterin und kehrten hierher zurück. Was hat sich verändert?
Die Uni hat sich in eine unternehmerische Hochschule gewandelt. Das zeichnete sich schon ab, als ich 2014 meine Diplomarbeit über die Rolle des Career Centers als Beitrag zur aktivierenden Hochschule geschrieben habe. Es sind heute fast doppelt so viele Studis hier. Rückzugsorte gibt es dafür kaum noch. Ein neues Studierendenhaus fehlt immer noch. Gut finde ich, dass es heutzutage das Deutschlandstipendium gibt. Das ermöglicht es wenigstens ein bisschen, ungleiche Chancen auszugleichen – jenseits von Bestnoten.

Können Sie Ihren ehemaligen »Widersachern«, dem damaligen Vize-Präsidenten für Studium und Lehre, heute Third Mission, Prof. Schubert-Zsilavecz und dem damaligen Präsidenten Müller-Esterl ohne Groll begegnen?
Dazu gibt es eine lustige Geschichte. Ich habe über LinkedIn aus Versehen alle ehemaligen Kontakte eingeladen, sich mit mir auf dieser Plattform zu verlinken. Schubert-Zsilavecz hatte mir daraufhin eine E-Mail geschrieben. Das hat mich positiv überrascht. Wir haben daraufhin ein gutes Gespräch geführt.

Wenn Sie könnten, wollten und dürften: Welche Empfehlung würden Sie der Goethe-Universität in Sachen Studium und Lehre heute geben?
Die Universität soll die Studierenden mit so viel methodischem Handwerkszeug wie möglich unterstützen. Das hilft, unterschiedliche Startbedingungen auszugleichen. Das Projekt »Starker Start ins Studium« finde ich wichtig. Für Studierende mit Migrations- oder Fluchterfahrung sollten die Hürden für einen Studienplatz nicht so hoch sein. Die Leute wissen selbst, dass sie Deutsch lernen müssen. Man kann Angebote machen. Aber es muss nicht alles zur Bedingung werden, wie beispielsweise das Vorzeigen eines C1-Zertifikats. Wichtiger ist es, viele neue Bekanntschaften zu machen.

Was machen Sie, wenn Sie gerade nicht nebenbei studieren, sich politisch engagieren, sich um Kind und Haushalt kümmern?
Ich arbeite hauptberuflich als Coach und Dozentin in einer Bildungseinrichtung und kümmere mich da um die Integration von Geflüchteten am Arbeitsmarkt. Außerdem möchte ich mich wieder an der Uni engagieren. Diesmal aber bei der Goethe Law Clinic (...lacht). Dann verbringe ich viel Zeit mit Nachrichtenlesen. Sehr wichtig ist mir auch, den Kontakt zu meinen Freunden zu pflegen. Die meisten meiner heutigen Freunde habe ich damals während meiner Zeit im AStA kennengelernt. Sie sind mein politisches wie auch emotionales Zuhause.

Welche Haltung trägt Sie durchs Leben?
Optimismus. Teilhabe. Für Gerechtigkeit kämpfen.

Wovon träumen Sie?
Davon, dass der Klimawandel eine Rolle rückwärts macht.

Das Interview führte Heike Jüngst