Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preisträger*innen 2021

Wir müssen reden  

Auch Bakterien verständigen sich, belauschen andere Bakterien und einigen sich auf ein einheitliches Vorgehen, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Selbst Viren und die Zellen ihrer Wirtsorganismen klinken sich in dieses allgegenwärtige bakterielle Palaver ein. Die genaue Kenntnis dieses vielstimmigen Chors birgt neue Möglichkeiten, gegen unerwünschte Bakterien durch Störung ihrer Absprachen vorzugehen.

Wie viele sind wir gerade? Gibt es außer unserer Art noch andere Arten vor Ort? Sind diese Arten gefährlich? Auch Bakterien wollen wissen, was um sie herum vor sich geht und ob es Sinn macht, ein gemeinschaftliches Verhalten an den Tag zu legen oder ob sie zuerst einmal nur zahlenmäßig zulegen sollten. Für diese Abfragen haben sie ein breites Potpourri an unterschiedlichen Sprach- und Übersetzungsmolekülen entwickelt, mit denen sie sich zuverlässig darüber informieren, was in ihrer Umgebung gerade vor sich geht. Der diesjährige Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis ehrt den Entdecker und die Entdeckerin der Sprachenvielfalt dieser bakteriellen Kommunikation: den Amerikaner Professor Michael R. Silverman Ph.D., Emeritus des Agouron Institute in La Jolla, und die Amerikanerin Professorin Bonnie L. Bassler Ph.D. von der Princeton University und dem Howard Hughes Medical Institute.

Bakterien arbeiten zusammen

Für die von den Preisträgern erforschte bakterielle Kommunikation wurde der Begriff „Quorum Sensing“ geprägt. Auch für Bakterien macht es Sinn, erst dann den Startschuss für ein gemeinsames Verhalten zu geben, wenn sie ein gewisses Quorum erreicht haben. Zu dem gemeinsamen Verhalten gehört zum Beispiel die Bildung eines Biofilms, in dem sich die Bakterien vor den Angriffen des Immunsystems und der Wirkung der Antibiotika schützen. Dazu gehört auch die Bildung von Toxinen, mit denen der Wirtsorganismus angegriffen werden kann. Für ein einzelnes Bakterium macht es keinen Sinn, einen Giftstoff zu produzieren. Dessen Wirkung würde nicht nur schnell verpuffen, sondern das Immunsystem des Wirtes wäre auch sofort alarmiert. Für den Wirt wäre es dann ein Leichtes, mit der ganzen Härte seines Immunsystems gegen ein einzelnes Bakterium vorgehen. Bei Billionen von Bakterien dagegen stößt auch ein intaktes Immunsystem an seine Grenzen.

Bis zur Entdeckung dieses Quorum Sensings betrachtete man Bakterien als Einzelkämpfer, deren Aufgabe im Wesentlichen darin besteht, sich zu teilen und zwei neue Bakterien hervorzubringen. Eine Kommunikation mit ihresgleichen, anderen Bakterien und Viren oder gar den Zellen des Wirtsorganismus schien undenkbar. Heute weiß man dank der „Sprachforschung“ von Silverman und Bassler, dass eine solche Kommunikation unter den Bakterien die Regel ist.

Am Anfang der Entdeckungen stand eine Beobachtung, die der Amerikaner Woody Hastings in den 1970er-Jahren bei einem ungewöhnlichen Bakterium gemacht hatte. Hastings hatte registriert, dass das Bakterium Vibrio fischeri leuchtet, wenn es bei der Anzucht in Kulturflaschen eine hohe Zelldichte erreicht hat. Sind nur wenige Bakterien in den Flaschen vorhanden, bleibt der Inhalt dunkel. Woher aber „wusste“ Vibrio fischeri, wann es zu leuchten hatte und wann nicht? Normalerweise lebt das Bakterium im Leuchtorgan eines winzigen Zwergtintenfischs. Nachts, wenn der Tintenfisch im flachen Meerwasser auf Beutezug geht, leuchten die Bakterien und sorgen dafür, dass der Zwergtintenfisch im Mondlicht keinen Schlagschatten wirft und damit für seine Fressfeinde unsichtbar bleibt. Tagsüber, wenn er sich im Sand versteckt hält, leuchtet er nicht mehr. Dann hat der Zwergtintenfisch sein Leuchtorgan mit Meerwasser gespült und den größten Teil der Bakterien ins Meer befördert. Die im Leuchtorgan verbliebenen Bakterien vermehren sich bis zum Einbruch der Dunkelheit wieder und leuchten, wenn sie ihr Quorum erreicht haben. 

Silverman und JoAnne Engebrecht konnten durch genetische Experimente zeigen, dass Vibrio fischeri über das Erreichen des Quorums durch ein Molekül informiert wird, dass die Bakterien laufend in die Umgebung abgeben. Silverman und Engebrecht übertrugen die Fähigkeit, dieses Autoinducer-1-Molekül zu produzieren und wahrzunehmen, in ein anderes Bakterium und konnten damit beweisen, dass die Konzentration von Autoinducer-1 außerhalb der Bakterienzelle direkt mit der Zahl der anwesenden Bakterien korreliert. Je mehr Bakterien vorhanden sind, desto höher ist die Konzentration in der Umgebung. Wenn ein bestimmter Schwellenwert erreicht ist, machen die Moleküle kehrt und wandern zurück in die Bakterienzelle. Dort binden sie an einen Rezeptor, der dann das gruppenspezifische Verhalten einleitet. Im Falle von Vibrio fischeri ist das die Produktion von blau-grünem Licht zum Schutz des Zwergtintenfischs. Die Bakterien erhalten von ihm im Gegenzug Kost und Logis für einen Tag und eine Nacht.

