Studie unter Studierenden aus 41 Ländern gibt Orientierung für universitäre Bildung
Umweltstudierende aus Ländern mit niedrigeren Wohlstandsindikatoren halten die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele für wichtiger als Umweltstudierende aus Ländern mit höheren Wohlstandsindikatoren. Zudem ordnen sie die Ziele meist nur einer Säule der Nachhaltigkeit zu, entweder der sozialen, der ökonomischen oder der ökologischen. Das hat eine Studie der Goethe-Universität Frankfurt ergeben, die auf einer Online-Umfrage in 41 Ländern basiert. Damit liegen jetzt erstmals Erkenntnisse vor, wie eine bestimmte Gruppe von möglichen künftigen Entscheidungsträgern die 17 Ziele aktuell wahrnimmt. Daraus lassen sich ganz konkrete Handlungsempfehlungen für die universitäre Bildung ableiten.
FRANKFURT. Im
Jahr 2015 haben die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen die Agenda 2030 für
nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Kernstück sind 17 Nachhaltigkeitsziele,
die Sustainable Development Goals (SDGs). Dazu gehören „Kein Hunger“, „Sauberes
Wasser“, „nachhaltiger Konsum" und „Leben unter Wasser“. Die SDGs beziehen
sich auf alle drei Säulen der Nachhaltigkeit: die soziale, die ökonomische und
die ökologische. Das Erreichen der Ziele soll weltweit ein menschenwürdiges
Leben ermöglichen und die natürlichen Lebensgrundlagen des Planeten dauerhaft
bewahren. Doch wie werden die SDGs überhaupt wahrgenommen, und was lässt sich
daraus schließen? Hier gab es bisher eine Forschungslücke. Die wenigen
internationalen Studien hatten meist eher breite Bevölkerungsgruppen befragt.
Es fehlte an Daten, die konkrete Handlungsempfehlungen für bestimmte
gesellschaftliche Bereiche hätten liefern können, zum Beispiel, wie die
universitäre Praxis im Sinne der Agenda 2030 zu verbessern wäre.
Eine neue Studie der Goethe-Universität Frankfurt schließt nun
diese Forschungslücke. Sie basiert auf einer Online-Umfrage in 41 Ländern in
Nordamerika, Südamerika, Afrika, Asien, Ozeanien und Europa, die zwischen
September 2020 und Juli 2021 durchgeführt wurde. Befragt wurden 4305
Studierende ausschließlich aus umweltrelevanten Fächern wie Umweltwissenschaft,
Biologie oder Naturmanagement. Auf einer Skala von 1 bis 5 gaben sie an, für
wie wichtig sie die einzelnen SDGs halten. „Unserer Studie ist die erste,
welche die Wahrnehmung der UN-Nachhaltigkeitsziele in einer so stark
selektierten Gruppe von zukünftigen Entscheidungsträgern erfasst und bewertet“,
sagt der Erstautor, Dr. Matthias Kleespies von der Abteilung Didaktik der
Biowissenschaften und Zootierbiologie am Fachbereich Biowissenschaften der
Goethe-Universität.
Die Daten zeigten, so Kleespies, dass die SDGs bei
Umweltstudierenden weltweit eine hohe Akzeptanz haben, unabhängig von der
Region. Für Kleespies ein erfreuliches Ergebnis: „Die großen sozialen,
ökonomischen und ökologischen Probleme, mit denen wir aktuell weltweit
konfrontiert sind, werden auch als solche wahrgenommen.“
Durch Faktorenanalyse, einem gängigen statistischen Verfahren,
konnte Kleespies noch etwas feststellen: Die Befragten ordneten einzelne SDGs
überwiegend nur einer einzigen der drei Säulen der Nachhaltigkeit zu. Zum
Beispiel das Ziel „Armut beenden" ausschließlich der ersten Säule (sozial)
oder das Ziel „Klimaschutz“ ausschließlich der dritten Säule (ökologisch).
