von Nadine Benedix (Fotos: Estelle Rode) 

 

„C’est à Craonne sur le plateau / Qu’on doit laisser sa peau“

 

Die letzten Zeilen des Refrains des „Chanson de Craonne“ deuten es an: In Craonne fand eine der verheerendsten Schlachten des ersten Weltkriegs statt. Die berühmte und schicksalhafte Nivelle-Offensive im Frühjahr 1917 hinterließ nicht nur etwa 32.000 Tote allein auf französischer Seite sondern führte auch zu schwerwiegenden Soldatenmeutereien während des Krieges.

Aufgrund der Widersetzlichkeiten im Lager der französischen Soldaten musste die Offensive schließlich sogar abgebrochen werden. Die rebellierenden Soldaten blieben natürlich nicht verschont. Während des Krieges wurden insgesamt 554 französische Soldaten zum Tode verurteilt.

Diese geschichtlichen Fakten bilden heute den Hintergrund des „Chanson de Craonne“, dem bekannten Antikriegslied aus dem ersten Weltkrieg. In der Rezeptionsgeschichte des Chansons trugen die Meutereien im Zuge der Nivelle-Offensive zur Festigung, des ursprünglichen „Chanson de Lorette“ als „Chanson de Craonne“ bei. Das Lied, welches von dem Unmut der Soldaten über die Mächtigen die sie in den Schützengraben zwangen ausdrückt, wurde zwar nicht, wie oft angenommen, eben von diesen meuternden Soldaten in Craonne verfasst, sondern kursierte schon vorher an diversen Fronten des Krieges. Durch die häufigen Regimentswechsel verbreitete es sich rasch und wurde an die jeweiligen Frontorte angepasst. Allen Versionen gleich ist allerdings seine Kritik an den Zuständen in den Schützengräben und an der Glanzlosigkeit des Krieges. Feind ist für die Soldaten nicht die gegnerische Armee, sondern die „Reichen“, welche nur ihr eigenes Kapital durch den Krieg schützen wollen. Das Lied zeigt also subversive, kapitalismuskritische Züge und ruft in seiner letzten Strophe die Soldaten sogar zum Streik, zur Rebellion auf. 

Durch die berühmten Meutereien in Craonne festigte sich die Craonne’sche Version für die Nachwelt. Eine große Rolle spielt hierbei der linke Autor und Herausgeber Paul Vaillant Couturier.

Bis in die siebziger Jahre verboten, stellt das Lied lange eine Randerscheinung dar; rezipiert wird es vor allem von linken, antimilitaristischen Gruppen. Dies ändert sich erst mit der Rede des sozialistischen Premierministers Lionel Jospins, welcher im Jahre 1998 als erster Politiker schließlich den Chemin des Dames anerkennt und damit auch seine, durch die Meutereien geprägte Geschichte.

Mit dem Aufgreifen des „Chanson de Craonne“ in dem im Jahr 2004 angelaufenen Film „Un long dimanche de fiançailles“ (dt. Mathilde – Eine große Liebe) des französischen Regisseurs Jean-Pierre Jeunet schließlich wird das Lied dem breiten Publikum des französischen Films unterbreitet und damit massentauglich gemacht. Diese Darstellung des „Chanson de Craonne“ zeigt die Änderung der Wahrnehmung des Liedes sowie der Geschichte des „Chemin de Dames“.

Möglicherweise trug Jospins anerkennender Akt 1998 dazu bei, den Weg für eine breitere Repräsentation des „Chemin de Dames“ in Film und Literatur zu öffnen. Seine Rede zeigt die Valorisierung des Erinnerungsortes, welcher nach wie vor für die Unfreiwilligkeit des Kampfes der Soldaten im Krieg steht.

Neben dem „Chanson de Craonne“ besprachen wir in dem, auf die Exkursion vorbereitenden, Seminar „Représentations littéraires, filmiques et muséales du Chemin de Dames" Texte, die den Chemin de Dames literarisch aufgreifen. Dazu gehört unter Anderem der aktuell erschienene Roman Eric Vuillards „La bataille de l’Occident“. Vuillard beschreibt hier den Widerspruch der heute friedlichen Landschaft einerseits und den grausamen Geschehnissen des Krieges andererseits.

Allgemein stellen die Meutereien keinen Teil der „bienséance“ der Kriegsaufarbeitung dar und werden in der Nachkriegsliteratur zunächst stark vernachlässigt.  Wie sich in dem Film „Un long dimanche de fiançailles“ zeigt, ändert sich dies nun. Jeunet macht hier die Meutereien einem Massenpublikum zugänglich. Damit scheint damit der Weg für eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Thematik der Soldatenmeuterei möglich. Durch den Einsatz des „Chanson de Craonne“ kann eine direkte Verbindung zu realhistorischen Geschehnissen hergestellt werden, welche nun nach etwa 100 Jahren endlich in das kulturelle Gedächtnis eingehen sollen.