Projekte

Habilitationsprojekt:

Dezision und Dissoziation. Entscheidungskrisen in der Literatur des Vormärz

Im kultursemiotischen System der 1830er und 1840er Jahre lässt sich eine charakteristische Polarisierung beschreiben, die nicht erst einer politisch aufgeladenen Forschungsgeschichte entspringt (‚Biedermeier' vs. ‚Vormärz'). Vielmehr konstruiert schon die Literatur dieser Übergangsphase gezielt Bifurkationen, zwischen denen sich Akteure und Figuren notwendig zu ‚entscheiden' haben – häufig zwischen eher ‚restaurativen' oder eher ‚revolutionären' Modellen. Das Projekt analysiert Inszenierungsformen dieser Entscheidungsprozesse, mit denen die Literatur zwischen Julirevolution und 1848 rekurrent über Möglichkeiten nachdenkt, wie genau das Subjekt eine zukunftsoffene Krisenphase mitzugestalten vermag. Ein ambivalentes Nachdenken über Entscheidungen wird damit zur Epochensignatur eines kulturhistorischen Paradigmenwechsels, jenseits der zerstrittenen Einzelströmungen hinaus.

Am Beispiel von Nikolaus Lenau (‚Zerrissenheit') und Ferdinand Freiligrath (‚Entschlossenheit') werden zunächst zwei kulturgeschichtliche Pole beschrieben, mit denen einzelne Subjekte auf einen zunehmenden Diskursdruck der Operativität reagieren. Anschließend wird anhand von Gegenüberstellungen vorgeführt, inwiefern eine Entscheidungskrise die Literatur jenseits von feldtheoretischen Spaltungen (quer-)verbindet: Nicht nur zwischen Heinrich Heine und Eduard Mörike lässt sich eine vergleichbare Reflexion auf Polarisierungsphänomene nachweisen; unerwartete Analogien tauchen auch zwischen Karl Gutzkow und Adalbert Stifter, zwischen Ida Hahn-Hahn und Fanny Lewald sowie zwischen Ludwig Tieck und Theodor Mundt auf. Der Fokus auf Entscheidungsideale und ihre Fallstricke fördert einen Knackpunkt im Verständnis der politisierten Vormärz-Literatur zutage, die sich selbst in regionalisierenden Spielformen jeweils um eine operationsreflexive Frage kreist: Wie kann ein nachdenkendes Subjekt in einer untragbar gewordenen Multioptionalität zur dezisionistischen Eindeutigkeit gelangen?

Tagung und Band:

Gespenstische Technologie. Neoromantische Technik- und Medienreflexionen um 1900. Tagung (Göttingen, 22.-24. Juni 2023) und Buchprojekt zusammen mit Stefan Tetzlaff.

Das kulturelle Leben um 1900 ist geprägt von einer Medienrevolution: Kino, Fernsprecher, Phonographen und Röntgenbilder verändern die alltägliche Wahrnehmung. Zugleich experimentieren literarische Texte wieder mit einer ‚Romantik der Nerven' (H. Bahr), um grelle Effekte und subjektive Wahrnehmungsmuster auf ästhetische Weise zu erkunden. Der Band kartographiert, wie vielfältig gerade eine Neoromantik um 1900 die Wechselwirkung zwischen Technologie und Tradition verhandelt. Dabei blicken einzelne Beiträge auf die gespenstischen Medialitäten u.a. des frühen Films (George Méliès), der Photographie (bei Rilke) und des selbstspielenden Klaviers. Auch Bleistifte oder moderne Fahrräder dienen Kunst und Literatur in diesen Jahrzehnten zur innovativen Wahrnehmungsverfremdung. So offenbart sich anhand von Zeitmaschinen, Geisterschiffen und Elektrovisionen eine bislang unterschätzte Medienreflexivität der Neoromantik, die zwischen Popularität und Avantgarde changiert.

Mitglied im DFG-Netzwerk

Aktuelle Perspektiven der Romantikforschung

Aufsätze zur Kartographierung und Problematisierung einer internationalen Romantik-Familie. In Arbeit: “Flashing Pebbles in the Broken Air. How the Translations of Bürger's “Lenore" triggered European Romanticism"; „Sich selbst aufbrechenFrance Prešeren und die Gelenkstellen der europäischen Romantik“; „Unentschlossene Romantik? Über die Strategien romantischen Entscheidens am Beispiel von Fichte und Tieck“

Mitarbeit am Deutschen Romantik-Museum, Frankfurt

      Aufgedeckt! Autorinnen der Romantik. Zusatzspur im Deutschen Romantik-Museum, zusammen mit Loreen Dalski und dem DFG-Netzwerk „Aktuelle Perspektiven der Romantikforschung. Mediaguide: https://guide.freies-deutsches-hochstift.de/mediaguide/autorinnen-romantik/

      France Prešeren und die slowenische Romantik. Koordination einer Ausstellung im Handschriftenstudio (14.9. –25.11.2023) in Zusammenarbeit mit der National- und Universitätsbibliothek Ljubljana und dem Kuratorenteam Igor Grdina und Urška Perenič.

Dreaming Romantic Europe. Das digitale Museum RÊVE. Medieninstallation zur europäischen Reichweite der Romantik im Ernst Max von Grunelius-Saal (09.202101.05.2022), zusammen mit Joshua Enslin.