Auf der Grundlage der theoretischen und methodischen Potenziale der historischen Geisteswissenschaften, insbesondere des interdisziplinären Zusammenwirkens der Sprachwissenschaften, der Religionsforschung, der Geschichtswissenschaften, der Philosophie sowie der Literatur-, Sprach- und Kulturwissenschaften, und im Gespräch mit den Politik- und Sozialwissenschaften stellt der Profilbereich „Universality & Diversity“ die kulturell, gesellschaftlich und politisch hochaktuelle Frage nach dem konstruktiven Umgang mit dem Faktum religiöser, kultureller und sprachlicher Vielfalt und den damit verbundenen Chancen und Konflikten. Den gemeinsamen Rahmen der im Profilbereich vertretenen Forschungsrichtungen und -ansätze bildet dabei die Annahme, dass sich geisteswissenschaftliches Wissen angesichts der gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen allgemeinen Geltungsansprüchen prominenter Leitkonzepte wie Kultur, Vernunft und Sprache und der begrifflichen Artikulation und historischen Perspektivierung gelebter Diversität bewährt. Neben der Auseinandersetzung mit den für die europäischen Gesellschaften und Kulturen charakteristischen Phänomenen und Debatten sind dabei die an der Goethe-Universität vorhandenen fachlichen Kompetenzen im Bereich der Analyse von Wissensordnungen jenseits des europäischen Erfahrungshorizonts von zentraler Bedeutung.


Anja Middelbeck-Varwick
Profilbereichssprecherin



Sita Steckel
|Profilbereichsprecherin
“Die Spannung von Vielfalt und Gemeinsamkeit prägt fast alle aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen. Die Geistes- und Kulturwissenschaften bieten den entscheidenden Schlüssel, um daraus resultierende Konflikte zu verstehen und gesellschaftliche Potenziale zu erkennen und zu reflektieren. Diese Möglichkeiten wollen wir sichtbar machen.”
Forschungsschwerpunkte
Im Zeichen der wachsenden Komplexität des Zusammenlebens in postmigrantischen Gesellschaften gewinnen Erfahrungen der Diversität und die Frage nach verbindenden Aspekten kultureller Differenz zusehends an Bedeutung. Mehrsprachigkeit wird in westlichen Gesellschaften ebenso zur Regel wie sie es in vielen Bereichen des globalen Südens schon ist. Überdies lässt sich eine wachsende Vielfalt religiöser Überzeugungen und kultureller Praktiken beobachten, wobei sich diese mitunter auch gegeneinander abgrenzen und neue Übersetzungsleistungen erforderlich machen. Vormals gefestigte kategoriale Ordnungssysteme und Regierungsformen zumal westlicher Gesellschaften stellen diese Dynamiken mitunter auf eine existentielle Probe. Dabei erweisen sich jenseits der primär gegenwartsbezogenen und prognostischen Analysen der Sozialwissenschaften das Grundlagenwissen der Sprachwissenschaften, der Religionsforschung und der Geschichtswissenschaften, das begriffliche Differenzierungs- und Reflexionsvermögen der Philosophie sowie der Kulturwissenschaften und die intra- und interkulturelle Translationskompetenz der Literatur-, Sprach- und Kulturwissenschaften als entscheidende gesellschaftliche Ressourcen.
Der Profilbereich „Universalität und Diversität: sprachliche, religiöse und kulturelle Dynamiken“ bündelt vor diesem Hintergrund die einschlägigen Kompetenzen der genannten Disziplinen an der Goethe-Universität und gibt mit geisteswissenschaftlichen Methoden und Ansätzen und mit der erforderlichen historischen Tiefenschärfe Antworten auf diese drängenden Herausforderungen der Gegenwart.
