Studie: Heimschläferuni oder nationale Hochschulmarke?

Hintergründe über die regionale Herkunft von Studierenden der Goethe-Universität

Veröffentlicht am: Mittwoch, 30. Mai 2012, 14:38 Uhr (022)

Bild: Skyline von Frankfurt am Main bei Nacht.

Der UniReport hat das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) untersuchen lassen, wie gut die Goethe-Universität als Hochschulmarke Studierende außerhalb Hessens anzieht und wie hoch der Anteil aus Hessen und Frankfurt ist. Anlass für diese Untersuchung war die verschiedentlich geäußerte Vermutung von Universitätsangehörigen und Beobachtern, die Goethe-Universität schneide mit Blick auf ihre überregionale Anziehungskraft im Vergleich mit führenden deutschen Universitäten nur unterdurchschnittlich ab. Sie sei im Wesentlichen eine Universität mit lokaler, bestenfalls regionaler Strahlkraft.

Die Studie auf Basis von Daten des Wintersemesters 2010 des Statistischen Bundesamtes und der Landesämter kann diese Vermutung zum Teil widerlegen oder im Verhältnis zu anderen Hochschulen zumindest relativieren. Im Vergleich mit neun führenden deutschen Volluniversitäten (drei Exzellenzuniversitäten, fünf Universitäten mit Kandidatenstatus im Bereich Zukunftskonzept) belegt die Goethe-Universität einen durchaus achtbaren mittleren Rang. In Frankfurt erreicht die Goethe-Universität einen „Marktanteil“ von knapp 26 Prozent. Das heißt, 26 Prozent aller Studienberechtigten in Frankfurt entscheiden sich für ein Studium an der Goethe-Universität. Dieser Anteil geht in den letzten Jahren kontinuierlich zurück: 2006 betrug er noch 32,2 Prozent. Dieser Trend eines Rückgangs im Heimatmarkt zeigt sich bei nahezu allen Hochschulen mit deutschlandweiter Reputation. Zum Vergleich: Die Universitäten Heidelberg und Göttingen rekrutierten im gleichen Zeitraum ebenfalls fünf Prozent weniger Studierende aus dem unmittelbaren Umfeld, die Universität Freiburg sogar 14 Prozent. Die einzige Ausnahme bildet die Universität Mainz, die mit rund 35 Prozent Heimatkreis-Bewerbern im Beobachtungszeitraum relativ stabil bleibt. Aber ist die Goethe-Universität damit schon auf dem Weg zu einer nationalen Hochschulmarke, weil sie kontinuierlich immer weniger Studierende aus Frankfurt anzieht?

Zumindest scheint es in Relation zu anderen Hochschulen kein ganz unwichtiger Indikator zu sein, wenn sich starke Mitbewerber im selben Zeitraum ähnlich entwickeln und wenn man andererseits in Rechnung stellt, dass die Universität Frankfurt bei den Erstsemestern Zuwächse aus anderen Bundesländern zu verzeichnen hat (2010: Baden-Württemberg: 7,1 Prozent, Nordrhein-Westfalen: 5,9 Prozent, Rheinland-Pfalz: 5,4 Prozent, Bayern: 3,4 Prozent). Dieser Anteil hat sich weiter erhöht (2011: Baden-Württemberg: 8,3 Prozent, Rheinland-Pfalz: 6,5 Prozent, Nordrhein-Westfalen: 6,4 Prozent, Bayern: 6,0 Prozent). Maßgeblich für die Herkunftsbestimmung war das Bundesland, in dem die Hochschulreife erworben wurde. Inwieweit dies schon einen stabilen Trend darstellt, werden die nächsten Jahre zeigen.

Doch ganz gleich, wie gut ihr Rang in nationalen oder internationalen Hochschulrankings ist: Deutsche Universitäten rekrutieren ihre Studierenden noch immer mehrheitlich aus ihrem regionalen Umfeld und dem sie umgebenden Bundesland. Selbst die stärkste nationale Hochschulmarke, die Universität Heidelberg, kommt hier auf einen Anteil von knapp 53 Prozent, der Anteil der Landeskinder an der Ruhr-Universität liegt dagegen bei über 90 Prozent. Die Goethe-Universität liegt mit gut 70 Prozent dazwischen. Dass solche Zahlen mit Blick auf die Leistungsfähigkeit einer Universität nur begrenzte Aussagekraft haben, belegt der Wert der Universität Hamburg: Ein Anteil von 45,5 Prozent Landeskinder könnten auf den ersten Blick ein hohes Anziehungspotenzial aus Gesamtdeutschland vermuten lassen. Stattdessen ist dieser Umstand der besonderen Situation eines Stadtstaates mit begrenztem Einzugspotenzial geschuldet. Wichtige Fragen bleiben allerdings auch nach dieser Untersuchung offen:

  • Wie kann ein Untersuchungsdesign berücksichtigen, dass es neben quantitativen Faktoren auch qualitative Fragen gibt? Das Rhein-Main-Gebiet gilt in Deutschland als eine der führenden Bildungsregionen. Anders gesagt: Das Potenzial an herausragenden Studienbewerbern dürfte in Frankfurt und Region wahrscheinlich spürbar höher sein als im Raum Bochum. Ist ein bundesweites Werben um Studienbewerber, das mit erheblichen Aktionskosten verbunden ist, unter solchen Umständen überhaupt erstrebenswert? Oder gibt es nicht schon genügend geeignete Studienbewerber gleichsam vor der Tür?
  • Wie lässt sich die dauerhafte Bindekraft einer Universität und einer Stadt/Region abbilden? Anders gefragt: Aus welchen Gründen bleiben Studierende an einer Universität und in einer Region oder verlassen diese womöglich vorzeitig?

Solche Fragen sollten künftig stärker berücksichtigt werden, um die Motive für studentische Mobilität besser zu verstehen.

Dieser Text ist in der Ausgabe 3-2012 des UniReport erschienen.