Analyse von geladenen Teilchen

  Partonen mit hohem Transversalimpuls (pT) werden in harten Teilchenstößen in der Anfangsphase der Schwerionenkollision erzeugt. Sie müssen das heiße, dichte Medium durchqueren, das in der Kollision entsteht, ehe sie in (Hadronen-) Jets fragmentieren. Auf ihrem Weg wechselwirken sie mit dem Medium und verlieren Energie durch Gluon-Abstrahlung oder elastische Kollisionen. Die Stärke des Energieverlusts hängt dabei stark von der Dichte des Mediums ab.

Die Beobachtung eines solchen Energieverlusts nennt man üblicherweise Jet-Quenching. In der Konsequenz wird die Fragmentationsfunktion des Jets weicher: Man beobachtet eine Erhöhung der Teilchenmultiplizität im Jet bei kleinem pT und eine Unterdrückung bei hohem pT. Eine präzise Vermessung der Jet-Quenching Effekte hilft, charakteristische Eigenschaften des Mediums in der heißesten, dichtesten Phase der Kollision zu beschreiben.

Spurinformationen im zentralen Detektor des ALICE-Experiments, der Spurendriftkammer (TPC), zusammen mit den Inner-Tracking-Detektoren (ITS) erlauben die Untersuchung der Produktion geladener Teilchen in den Kollisionen.
In der Arbeitsgruppe wird insbesondere die Teilchenproduktion bei hohem Transversalimpuls (pT) in verschiedenen Reaktionssystemen und bei verschiedenen Kollisionsenergien untersucht. Ziel ist unter anderem die pT-Abhängigkeit und Natur der beobachteten starken Unterdrückung der Teilchenproduktion in Pb-Pb Kollisionen verglichen mit der Teilchenproduktion in Proton-Proton- (pp) Kollisionen besser zu verstehen. Die Analyse geladener Teilchen stellt zudem einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Rekonstruktionseffizienz und Impulsauflösung des ALICE-Central-Barrel und insbesondere der TPC dar.

Die Abbildung zeigt den sogenannten nuklearen Modifikationsfaktor, ein Maß, wie stark sich eine Schwerionenkollision von einer Superposition von Nukleon-Nukleon-Kollisionen unterscheidet (Abbildung aus JHEP 1811 (2018) 013).

TPC - Raumladungsverzerrungen und dE/dx

Eine der wesentlichen Herausforderungen der Kalibrierung der Spurendriftkammer des ALICE-Experiments stellt die Korrektur der durch den Ionenrückfluss hervorgerufenen Raumladungsverzerrungen dar. Grundlage für die Entwicklung der Korrekturen ist eine realistische Simulation der Verzerrungen, basierend auf einer vorgegebenen Raumladungsdichte.

Eine der Hauptaufgaben der TPC ist die Bestimmung des spezifischen Teilchenenergieverlusts (dE/dx) zur Teilchenidentifizierung. Dazu müssen die bestehenden Algorithmen an das ALICE Upgrade und das neue Auswertungsframework für den LHC-Run3 angepasst werden.

Die Arbeitsgruppe ist an beiden Projekten beteiligt.

O2 - Spurselektion


© ALICE CERN
Während der LHC-Runs 3 & 4, die im Jahr 2022 begonnen haben, soll das ALICE-Experiment Daten mit einer Spitzen-Kollisionsrate von etwa 50 kHz (Pb-Pb) aufnehmen. Hierfür wurden im Laufe der letzten Jahre umfassende Hardware-Erneuerungen am Experiment vorgenommen. Insbesondere die beiden Haupt-Tracking-Detektoren, die Spurendriftkammer (TPC) und der nahe am Kollisionspunkt gelegene mehrlagige Pixeldetektor (ITS) bekamen umfangreiche Upgrades. Mithilfe dieser 'neuen' Detektoren wird es möglich sein, durch eine kontinuierliche Datennahme in relativ kurzer Zeit enorm hohe Statistik zu akkumulieren und dadurch noch präzisere physikalische Messungen durchführen zu können als dies mit ALICE bisher möglich war.
Diese hohen Datenraten stellen jedoch nicht nur für die verwendete Detektor-Hardware eine grosse Herausforderung dar, sondern erfordern auch eine neue Datenverarbeitungs-Strategie. Hierfür wurde - in Kollaboration mit den Experimenten am GSI-FAIR-Komplex - ein neues, in C++ geschriebenes, Software-Framework entwickelt. Dieses 'Online-Offline' (O2) Framework unterscheidet sich konzeptionell sehr von der bisher in ALICE verwendeten Analyse-Software, denn es basiert auf dem Prinzip eines Aktoren-Modells, in dem Nachrichten (z.B. Detektor-Daten) zwischen verschiedenen virtuellen Geräten ('Devices') ausgetauscht werden. Dies ermöglicht eine resourcen-schonende und leicht parallelisierbare Datenverarbeitung. In einem ersten Schritt werden die etwa 3.5 TB/s Detektor-Rohdaten auf ungefähr 600 GB/s reduziert, um dann im sogenannten 'Event Processing Layer' auf weniger als 100 GB/s verringert und gespeichert werden zu können. Dieser synchronen Verarbeitungsebene, die Track-Rekonstruktion, Kalibrierung und Kompression beinhaltet, folgt ein asynchroner Schritt, in dem abschliessende Kalibrationen durchgeführt werden. In allen Verarbeitungsschritten muss hierbei jeweils eine sorgfältige Qualitäts-Kontrolle der Daten durchgeführt werden.