Dynamiken des Religiösen
Ziel dieses Schwerpunkts und des gleichnamigen Forschungsverbunds ist es, in interdisziplinären und interreligiösen Explorationen die – dialogischen oder konflikthaften – wechselseitigen Beziehungen und Wahrnehmungen zwischen den drei in sich vielfältigen Religionen „Judentum“, „Christentum“ und „Islam“ in unterschiedlichen historischen und gegenwärtigen Kontexten zu erforschen. Leitend ist das gemeinsame Interesse u.a. an Phänomenen des Verstehens des Eigenen und des Fremdreligiösen in multireligiösen und säkularen Konstellationen, an interreligiösen Dynamiken von Kulturtransfer, Übersetzung, Aneignung und Transformation religiös-kultureller Wissensordnungen sowie an den rationalen, emotionalen und politisch-sozialen Bedingungen der Möglichkeit von Religionsdialogen und Verständigung.
Multilingual Agency
Der Forschungsschwerpunkt begründet sein Entwicklungspotenzial in gegenwärtigen globalen Herausforderungen und Krisen u.a. durch weltweite Migrationsbewegungen von Menschen, Sprachen und Kulturen. Es werden Herausforderungen behandelt, vor die sich regionalbezogene Forschung zunehmend durch Globalisierungsdynamiken und Transregionalisierungsprozesse gestellt sieht. Exemplarisch lässt sich dies am LOEWE Schwerpunkt „Minderheitenstudien – Sprache und Identität“ illustrieren. Dieser untersucht die Wechselwirkungen identitätsbedingender Faktoren wie Sprache, Religion, Kultur und Ethnos in Selbstsicht und Fremdsicht „im eigenen Land“ ebenso wie „im Ausland“.
Dies steht in enger Verbindung zu einem weiteren Fokus. Dieser liegt auf dem Phänomen der moving cultures, auf multilingualen Gesellschaften und hybriden Sprachpraktiken. Mehrsprachigkeit wirkt sich auf unterschiedlichen Ebenen aus. Forschungen in diesem Bereich können sich individuellen Anforderungen widmen, aber auch Dimensionen gesellschaftlicher Heterogenität bis hin zu globaler Kommunikation untersuchen. Bei vielen dieser Prozesse und Mechanismen handelt es sich um Phänomene des sogenannten translanguaging: Das sprachliche Repertoire von Personen wird hierbei nicht mehr als ein Mosaik aus verschiedenen Einzelsprachen begriffen, sondern als ein komplexes sprachliches Gesamtrepertoire. Hinzu kommt, dass sich Schriftpraxis und mündliche Kommunikation gerade in neuen Medien und digitaler Kommunikation nur schwer getrennt betrachten lassen. Multilaterale Mehrsprachigkeit und Multimodalität erfordern neue Wege der Beschreibung, Interpretation und Darstellung. Hierzu will der Schwerpunkt „Multilingual Agency“ innovativ beitragen.
Ästhetik: Materialität, Medialität, Potentialität
Fragen der Wahrnehmung und der Form sind zentral für ein Verständnis der Dynamiken komplexer Gesellschaften. Weit davon entfernt, ein isolierter Bezirk der Erholung durch Schönheit zu sein, stellen sich die Künste in der Moderne bis hin zur Gegenwart als zentraler Ort der Symbolisierung, Artikulation und Aushandlung von aktuellen Anliegen und Konflikten dar. Über den engeren Bereich der Künste hinaus sind Architektur und Design zentral für ein Verständnis der materiellen Bedingungen des Zusammenlebens und ihrer Auswirkung auf die Gestaltung historischer und zeitgenössischer Lebensformen. Die Künste, Design und Architektur sind ferner wichtige Foren der Antizipation künftiger Herausforderungen und Medien des Entwurfs kommender Gesellschaftsformen.
Fragen der Ästhetik in ihren Dimensionen der Materialität, der Medialität und der Potentialität stellen an der Goethe Universität Frankfurt seit längerem schon einen zentralen und für den Standort profilbildenden Schwerpunkt dar. Die Forschungskompetenzen im Bereich der Ästhetik werden an der Goethe Universität Frankfurt überdies seit 2015 auch in dem deutschlandweit einzigartigen Masterstudiengang Ästhetik gebündelt, an dem sieben Fächer aus drei Fachbereichen beteiligt sind.
