Immunzellen aus dem Dottersack helfen dem frühen Embryo bei der korrekten Entwicklung seiner Organe.
Nach der Befruchtung einer
Eizelle muss bei der weiteren Entwicklung des Embryos jeder Schritt sitzen. Wohin
kommt der Kopf, wohin die Beine? Herz, Lunge, Leber und die anderen Organe müssen
richtig angelegt werden, die Zellen dürfen nicht aus der Reihe tanzen und Fehler
müssen sofort korrigiert werden. Die diesjährige Nachwuchspreisträgerin
Professorin Elvira Mass hat gezeigt, dass diese Mission von spezialisierten Immunzellen
aus dem Dottersack des frühen Embryos begleitet wird, den sogenannten Makrophagen.
Wie Ordnungshüter treten sie in Aktion, wenn in den Organanlagen nicht alles
nach Plan verläuft und tragen auch später zur Organgesundheit bei. Schwächeln
die Gewebe-Makrophagen, drohen fatale Konsequenzen.
Meistens erweitern neue
Forschungsergebnisse das bestehende Wissen, manchmal stellen sie es aber auch
auf den Kopf. Die Entwicklungsbiologin Elvira Mass vom Life and Medical
Sciences-Institut (LIMES) in Bonn gehört zu denjenigen, die bestehendes Wissen
auf den Kopf gestellt haben. Die Nachwuchspreisträgerin hat die Regeln der Organentwicklung
im frühen Maus-Embryo neu vermessen und den Makrophagen aus dem Dottersack eine
tragende Rolle zugewiesen. Bis dahin waren die Wissenschaftler fest davon
überzeugt, dass die Gewebe-Makrophagen ausschließlich aus dem Knochenmark
stammen, aus dem auch das Blut erneuert wird. Mass hat gezeigt, dass auch der Dottersack
ein wichtiger Ursprungsort ist und dass die Gewebe-Makrophagen aus dem
Dottersack lebenslang zur Gesunderhaltung der Organe beitragen – oder ihnen schaden,
wenn sie versagen. Der Dottersack ernährt den Embryo bis zur Ausbildung der
Plazenta und wird dann abgebaut.
Mehr als eine Putztruppe
Makrophagen gehören zum
angeborenen Immunsystem der Säugetiere. Sie sind Teil eines permanent aktiven
Überwachungssystems, das den Körper wie ein Radar ständig nach Bedrohungen
durchforstet. Wird das angeborene Immunsystem fündig, schlägt es Alarm und ruft
das spezialisierte Immunsystem mit seinen maßgeschneiderten Antikörpern und
Killerzellen auf den Plan. Makrophagen arbeiten als Putztruppe des angeborenen
Immunsystems, die alles beseitigt, was nicht an Ort und Stelle gehört.
Allerdings sind sie mehr als reine Fresszellen. Makrophagen produzieren auch Botenstoffe
und schaffen Nährstoffe herbei. Damit sorgen sie dafür, dass nicht nur
aufgeräumt wird, sondern auch Neues entsteht. Jedes Organ hat sein eigenes Set
an Gewebe-Makrophagen. Im Gehirn heißen diese Zellen Mikroglia, in der Leber
Kupffer-Zellen und in der Haut Langerhans-Zellen, um nur drei Beispiele zu
nennen.
Mass hat für Maus-Embryonen einen
regelrechten Atlas mit den Wanderungsbewegungen der Vorläuferzellen aus dem
Dottersack erstellt. Dabei wurde deutlich, dass diese Vorläuferzellen auf dem
Weg zu den Organanlagen noch keine ausgereiften Gewebe-Makrophagen sind,
sondern erst vor Ort ihre endgültige Bestimmung erlangen. In den Organanlagen
bilden sie dann ein dreidimensionales Netzwerk, in das die organspezifischen
Zellen nach und nach einsortiert werden, bis dass das Organ ausgereift ist. Allerdings
begleiten sie diesen Prozess auch durch ihre anderen Funktionen.
Wenn die Gewebe-Makrophagen derart
wichtig für die Entwicklung und Gesunderhaltung eines Organs sind, drängt sich
die Frage auf, was passiert, wenn die Vorläuferzellen im Dottersack mutiert
oder in besonderer Weise geprägt worden sind. Bei der Beantwortung dieser Frage
kam Mass ein Befund aus der Medizin zur Hilfe. Es gibt Tumore, bei denen sich die
Gewebe-Makrophagen unkontrolliert vermehren. Diese sogenannten Histiozytome weisen
oft eine spezifische Mutation auf. Mass hat diese Mutation bei Mäusen in die
Vorläuferzellen des Dottersacks geschleust und verfolgt, wie sich die Tiere
entwickelten. Konsequenzen zeigten sich vor allem bei den Mikroglia-Zellen. Sie
wurden funktionell nachlässiger und begannen, benachbarte Neurone zu beseitigen.
