Forschungsteam von Goethe-Universität und University of Michigan nutzt Biosynthese von Bakterien, um ein Fluor enthaltendes Antibiotikum herzustellen – Startup-Unternehmen kommerzialisiert Technologie
Die Veränderung von Wirkstoffen mit dem Element Fluor ist ein wichtiges Werkzeug in der modernen Medikamentenentwicklung. Nun ist es an der Goethe-Universität Frankfurt erstmals gelungen, ein in der Natur vorkommendes Antibiotikum durch gezieltes Bioengineering zu fluorieren. Mit Hilfe dieses Verfahrens kann eine ganze Stoffklasse von medizinisch relevanten Produkten aus der Natur verändert werden – und verspricht somit ein großes Potenzial zur Herstellung neuer Antibiotika gegen resistente Keime und zur (Weiter-)Entwicklung anderer Medikamente. Das Startup-Unternehmen kez.biosolutions GmbH wird die Forschungsergebnisse in die Anwendung bringen (Nature Chemistry, DOI 10.1038/s41557-022-00996-z).
FRANKFURT. Seit
Jahrzehnten werden medizinische Wirkstoffe mit Fluor chemisch verändert. Denn
Fluor hat viele therapeutisch nützliche Effekte: Es kann die Bindung des
Wirkstoffs an das Zielmolekül verbessern, den Wirkstoff leichter für den Körper
verfügbar machen und seine Verweildauer im Körper verändern. Mittlerweile
enthalten nahezu die Hälfte der von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde
FDA zugelassenen Medikamente mit kleinen Wirkstoffmolekülen (bis ca. 100 Atome)
mindestens ein gebundenes Fluoratom. Darunter befinden sich so unterschiedliche
Medikamente wie Cholesterinsenker, Antidepressiva und Antibiotika.
Komplexe Naturstoffe werden oftmals von Bakterien oder Pilzen
hergestellt, um sich einen Wachstumsvorteil zu verschaffen. Eine Möglichkeit,
um Naturstoffe zu Medikamenten zu entwickeln, ist ihre Modifikation mit einem
oder mehreren Fluoratomen. Im Fall des Antibiotikums Erythromycin bringt das
angehängte Fluor entscheidende Vorteile: Das neue Erythromycin ist im Körper
einfacher verfügbar und wirkt besser gegen Krankheitskeime, die eine Resistenz
gegen Erythromycin entwickelt haben. Die synthetisch-chemischen Verfahren zur
Einführung von Fluor in Naturstoffe sind sehr aufwendig und aufgrund der dafür
notwendigen Chemikalien und Reaktionsbedingungen oftmals „brachial“, sagt
Martin Grininger, Professor für Organische Chemie und Chemische Biologie an der
Goethe-Universität. „Das führt zum Beispiel dazu, dass man in der Auswahl der
Position an die das Fluor angefügt werden soll, sehr eingeschränkt ist“, fügt
er hinzu.
Einem deutsch-amerikanischen Wissenschaftsteam um Prof. Martin Grininger
und Prof. David Sherman, Professur für Chemie an der University of Michigan,
ist es jetzt gelungen, sich die Biosynthese eines Antibiotika-produzierenden
Bakteriums zunutze zu machen. Hierbei wird das Fluoratom als Teil eines kleinen
Substrats während der biologischen Synthese eines Makrolid-Antibiotikums
eingebaut. „Wir schleusen die fluorierte Einheit während des
Herstellungsprozesses ein, das ist effektiv und elegant“, betont Grininger,
„denn es erlaubt die sehr flexible Positionierung des Fluors im Naturstoff,
wodurch dessen Wirksamkeit beeinflusst werden kann.“
Dazu führten die Frankfurter Projektleiter Dr. Alexander Rittner
und Dr. Mirko Joppe aus Griningers Arbeitsgruppe eine Untereinheit des Enzyms
namens Fettsäuresynthase in das bakterielle Protein ein. Das Enzym wirkt
natürlicherweise an der Biosynthese von Fetten und Fettsäuren in Mäusen mit.