Der Bauplan der menschlichen Sprache
Trotz ihrer Vielzahl und Vielgestaltigkeit basieren die Sprachen der Welt auf universalen Prinzipien, die sie als Teil der menschlichen Kognition kennzeichnen. Diese Prinzipien aufzudecken und ihre Interaktion untereinander und mit anderen Wissenssystemen zu erforschen ist Gegenstand unseres linguistischen Forschungsprogramms, das darauf abzielt, zu einem tieferen Verständnis des Bauplans der menschlichen Sprache zu gelangen.
Ausgangspunkt sind drei wesentliche Erkenntnisse der modernen Linguistik: Sprachliche Äußerungen sind in hierarchischer Weise organisiert, obwohl Sprachsignale scheinbar aus einer linearen Abfolge von Lauten, Wörtern und Sätzen bestehen. Sprachliche Variation ist, sowohl sprachgeschichtlich als auch über die Sprachen der Welt hinweg, nicht beliebig, sondern in systematischer Weise beschränkt. Der zu Grunde liegende Bauplan der menschlichen Sprache bestimmt folglich nicht nur die Eigenschaften, die alle Sprachen gemeinsam haben, sondern gleichzeitig auch die Möglichkeiten und Grenzen sprachlicher Variation in den Sprachen der Welt. Drittens besteht Einigkeit darin, dass der Bauplan der menschlichen Sprache im Wesentlichen modular organisiert ist. Die Kernmodule der Sprache, Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik und Pragmatik sind dabei mit ihren eigenen Methoden und Fragestellungen zu untersuchen sowie in ihrer Interaktion zu betrachten und letztlich in eine gesamtheitliche Grammatikarchitektur einzubinden.
Dabei wird das Verhältnis von konstanten und variablen Prinzipien der Sprache erforscht, um den Forschungsfragen und Forschungszielen nachzugehen, die für die Linguistik am FB 10 zentral sind:
- In welcher Weise bestimmt der generelle Bauplan der menschlichen Sprache den Erwerb einer oder mehrerer spezifischer Erstsprachen?
- Wie lässt sich die typologische Heterogenität der Sprachen mit der Annahme eines allgemeinen Bauplans der menschlichen Sprache in Einklang bringen?
- In wieweit sind die Module der Sprache analog zueinander organisiert und in wieweit durch ihre unterschiedlichen Phänomenbereiche determiniert?
- Sind die diachronische Variation zwischen Stufen derselben Sprache und die synchronische Variation zwischen genetisch nahen und fernen Sprachen denselben allgemeinen Prinzipien unterworfen?
- Wie interagiert sprachliches Wissen mit anderen kognitiven Systemen bei der Produktion und beim Verstehen von Sprache?
Der Profilbereich verleiht exzellenten Verbundforschungsinitiativen und Einzelvorhaben, die unterschiedliche Aspekte und Dimensionen sprachlicher, religiöser und kultureller Dynamiken in den Blick nehmen, nationale und internationale Sichtbarkeit. Dabei werden die Bedingungen und Möglichkeiten religiöser und kultureller Verständigungs- und Transformationsprozesse ebenso untersucht wie Strukturen und Praktiken des kulturellen Gedächtnisses und des kulturellen Erbes, Grundlagen menschlichen Sprachvermögens ebenso wie die kultur- und gesellschaftsprägende Kraft architektonischer Konzepte, oder die Rolle digitaler Infrastrukturen in Prozessen der kulturellen Bedeutungsproduktion ebenso wie der Zusammenhang von Demokratie und Ästhetik, die Mensch-Tier-Differenz oder die Steuerungspotentiale historischer und zeitgenössischer staatlicher Herrschaftsformen.