Freund oder Feind?

Als Bonnie Bassler 1990 nach ihrer Promotion in das Labor von Silverman wechselte, sollte sie nachprüfen, ob ein enger Verwandte – das Bakterium Vibrio harveyi – ebenfalls über den bei Vibrio fischeri aufgefundenen Autoinducer kommuniziert. Alle Versuche, seine bakterielle Kommunikation über eine Blockade dieses Moleküls auszuschalten, scheiterten. Bassler erkannte schließlich, dass es ein zweites Quorum-Sensing-System geben musste, das auf der Produktion und Erkennung eines anderen Sprachmoleküls basiert. Zudem stellte sich heraus, dass dieses Autoinducer-2 genannte Signal von einer ganzen Vielzahl von Bakterien produziert wird. Bassler wies nach, dass Vibrio harveyi von diesem Molekül nicht über die Anwesenheit seiner Artgenossen informiert wird, sondern über die Anwesenheit anderer Bakterienarten. Bakterien leben nämlich normalerweise nicht in Reinkultur wie im Leuchtorgan des Tintenfischs, sondern in Gemeinschaften – etwa im Boden, im Darm oder auf der Haut.  Deshalb wollen Bakterien auch wissen, welche anderen Arten vor Ort sind und wer in der Überzahl ist: sie selbst oder die anderen. Der Umstand, dass Bakterien nicht nur die Zahl ihrer Artgenossen registrieren, sondern auch die Anwesenheit anderer Bakterien, zeigt zudem, dass sie zwischen Fremd und Selbst unterscheiden können – eine Leistung, die wir vom Nerven- und Immunsystem her kennen.

Hohe medizinische Relevanz

Die Arbeiten von Silverman und Bassler haben ein neues Verständnis für die Ökologie mikrobieller Gemeinschaften geweckt. Anerkennung hat ihnen die Forschungsgemeinde dafür allerdings erst nach Jahrzehnten zäher Überzeugungsarbeit und nach vielen exzellenten Publikationen gezollt. Lange dachte man, dass Quorum Sensing nur eine Besonderheit zwischen Vibrio fischeri und dem Zwergtintenfisch sei und nichts mit dem Leben der anderen Bakterien zu tun habe – ein Nischenthema, mehr nicht. Heute weiß man, dass Quorum Sensing die Regel unter den Bakterien ist und dass es Hunderte verschiedener Systeme gibt, mit denen sie ihr Verhalten koordinieren. Auch das medizinische Potenzial steht außer Frage.

Wenn die bakterielle Kommunikation Voraussetzung für die Bildung eines Biofilms oder eines Toxins ist, stellt die Unterbrechung dieser Kommunikation eine neuartige antibakterielle Strategie dar. Statt Antibiotika zu entwickeln, die Bakterien töten, können nun gezielt Substanzen entwickelt werden, die deren Absprachen durchkreuzen.  Damit werden die beiden Laureaten nicht nur für ihre grundlegenden Entdeckungen zur Biologie der Bakterien geehrt, sondern auch für das ungeheure Anwendungspotenzial ihrer Forschung beim Kampf gegen resistente Keime. Will man beispielsweise nur eine einzige Art attackieren, muss das jeweilige Autoinducer-1-System gestört werden. Will man jedoch gegen viele verschiedene Bakterien gleichzeitig vorgehen, wäre das allgemein wirksame Autoinducer-2-System die geeignete Zielstruktur. Nach vielversprechenden Daten aus dem Labor von Bassler wird derzeit intensiv an diesen Konzepten gearbeitet, allerdings sind die evaluierten Substanzen noch nicht effektiv genug für eine klinische Nutzung und sie haben auch noch nicht alle Eigenschaften, die für ein verträgliches Medikament notwendig sind. Denkbar ist jedoch auch die umgekehrte Strategie: das Quorum Sensing könnte genutzt werden, um die Wirkung nützlicher Bakterien zu fördern, etwa im Darm oder auf der Haut.

Bonnie Bassler hat inzwischen auch gezeigt, dass sich die Umgebung der Bakterien ebenfalls in das Quorum Sensing einklinkt. 2017 entdeckte sie, dass der Schleim des menschlichen Darms von den Bakterien des Mikrobioms dazu benutzt wird, ein Sprachmolekül zu bilden, das krankmachende Bakterien auf Distanz hält. Damit verbündet sich der menschliche Darm über den abgegebenen Schleim mit seinen nützlichen Bakterien im Kampf gegen krankmachende Keime. Auch Bakteriophagen, also Viren, die Bakterien angreifen, nutzen die beim Quorum Sensing ausgetauschte Information, um den Zeitpunkt mit der höchsten Bakterien-Dichte in Erfahrung zu bringen. Infizieren sie die Bakterien, wenn deren Zellzahl am größten ist, sind auch ihre Chancen auf maximalen Phagen-Nachwuchs am größten. Das hat Bassler 2019 gezeigt. Somit steht die Forschung zur mikrobiellen Kommunikation erst am Anfang.

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