Früher oder später zeigten alle Tiere Schäden im Gehirn, die schließlich zu
einer Lähmung führten. Auch Patienten mit einer Histiozytose entwickeln im
Laufe ihrer Erkrankungen Anzeichen einer Neurodegeneration oder
Bewegungsstörungen.
Neuer Ansatz gegen
Neurodegeneration
„Diese Experimente beweisen, dass
Makrophagen mit bestimmten Veränderungen zur Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen
beitragen“, sagt Mass über ihre Ergebnisse. „Obwohl es nur Tierexperimente
sind, müssen wir uns jetzt natürlich fragen, was diese Befunde für die
Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer Demenz oder Morbus
Parkinson bedeuten“, so die Nachwuchspreisträgerin weiter. „Vielleicht tragen
nicht nur die bekannten Ablagerungen zur Entstehung beider Krankheiten bei,
sondern auch das Fehlverhalten der Mikroglia, dass durch eine Mutation in den
Vorläuferzellen des Dottersacks entstanden ist oder durch eine spezielle,
funktionell gleichartige unphysiologische epigenetische Prägung. Ich bin der
festen Überzeugung, dass wir bei der Betrachtung der Krankheitsentstehung viel
stärker auf ein mögliches Fehlverhalten der Gewebe-Makrophagen achten müssen
als bisher.“
Mass hat sich auch für die Rolle
der Makrophagen in anderen Geweben interessiert – etwa für die der Osteoklasten
im Knochen. In einem gesunden Knochen halten sich Knochenaufbau und
Knochenabbau die Waage. Für den Knochenaufbau sind die sogenannten Osteoblasten
zuständig, für den Knochenabbau die Osteoklasten. Mass konnte zeigen, dass ein Defekt
im Wachstums- und Differenzierungsprogramm der Vorläuferzellen des Dottersacks dazu
führt, dass keine funktionstüchtigen Osteoklasten entstehen. Dadurch gerät die
Balance zwischen Knochenaufbau und Knochenabbau durcheinander. Die Osteoblasten
gewinnen die Oberhand und verhärten den Knochen.
Mäuse mit einem entsprechenden
Defekt behelfen sich, indem sie nach der Geburt Unterstützung aus dem
Knochenmark holen und von dort neue Makrophagen rekrutieren. Patienten mit
einer Knochenverhärtung, einer sogenannten Osteopetrose, können das nicht, denn
anders als bei den Mäusen, bei denen Mass den Defekt nur in die Vorläuferzellen
des Dottersacks geschleust hat, ist bei den Patienten jede Zelle mutiert, auch
die Zellen des Knochenmarks. Sie können daher keine Hilfe von dort erwarten. Allerdings
könnte ihnen möglicherweise eine Bluttransfusion von gesunden Spendern helfen.
Das wird vielleicht bald in einer klinischen Studie geprüft werden.
Mass
wird in Zukunft auch untersuchen, welche Umweltfaktoren die epigenetische
Prägung in den Vorläuferzellen des Dottersacks verändern und wie diese
Veränderungen die Funktion der späteren Gewebe-Makrophagen beeinflussen. „Ich
bin der festen Überzeugung, dass viele Erkrankungen ihre Ursache in solchen
Prägungen und Veränderungen haben“, sagt Mass über ihr Forschungsvorhaben. Sie will
zum Beispiel den Einfluss mütterlicher Fettleibigkeit bei Mäusen untersuchen. Mass
hegt die Vermutung, dass die Nachkommenschaft übergewichtiger Mäuse eine Fettleber
entwickeln, weil die Kupffer-Zellen in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Mit
finanzieller Förderung der Europäischen Union wird sie in den kommenden Jahren
auch den Einfluss von Nanoplastik-Partikel aus der Umwelt auf Makrophagen
untersuchen. Teilchen, die kleiner als 500 Nanometer sind, können die
menschliche Plazenta passieren und wären damit auch in der Lage, der Fürsorge-Funktion
dieser Immunzellen während der Entwicklung zu schaden.
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