Bildungsdezernentin Weber: „Alltagsintegrierte Sprachförderung kann eine Lücke schließen“ / Initiative der BHF BANK Stiftung
Das Modellprojekt „Sprachentdecker“ unter wissenschaftlicher Federführung der Goethe-Universität zeigt, wie Deutschförderung im Alltag gelingen kann. Die Evaluierung des Projekts bestätigt: Die Methode wirkt nachhaltig. In Pandemiezeiten sind die Fördertechniken auch digital vermittelbar.
FRANKFURT. Kitas
und Grundschulen öffnen wieder. Erzieherinnen und Lehrkräfte sehen manche Kinder
seit Monaten zum ersten Mal. Wie soll nun all das Versäumte aufgeholt werden?
Besonders folgenreich waren die Schließungen für Kinder, die zuhause wenig
Unterstützung bekommen – und für mehrsprachige Kinder, deren Familiensprache
nicht Deutsch ist. Sie hatten kaum Kontakt mit der Landessprache.
Hier setzt das Modellprojekt „Sprachentdecker“, eine Initiative
von BHF BANK Stiftung, Goethe-Universität und dem Amt für multikulturelle
Angelegenheiten der Stadt Frankfurt, an. Pädagogische Fachkräfte, die am Projekt
Sprachentdecker teilgenommen haben, verfügen über Strategien, um Kinder beim
Deutschlernen im Alltag zu unterstützen. Sie haben gelernt, wie sie
Mathematikaufgaben so besprechen können, dass die Kinder dabei auch sprachlich
etwas lernen. Sie fordern die Kinder zum Beispiel dazu auf, nicht nur das
Ergebnis einer Aufgabe zu nennen, sondern auch zu erklären, wie sie darauf
gekommen sind. Dabei geben sie den Kindern Satzmuster vor, die beim Antworten
helfen: „Als erstes habe ich...“ „Weil..., muss man ...“. Auch in der Kita
regen die Erzieherinnen die sprachliche Entwicklung der Kinder an, indem sie
deren Sätze aufgreifen und erweitern. Erzählt ein Kind: „Gestern hab ich Pferd
geseht!“ antwortet die Fachkraft z.B.: „Stimmt, gestern haben wir beim Spaziergang
ein großes braunes Pferd gesehen, das auf einer Weide stand“. So lernen die
Kinder beiläufig richtige und variantenreiche Formulierungsmöglichkeiten im
Deutschen.
Vor gut fünf Jahren ist das Projekt „Sprachentdecker -
Alltagsintegrierte Sprachförderung in Kita und Grundschule“ in Frankfurt
gestartet. Die jetzt von der Erziehungswissenschaftlerin und Doktorandin
Christina Graf vorgelegte Evaluierung des Projekts unter der wissenschaftlichen
Leitung von Prof. Diemut Kucharz (Goethe-Universität, Erziehungswissenschaften)
zeigt, dass gezielte und praxisorientierte Fortbildungen und individuell auf
die Fragen und den Kenntnisstand von Pädagogen und Pädagoginnen abgestimmte
Coachings wirken und die Landschaft bestehender Sprachförder- und
Sprachbildungsangebote sinnvoll ergänzen können.
„Alltagsintegrierte Sprachbildung ist kein Selbstläufer – und
passiert nicht von selbst“, sagte Sylvia Weber, Stadträtin und Dezernentin für
Integration und Bildung der Stadt Frankfurt, bei der Präsentation der
Evaluationsergebnisse. „Wir brauchen eine gezielte Qualifizierung der Fach- und
Lehrkräfte und eine bewusste und langfristige Auseinandersetzung mit Sprache,
Mehrsprachigkeit und Sprachförderung in den Teams und Kollegien von Kita und
Schule. Gerade die individuellen Coachings des Programms sind hier sehr
wertvoll. Vorlaufkurse und Seiteneinsteigerklassen (Intensivklassen) sowie
gezielte Angebote für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache allein reichen nicht
aus, um Sprachdefizite im Deutschen zu kompensieren und bildungssprachliche
Kompetenzen zu entwickeln. Vielmehr müssen alle Fach- und Lehrkräfte, d.h.
alle, die die regulären Bildungs- und Lernprozesse gestalten, für eine
alltagsintegrierte Sprachbildung und sprachförderliches Verhalten qualifiziert
werden.
