Neuer Schwerpunkt am Forschungskolleg Humanwissenschaften untersucht die Potentiale und die Anfechtungen der Demokratie in der Atlantischen Welt
BAD HOMBURG, FRANKFURT. Seit einhundert Jahren sind die Begriffe „Atlantische Welt“ und „Demokratie“ eng miteinander verbunden. Dies geht auf den amerikanischen Publizisten Walter Lippmann zurück, der den Begriff „Atlantic World“ prägte, um eine transatlantische Gemeinschaft zu beschwören, die sich der Verteidigung von Demokratie und Freiheit verpflichtet fühlte. Diese „atlantischen“ Ideale aber wurden von jeher angefochten und bedroht. So zeigen die jüngsten Ereignisse in den USA die Fragilität wie auch die Stärke der Demokratie gleichermaßen: Am 6. Januar stürmte ein Mob das Kapitol, um die Legitimität der demokratischen Macht zu verhöhnen – und nur vierzehn Tage später wurde das Kapitol mit der Feier zur Inauguration des neuen Präsidenten zum Sinnbild für die Stärke und Offenheit der Demokratie in der Gegenwart.
Mit
diesen aktuellen Bildern vor Augen startet nun das Forschungskolleg
Humanwissenschaften einen neuen Forschungsschwerpunkt „Democratic Vistas.
Reflections on the Atlantic World“. „Damit möchte das Kolleg“, wie der
Direktor Prof. Matthias Lutz-Bachmann betont, „den Diskurs ‚über den Atlantik
hinweg' vertiefen – einen Diskurs, den das Kolleg seit seiner Gründung vor zehn
Jahren führt, zuletzt intensiv im Rahmen der Bad Homburg Conference im Oktober
2020, die sich der Zukunft der transatlantischen Beziehungen widmete.“
Das
Konzept des Forschungsschwerpunktes wurde federführend von Johannes Völz
entwickelt, Professor für Amerikanistik an der Goethe-Universität und seit 2019
Mitglied im Direktorium des Forschungskollegs Humanwissenschaften. „Mit dem
Titel des neuen Forschungsschwerpunktes greifen wir Gedanken von Walt Whitman
auf, die er 1871 in seinem Essay ‚Democratic Vistas' formulierte. Whitman
fasste die Demokratie als ein Experiment im Streben nach Freiheit und
Gleichheit auf. Doch Experimente könnten auch scheitern. Das Gespenst der
Tyrannei, so Whitman, ist die Kehrseite der kollektiven Selbstgestaltung. Genau
das können wir heute beobachten: Auf der einen Seite stehen die Populismen, die
Demokratien auf der ganzen Welt bedrohen, auf der anderen die starken und
beeindruckenden Befreiungsbewegungen, etwa in Belarus. Whitman wusste noch
etwas anderes: ‚Demokratie' bezeichnet nicht den Ist-Zustand eines politischen
Systems, sondern eine Aspiration, eben einen Ausblick auf eine andere Zukunft.
Die Demokratie zu beschwören, verlangt deshalb, seinen eigenen Blick zu weiten.
Das prägt auch unsere Sicht am Forschungskolleg: wir beschränken die
‚Atlantische Welt' nicht auf das Bündnis zwischen Nordamerika und Europa,
sondern beziehen sowohl die Nord-Süd-, als auch die Ost-West-Achse bewusst mit
ein“.
Unter der Leitung von Völz und seinem Frankfurter Kollegen Gunther Hellmann, Professor für Politikwissenschaft, bringt „Democratic Vistas“ eine interdisziplinäre Gruppe von Wissenschaftler*innen der Goethe-Universität sowie internationale und regionale Partner aus den Feldern Geschichte, Internationale Beziehungen, Recht, Literatur, Medienwissenschaft, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Philosophie, politische Theorie, Religionswissenschaft, Sozialpsychologie und Soziologie zusammen.
Eröffnet wird der Forschungsschwerpunkt mit einer digitalen
Podiumsdiskussion am Donnerstag, dem 18. Februar 2021, um 17.00
Uhr. Masha Gessen (New York), Shalini Randeria (Wien) und Sławomir
Sierakowski (Warschau) diskutieren zum Thema „Democratic Vistas, Autocratic
Specters: Must We Reinvent Democracy?“
Weitere
Informationen
über den Forschungsschwerpunkt, seine Mitglieder und über die die
Eröffnungsveranstaltung finden sich auf der Webpage des Forschungskollegs
Humanwissenschaften: www.forschungskolleg-humanwissenschaften.de
Kontakt
Iris
Helene Koban, Geschäftsführerin des Forschungskollegs Humanwissenschaften, Tel.
(06172) 13977-0; i.koban@forschungskolleg-humanwissenschaften.de; Prof. Dr. Johannes
Völz, voelz@em.uni-frankfurt.de.