Diese Zuordnungen führten zu einem weiteren Ergebnis, so Kleespies: „Wir
konnten sehen, dass es zwischen den Ländern erhebliche Unterschiede bei der
Bewertung der drei Säulen gibt.“ Beispiel: Die Befragten aus Deutschland sahen
die ökologischen Säule als besonders wichtig an, die Befragten aus Thailand
bewerteten dagegen alle drei Säulen als etwa gleichwichtig.
Um die Länderunterschiede noch genauer auswerten zu können, folgte
eine weitere statistische Analyse: Die Ergebnisse der einzelnen Länder wurden
fünf Wohlstandsindikatoren gegenübergestellt, unter anderem dem Index der
menschlichen Entwicklung (Human Development Index, HDI) und dem Index der
ökologischen Leistungsbilanz (Environmental Performance Index, EPI). Bei allen
fünf Indikatoren ergab sich ein ähnliches Bild. Im direkten Vergleich
bewerteten Länder mit niedrigeren Indizes – wie die Philippinen –
die SDGs als wichtiger als Länder mit höheren Indizes wie Kanada. „Dieses
Ergebnis hat uns überrascht, da ältere Studien oft zeigten, dass sich gerade
Personen in modernen Industriegesellschaften vermehrt für Umweltschutz
einsetzen“, so Kleespies.
Auch wenn sie nicht auf die Gesamtbevölkerung eines Landes
übertragbar ist, liefere die Studie doch wichtige neue Erkenntnisse, so Prof.
Paul Dierkes, Leiter der Abteilung Didaktik der Biowissenschaften und
Zoobiologie. „Um die SDGs in einem Land in die Tat umsetzen zu können, bedarf
es großer Akzeptanz nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch bei den Personen
an den gesellschaftlichen und politischen Schnittstellen. Studierende im
Umweltbereich sind da als mögliche spätere Entscheidungsträger und
Multiplikatoren besonders wichtig. Zwar ist eine universitäre Ausbildung in
diesem Bereich noch keine Garantie für eine Entscheidungsträgerposition.
Allerdings vermitteln Universitäten wichtige Fähigkeiten, Fertigkeiten und
Wissen, die für solche Positionen qualifizieren.“
Welche Verbesserungsmaßnahmen für die universitäre Ausbildung
lassen sich aus der Studie ableiten? Dazu meint Kleespies: „Die
Umweltstudiengänge sollten intensiver darauf eingehen, dass die SDGs
mehrdimensional sind und jedes der Ziele eine soziale, ökologische und ökonomische
Komponente enthält.“ Die Untersuchung habe ja gezeigt, dass Studierende diese
Mehrdimensionalität meist übersehen. Zum Beispiel wurde SDG 15 – „Leben an
Land“ – oft als exklusives ökologisches Ziel eingeordnet. „Der Schutz von
Landökosystemen beinhaltet aber auch sehr wichtige ökonomische und soziale
Komponenten.“ Ein zweiter Vorschlag richtet sich speziell an die wohlhabenderen
Länder, in denen die SDGs im Vergleich als weniger wichtig bewertet wurden.
Kleespies ruft die Universitäten dort dazu auf, Bildungsprogramme zum Thema
UN-Nachhaltigkeitsziele im aktuellen Curriculum der Studiengänge zu verankern:
„So werden Studierende besser als bisher über den Nutzen und die
Vielschichtigkeit der SDGs informiert.“
Mehr als 4.000 Studierende hatten sich an der Online-Umfrage
beteiligt. Die Umfrage-E-Mails wurden an Institute in mehr als 50 Ländern
verschickt. Bei 41 Ländern waren die Datensätze am Ende ausreichend für eine
statistische Analyse.
Publikation: „The importance of the Sustainable Development Goals to students of environmental and sustainability studies – a global survey in 41 countries" Matthias Winfried Kleespies & Paul Wilhelm Dierkes; https://doi.org/10.1057/s41599-022-01242-0
Weitere Informationen
Abteilung
Didaktik der Biowissenschaften und Zootierbiologie
Goethe-Universität
Frankfurt
Dr.
Matthias Kleespies
Tel:
+49 (0)69 798-42276
kleespies@em.uni-frankfurt.de
Prof.
Dr. Paul W. Dierkes
Tel:
+49 (0)69 798-42273
dierkes@bio.uni-frankfurt.de
Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für
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