Das Angebot Sprachentdecker kann hier eine Lücke schließen und
andere Angebote wie Vorlaufkurse ergänzen und so die Sprachbildung der Kinder
nachhaltig begleiten und fördern.“ Die positiven Ergebnisse der Evaluierung
bestätigten dies. „Wenn ich sehe, wie viele Kinder Förderbedarf haben, weiß
ich: Wir brauchen mehr Förderung im Regelbetrieb und im Alltag der Kinder.
Hierzu leistet ‚Sprachentdecker' einen wertvollen Beitrag“, so Weber weiter.
Der Evaluation zufolge bewirkt „Sprachentdecker“ zum einen, dass
Pädagoginnen und Pädagogen in Kita und Schule ihre Kenntnisse über das
sprachliche Bildungspotential der Kinder und ihr eigenes Handlungsrepertoire in
der Sprachförderung erweitern und einüben. Und zum anderen, dass Kinder ihre
sprachlichen Kompetenzen verbessern, wenn Fachkräfte regelmäßig und gezielt
alltagsintegrierte Fördertechniken anwenden.
„‚Die Evaluation hat gezeigt, dass Sprachentdecker' und die
Techniken der alltagsintegrierten Förderung es den pädagogischen Fachkräften
ermöglichen, ihr Wissen über die Sprache zu verbessern und es optimal
einzusetzen, wenn sie mit den Kindern interagieren“, sagt Diemut Kucharz,
Professorin für Grundschulpädagogik an der Goethe-Universität. „Viele
Förderkräfte haben noch kein Instrumentarium, um zu erkennen, was die Kinder
schon gut beherrschen und wo Einzelne noch Defizite haben. Hier setzt
‚Sprachentdecker' an: Wir schärfen den Blick der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
und komplettieren ihr Repertoire – und das ohne zusätzliche Fördermaßnahmen für
die Kinder, sondern integriert in deren Alltag. Die Evaluierung hat gezeigt:
Dies ist ein sehr effizienter Ansatz.“
„Unzureichende Deutschkenntnisse am Ende einer Schullaufbahn
verringern die Chancen auf ein gutes Leben. Diese Problematik wollten wir in
den Blick nehmen und möglichst früh ansetzen und innerhalb der bestehenden
Strukturen effiziente Möglichkeiten der Förderung etablieren“, sagt Sigrid
Scherer, Leiterin der BHF BANK Stiftung. „Man muss sich genau anschauen: Wie
interagieren Kinder und Förderkräfte? Wie sollten Fehler korrigiert werden,
damit Kinder daraus lernen können? Was kann ein Kind aufnehmen, was nicht? Das
Projekt hat uns gezeigt, wie groß der Bedarf ist und wie notwendig passgenaue
Qualifizierungen und die Coachings sind.“
„Sprachentdecker“ ist eine Initiative der BHF BANK Stiftung. Das
Projekt wurde von der Goethe-Universität und dem Amt für multikulturelle
Angelegenheiten der Stadt Frankfurt und mit Unterstützung des Staatlichen
Schulamts für die Stadt Frankfurt entwickelt. Seit Projektstart 2016 wurden im
Rahmen von „Sprachentdecker“ aus zwölf Kitas und acht Grundschulen insgesamt
etwa 100 Fach- und Lehrkräfte fortgebildet. Seit 2019 unterstützt das Projekt
auch die nachhaltige Verankerung der Anwendung der Fördertechniken in die Teams
und Kollegien der beteiligten Einrichtungen. Qualifizierung von
Fachkräften, Sprachförderung im Übergang von Kita und Schule sowie
Bildungskooperation mit Eltern – das sind die drei Säulen von
„Sprachentdecker“. Insgesamt hat die BHF BANK Stiftung seit 2016 fast 200.000
Euro in das Projekt und die Evaluierung der Angebote investiert.
Bilder sowie Statements und Informationen zum Hintergrund finden Sie
unter: http://www.uni-frankfurt.de/98184209
Bildtext: An der Frankfurter Liebfrauenschule wird das Programm
„Sprachentdecker“ im Unterricht angewandt. (Foto: Susanna Kock)
Weitere Informationen
Prof. Dr. Diemut
Kucharz
Institut
für Pädagogik der Elementar- und Primarstufe (WE II)
Goethe-Universität
Frankfurt
Telefon +49
(0)69 798-36266|
E-Mail: kucharz@em.uni-frankfurt.de