Linked Open Tafsīr

AIWG-Longterm-Forschungsgruppe

Linked Open Tafsīr – Rekonstruktion der Entstehungsdynamik(en) des Korans mithilfe der Netzwerkmodellierung früher islamischer Überlieferungen

Die Longterm-Forschungsgruppe ‚Linked Open Tafsir – Rekonstruktion der Entstehungsdynamik(en) des Korans mithilfe der Netzwerkmodellierung früher islamischer Überlieferungen' ist ein Projekt der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG) der Goethe-Universität Frankfurt, das gemeinsam durchgeführt wird von der Goethe-Universität Frankfurt, der Justus-Liebig Universität Gießen und der Humboldt Universität Berlin. Die Antragsteller Ömer Özsoy (GU), Yaşar Sarıkaya (JLU Gießen) und Serdar Kurnaz (HU Berlin) haben 1.347.500 Euro Projektmittel für die Laufzeit bis Oktober 2022 bewilligt bekommen.

Das Projekt hat die Erstellung einer online abrufbaren Datenbank früher exegetischer Überlieferungsmaterialien auf Basis des Kommentarwerks von aṭ-Ṭabarī (gest. 310/923) zum Ziel. Sein Werk Ǧāmiʿ al-bayān ʿan taʾwīl āy al-Qurʾān kann nach heutigem Kenntnisstand als Sammlung des Großteils aller zu Anfang des 4./10. Jahrhunderts vorliegenden exegetisch relevanten Überlieferungen gelten. In der Datenbank werden die in diesen Überlieferungen enthaltenen Informationen zu historischen Begebenheiten zur Offenbarungszeit sowie den kulturellen, religiösen, sozialen und sprachlichen Rahmenbedingungen der Koranentstehung erfasst. Für die Erfassung der Überlieferungen bzw. Informationen in den Überlieferungen werden mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz Programme entwickelt, die den Erfassungsprozess signifikant beschleunigen. Das Projekt soll eine solide Forschungsgrundlage für Zugänge zur Reflexion der Offenbarungsdynamik(en) des Korans in der frühen Exegese schaffen. Die Datenbank wird insofern „offen“ sein, als dass zu einem späteren Zeitpunkt weitere exegetische Kompilationen sowie frühere Überlieferungswerke hinzugefügt werden können. Weiterhin werden die beteiligten Wissenschaftler_innen diese Zugänge in ihren Forschungsprojekten im Hinblick auf das Islamische Recht, die Systematische Theologie, die Ḥadīṯwissenschaft, die Tafsīrgeschichte und die Religionspädagogik reflektieren.

Die Erstellung der Datenbank erfolgt in mehreren Schritten: Zunächst sammeln die Projektbeteiligten bereits digital verfügbare Überlieferungen des Kommentarwerks von aṭ-Ṭabarī, um daraus ein erstes digitales Textkorpus zu erstellen. Im Anschluss wird eine Datenbank aufgebaut, die alle in den exegetischen Überlieferungen erhaltenen Informationen über das Offenbarungsumfeld (Mikro-, Makro- und Sprachumfeld), Lesarten, intratextuelle Zusammenhänge (Wiederholung, Querreferenz, Abrogation, Spezifikation etc.) und einzelne Inhaltselemente (Ort, Zeit, Person etc.) als solche erfasst, markiert, vernetzt und auffindbar macht. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt liegt in der Erschließung der Überliefererketten (Isnāde) und einzelner Tradent_innen. Die Datenbank soll entsprechend verschiedener Forschungsinteressen genutzt werden können: So werden sich beispielsweise alle exegetischen Überlieferungen aus dem Werk aṭ-Ṭabarīs, welche verschiedene Koranverse mit einer bestimmten Person in Verbindung bringen, in einem einzigen Suchvorgang auffinden lassen. Ebenso werden sich durch die Datenbank unmittelbar Teilkorpora anzeigen lassen, die über dieselben Tradent_innen überliefert worden sind. Es ist geplant, die Funktionalität der Datenbank sowie exemplarische Suchmöglichkeiten in Form von YouTube-Tutorials vorzustellen.