Die Fettsäuresynthase sei wenig wählerisch in der Verarbeitung der Vorprodukte,
die auch für die Herstellung von Antibiotika in Bakterien wichtig sind, erklärt
Rittner. Mit intelligentem Proteindesign gelang es dem Team, einen Teil des
Mäuseenzyms in den entsprechenden Biosyntheseweg des Antibiotikums zu
integrieren. Rittner: „Das Spannende ist, dass wir mit dem Erythromycin einen
Vertreter einer ungeheuer großen Stoffklasse fluorieren konnten, den
sogenannten Polyketiden. Es sind rund 10.000 Polyketide bekannt, und viele
werden als Naturstoffmedikamente wie zum Beispiel als Antibiotika,
Immunsuppressiva oder Krebsmittel genutzt. Unser neues Verfahren hat daher ein
riesiges Potenzial zur chemischen Optimierung dieser Naturstoffgruppe – bei den
Antibiotika vor allem die Überwindung von Resistenzen.“ Um dieses Potenzial zu
heben, gründete Dr. Alexander Rittner das Startup-Unternehmen kez.biosolutions
GmbH.
Prof. Martin Grininger forscht bereits seit einigen Jahren an der
maßgeschneiderten Biosynthese von Polyketiden: „Die erfolgreiche Fluorierung
eines Makrolid-Antibiotikums ist ein Durchbruch, für den wir viel getan haben
und auf den ich jetzt sehr stolz bin. Gleichzeitig ist es ein Aufbruch: Wir
arbeiten bereits daran, die antibiotische Wirkung verschiedener fluorierter
Erythromycin-Verbindungen und weiterer fluorierter Polyketide zu testen und
werden die neue Technologie auf weitere Fluormotive ausweiten. Dabei werden wir
auch die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Prof. David Sherman und seinem Team an
der University of Michigan fortsetzen.“
Die Suche nach Resistenzen-überwindenden Medikamenten ist eine
Daueraufgabe, denn – abhängig von der Häufigkeit des Einsatzes – ist es ganz normal,
dass sich früher oder später Resistenzen bildeten. Vor diesem Hintergrund
versteht Dr. Mirko Joppe seine Arbeit auch als gesellschaftlichen Auftrag. „Die
Forschung an Antibiotika ist aus verschiedenen Gründen wirtschaftlich nicht
lukrativ. Es ist daher die Aufgabe der Universitäten diese Lücke zu füllen, um
gemeinsam mit Pharmaunternehmen neue Antibiotika zu entwickeln. Unsere
Technologie kann einfach und schnell neue Antibiotika generieren und bietet nun
ideale Anknüpfungspunkte für Projekte mit industriellen Partnern“.
Die beschriebenen Forschungsarbeiten an Polyketiden wurden durch
die Volkswagen-Stiftung im Rahmen einer Lichtenberg-Professur, durch den
LOEWE-Schwerpunkt MegaSyn des Hessischen Wissenschaftsministeriums und durch
das National Institute of Health (USA) unterstützt.
Publikation:
Alexander Rittner,
Mirko Joppe, Jennifer J. Schmidt, Lara Maria Mayer, Simon Reiners, Elia Heid,
Dietmar Herzberg, David H. Sherman, Martin Grininger: Chemoenzymatic
synthesis of fluorinated polyketides. Nature Chemistry (2022) https://www.nature.com/articles/s41557-022-00996-z
Bild zum Download: https://www.uni-frankfurt.de/122764926
Bildtext: Wissenschaftler der Goethe-Universität haben ein Enzym erzeugt,
das über mehrere nacheinander ausgeführte Reaktionen fluorierte Antibiotika
herstellen kann. Zur Veranschaulichung sind die unterschiedlichen Bereiche des
Hybrids, die hierbei zusammenwirken, in verschiedenen Farben dargestellt.
(Grafik: Grininger)
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Martin Grininger
Institut für Organische Chemie und Chemische Biologie
Buchmann-Institut für Lebenswissenschaften
Goethe-Universität Frankfurt
Tel.: +49 (0)69 798-42705
grininger@chemie.uni-frankfurt.de
Redaktion: Dr. Markus Bernards/Dr. Anke Sauter, Büro PR &
Kommunikation, Telefon 069
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