Das neue O2 Framework dient jedoch nicht nur zur Rekonstruktion und Kalibrierung der Daten, sondern soll auch für die zukünftigen Physik-Analysen verwendet werden. Hierbei wird (im Gegensatz zur bisherigen ALICE-Analysesoftware) auf ein 'flaches' Datenformat gesetzt, um auch bei der Verarbeitung der gespeicherten Messdaten eine möglichst effiziente Resourcen-Nutzung zu sicherzustellen. Für dieses neue Analyse-Framework muss zentrale Analyse-Funktionalität portiert und neu entwickelt werden. Hierbei beteiligt sich die Arbeitsgruppe aufgrund der Expertise mit der TPC beispielsweise unter anderem an der Implementierung, Weiterentwicklung und Wartung der zentralen Teilchenspur-Selektions-Software. Zudem werden in ALICE bereits erste Pilot-Analysen in das neue Framework implementiert, um dieses zu testen und auszuprobieren.

Ausgewählte Veröffentlichungen

Multiplicity dependence of charged-particle production in pp, p–Pb, Xe–Xe and Pb–Pb collisions at the LHC
S. Acharya et al. [ALICE Collaboration], Physics Letters B 845 (2023) 138110 arXiv:2211.15326

Transverse momentum spectra and nuclear modification factors of charged particles in Xe–Xe collisions at √sNN = 5.44 TeV
S. Acharya et al. [ALICE Collaboration], Physics Letters B 788 (2019) 166–179, arXiv:1805.04399

Transverse momentum spectra and nuclear modification factors of charged particles in pp, p-Pb and Pb-Pb collisions at the LHC
S. Acharya et al. [ALICE Collaboration], JHEP 1811 (2018) 013, arXiv:1802.09145

Pseudorapidity and transverse-momentum distributions of charged particles in proton-proton collisions at √s = 13 TeV
J. Adam et al. [ALICE Collaboration], Phys.Lett. B753 (2016) 319-329, arXiv:1509.08734

Transverse momentum dependence of inclusive primary charged-particle production in p- Pb collisions at √sNN = 5.02 TeV
B. B. Abelev et al. [ALICE Collaboration], Eur. Phys. J. C 74 (2014) 3054, arXiv:1405.2737

Multiplicity Dependence of the Average Transverse Momentum in pp, p-Pb, and Pb-Pb Collisions at the LHC
B. Abelev et al. [ALICE Collaboration], Phys.Lett. B 727 (2013) 371-380, arXiv:1307.1094

Energy Dependence of the Transverse Momentum Distributions of Charged Particles in pp Collisions Measured by ALICE
B. Abelev et al. [ALICE Collaboration], Eur.Phys.J. C 73 (2013) 2662, arXiv:1307.1093

Centrality Dependence of Charged Particle Production at Large Transverse Momentum in Pb–Pb Collisions at √sNN = 2.76 TeV
B. Abelev et al. [ALICE Collaboration], Phys. Lett. B 720 (2013) 52, arXiv:1208.2711

Transverse Momentum Distribution and Nuclear Modification Factor of Charged Particles in p-Pb Collisions at √sNN = 5.02 TeV
B. Abelev et al. [ALICE Collaboration], Phys. Rev. Lett. 110 (2013) 082302, arXiv:1210.4520

Suppression of Charged Particle Production at Large Transverse Momentum in Central Pb–Pb Collisions at √sNN = 2.76 TeV
K. Aamodt [ALICE Collaboration], Phys. Lett. B 696 (2011) 30, arXiv:1012.1004

Transverse momentum spectra of charged particles in proton-proton collisions at √s = 900 GeV with ALICE at the LHC
K. Aamodt et al. [ALICE Collaboration], Phys. Lett. B 693 (2010) 53, arXiv:1007.0719