Das innovative Potenzial des Projekts liegt vor allem in seinem digitalen Forschungsansatz: Während bisherige Ansätze bei der Erschließung der in der muslimischen Tradition vorfindlichen außerkoranischen Informationen über die Historizität des Korans vor allem textimmanent vorgehen, nutzt das Projekt die Möglichkeiten der Digital Humanities und ermöglicht durch die Erstellung einer digitalen Datenbank den Zugang zu ergänzenden Informationen. Dies wird wahrscheinlich auch neue Bedeutungsmöglichkeiten für einzelne Koranpassagen sowie alternative Geschichtsschreibungen zur Korangenese und Islamentstehung generieren.

Ein wichtiger Bestandteil der Arbeit der Forschungsgruppe ist der Transfer der Forschungsergebnisse in die muslimische Zivilgesellschaft und die breitere Öffentlichkeit: Das Projekt sowie Grundannahmen und Teilergebnisse sollen in YouTube-Videos vorgestellt und über soziale Netzwerke zugänglich gemacht werden. In Kooperation mit der Gesellschaft zur Förderung der Islamstudien (GEFIS) führen die Beteiligten zudem Bildungsarbeit durch, bei der Studierende zu Bildner_innen weiterqualifiziert werden, die in Wochenendseminaren den Erwerb von Differenzierungs-, Kontextualisierungs- und Konfliktkompetenz ermöglichen.

In der Forschungsgruppe arbeiten Wissenschaftler_innen der Standorte Frankfurt, Gießen und Berlin zusammen. In Frankfurt liegt der Schwerpunkt auf der Datenbankerstellung und der Reflexion der Bedeutung der Projektergebnisse für die beteiligten Disziplinen der Islamischen Theologie. Gießen reflektiert die Relevanz der Ergebnisse für die Religionspädagogik. In Berlin liegt ein Schwerpunkt auf Islamischem Recht. Um die Methoden und Ergebnisse mit der Fachwelt zu diskutieren, werden regelmäßig Workshops und Konferenzen durchgeführt.

 

Projektteam:

Goethe-Universität Frankfurt am Main

  • Ömer Özsoy, Projektleiter (Koranexegese)
  • Sajawel Ahmed, Projektkoordinator (Digital Humanities)
  • Misbahur Rehman, Koordinator der Datenbankarbeit (Hadithforschung)
  • Edin Mahmutovic, Projektmitarbeiter (Koranlesarten)
  • Joshua Tischlik, Wissenschaftliche Hilfskraft (Digital Humanities)
  • Haya Naji, Studentische Hilfskraft (Quellenrecherche)

Humboldt-Universität zu Berlin

  • Serdar Kurnaz, Projektleiter (Islamisches Recht)
  • NN, Projektmitarbeiter/in (NN)

Justus-Liebig-Universität Gießen

  • Yaşar Sarıkaya, Projektleiter (Religionspädagogik)
  • Mehmet Soyhun, Projektmitarbeiter (Gemeindepädagogik)
  • Déborah Kathleen Grün, Projektmitarbeiterin (Korandidaktik)

Assoziierte

  • Ayşe Başol, GU Frankfurt am Main (sīra-Forschung)
  • Daniel Birnstiel, GU Frankfurt am Main (ḥadīṯ-Forschung, semitische Sprachen)
  • Lhcen Essiaghi, GU Frankfurt am Main (Bibliotheca Coranica)
  • Zishan Ghaffar, Universität Paderborn (Koranwissenschaften)
  • Andreas Görke, Universität Edinburgh (isnād-cum-matn-Analyse)
  • Nader Hammami, Universität Karthago (sīra-Forschung)
  • Mehmet Akif Koç, Universität Ankara (tafsīr-Geschichte)
  • Tuğrul Kurt, GU Frankfurt am Main (isrāʾīliyyāt-Forschung)
  • Maxim Romanov, Universität Wien (Islamische Digital Humanities)
  • Nimet Şeker, GU Frankfurt am Main (Koranexegese)
  • Mira Sievers, HU zu Berlin (Systematische Theologie)
  • Sercan Üstündağ, GU Frankfurt am Main (Koranhermeneutik)

Fellows

  • Betül Yimez, AIWG-Praxisfellow (Pädagogik), Gesellschaft zur Förderung der Islamstudien (GEFIS)