Profil des Fachs

Foto: "Ubiquitous" (2009)
mit freundlicher Genehmigung
von Naoko Ito.

Entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis besteht weder die einzige noch die primäre Aufgabe theologischen Denkens in einer argumentativen Verteidigung des christlichen Glaubens. Denn diese Aufgabe ist genuin religionsphilosophischer Art. Theologen und Theologinnen haben es nicht mit der Wahrheit des christlichen Glaubens bzw. der des Christentums, sondern einzig und allein mit der Frage nach dem in Wahrheit Christlichen und d.h. mit einer Selbstverständigung oder Selbstauslegung des christlichen Glaubens zu tun.

Sofern sie dabei ‚Systematische Theologie‘ betreiben, d.h. an einer geschlossenen, prinzipiengeleiteten und methodisch kontrollierten Darstellung dieses ‚in Wahrheit Christlichen‘ interessiert sind, ist ihr Thema entweder dogmatischer oder ethischer Art. Christliche Dogmatik fragt nicht danach, ob ein als ‚wahrhaft christlich‘ identifizierter Glaubensinhalt wahr, sondern ob etwas (z.B. der Trinitätsgedanke) mit Recht als wahrhaft christlich bezeichnet zu werden verdient. Analog fragt die christliche Ethik nicht danach, ob ein als christlich ausweisbares Gut de facto gut, sondern ob etwas (z.B. das Doppelgebot der Liebe) ‚gut‘ im christlichen Sinne heißen darf. In beiden Hinsichten nimmt Theologie also am kontinuierlichen Selbstauslegungsprozess des christlichen Glaubens teil. Ihre Arbeit besteht darum sowohl in der kritischen Auseinandersetzung mit dogmengeschichtlich relevanten Texten – von der Bibel Alten und Neuen Testaments über relevante Quellenbestände aus der Alten Kirche, Scholastik, Reformation, altprotestantischen Orthodoxie, Aufklärung, Romantik bis in die Gegenwart – als auch in der Formulierung von in sich konsistenten sowie als dogmatisch und ethisch normativ einleuchtenden Aussagenkomplexen. Dabei setzt streng genommen die Ethik das dogmatisch entfaltete Selbstverständnis des christlichen Glaubens immer schon voraus, indem sie als Grund und Ziel der menschlichen Selbst- und Weltgestaltung das Handeln Gottes am Menschen in der Person Jesu Christi zur normativen Grundlage macht.

Eine Besonderheit der Systematischen Theologie in Frankfurt besteht darin, dass hier als dritte Teildisziplin Religionsphilosophie gelehrt wird. Im Unterschied zur (Systematischen) Theologie fragt die Religionsphilosophie in der Tat nach der Wahrheit – mindestens aber: der Rationalität – des christlichen Glaubens, und zwar sowohl in apologetischer wie in kritischer Absicht. Sie setzt dabei Kernergebnisse theologischer und/ oder religionswissenschaftlicher Forschung immer schon voraus, ja sie muss das tun; denn um die Wahrheits- oder Rationalitätsfähigkeit (z.B.) des christlichen Glaubens prüfen und beurteilen zu können, muss sie über mindestens rudimentäre Kenntnisse des ‚in Wahrheit Christlichen‘ verfügen: Eine Widerlegung der Geltungsansprüche des christlichen (alternativ: jüdischen, islamischen etc.) Glaubens, die zu dem Eingeständnis nötigte, dass die widerlegten Geltungsansprüche nicht die des christlichen (jüdischen, islamischen) Glaubens sind, würde sich selbst ad absurdum führen. Nicht nur, um diesbezüglichen Missverständnissen vorzubeugen, bestehen am Fachbereich Ev. Theologie seit langem enge Forschungs- und Lehrkooperationen zwischen der Systematischen Theologie einerseits, den Religionswissenschaften sowie den am Fachbereich Katholische Theologie angesiedelten Lehrstühlen für Fundamentaltheologie und Religionsphilosophie andererseits.

Einführende Literatur:

  • Löffler, Winfried: Einführung in die Religionsphilosophie. Darmstadt: WBG 20193.
  • Ohly, Lukas: Dogmatik in biblischer Perspektive. Tübingen: utb 2020.
  • Ohly, Lukas: Ethik als Grundlagenforschung. Eine theologische Ethik. Berlin/ Boston: De Gruyter 2020.
  • Schulz, Heiko (Hg.): Evangelische Theologie. Eine Selbstverständigung in enzyklopädischer Absicht. Leipzig: EVA 2016.