UniReport-Interview: Liebling der Medien

Die Hirnforschung „zwischen Labor und Talkshow“ ist das Thema von Torsten Heinemann

Veröffentlicht am: Dienstag, 23. Oktober 2012, 17:05 Uhr (053)

Torsten Heinemann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Heisenbergprofessur für Biotechnologie, Natur und Gesellschaft an der Goethe-Universität.

Lieber Herr Heinemann, das Buch „Digitale Demenz“ des Hirnforschers Manfred Spitzer steht aktuell an der Spitze der Sachbuchcharts. Wie erklären Sie sich die ungeheure Popularität und mediale Präsenz von Hirnforschern wie Spitzer, Gerald Hüther, Gerhard Roth oder Wolf Singer?

Vieles von dem, was uns als Menschen gegenüber anderen Lebewesen auszeichnet, hat mit unseren kognitiven Fähigkeiten, unserem Gehirn zu tun. Die Hirnforschung verspricht uns Erkenntnisse, die unser Selbstverständnis als Menschen und damit jeden einzelnen von uns betreffen. Das reicht von einem besseren Verständnis unserer Emotionen, wie Angst, Trauer oder Freude, über Lernen und Gedächtnis bis hin zur Heilung von psychischen Störungen, Demenzen oder ADHS. Darüber hinaus haben die Neurowissenschaften ein hervorragendes Gespür dafür entwickelt, mit welchen Themen man in den Medien für Aufsehen sorgt. Die „Digitale Demenz“ ist nur der vorläufige Endpunkt einer Reihe von durch die Hirnforschung initiierten Debatten. Erinnert sei an die Diskussion um den freien Willen, Gedankenlesen oder Gehirndoping.

Spitzers Kritik an digitalen Medien greift die Ängste vieler Pädagogen und Eltern auf. Ist die Hirnforschung wirklich dazu geeignet (und befugt), Kulturtechniken wie Computer und Internet zu bekämpfen?

Ihre Frage trifft den Kern des Problems. Zunächst muss anerkennend festgehalten werden, dass die Hirnforschung in den vergangenen Jahrzehnten einen nennenswerten Erkenntnisfortschritt vorzuweisen hat, gerade in Fragen des Lernens und der Gedächtnisleistung. Die Hirnforschung ist also durchaus geeignet, einen Beitrag zu gesellschaftlichen Debatten zu leisten. Den in den Medien von einigen Vertretern der Neurowissenschaften verbreiteten Thesen fehlt es jedoch häufig an wissenschaftlicher Evidenz bzw. sie beruhen auf einer extrem einseitigen Interpretation von Ergebnissen. Hirnforschung kann aber bei weitem nicht alles erklären.

Was ist daran problematisch, wenn Wissenschaft populäre Kontexte sucht? Prallen dann zwei unvereinbare Welten aufeinander, sollte die ‚harte‘ Wissenschaft solche Popularisierungen lieber meiden?

Im Gegenteil. Es ist von zentraler Bedeutung, dass die Wissenschaften ihre Erkenntnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Forschung zu großen Teilen durch Steuergelder finanziert wird. Wir sind der Öffentlichkeit also auch Rechenschaft schuldig. Entscheidender jedoch ist, dass die Kommunikation von Wissen zu einer umfassenderen Bildung und einem besseren Verständnis der Bedeutung von Wissenschaft in der Gesellschaft beiträgt. Dabei muss es das Ziel sein, ein realistisches Bild des wissenschaftlichen Fortschritts zu zeichnen und keine überzogenen Versprechungen zu machen. Darüber hinaus ist es entscheidend, dass die Lust an der wissenschaftlichen Erkenntnis im Fordergrund steht und nicht die Popularisierung von Ergebnissen. Das mag selbstverständlich klingen, ist es aber in der wissenschaftlichen Praxis nicht immer.

In Ihrem Buch beschreiben Sie die Hirnforschung im Kontext der modernen Wissensgesellschaft, in der es vor allem um ökonomisch verwertbares Wissen gehe. Können Sie diesen Gedanken etwas erläutern?

In der heutigen Wissensgesellschaft wird Wissen zur wichtigen Produktivkraft und Wissensarbeiter, Berater und Manager haben einen zentralen Stellenwert. Wissen muss in dieser Logik vor allem ökonomisch verwertbar, d.h. in irgendeiner Form praktisch sein und einen unmittelbaren Nutzen haben. Der Hirnforschung gelingt es in diesem Kontext, genau ein solches Wissen anzubieten, bspw. in Form von Ratgeberliteratur für eine bessere Kindererziehung, ein konzentriertes Lernen und Arbeiten oder optimierte Techniken zur Erholung. Grundlagenorientierte Forschung, die keinen unmittelbaren Praxisbezug hat, hat es unter diesen Bedingungen schwerer.

Große Popularität genießt das so genannte „Neuroimaging“: Wenn man behauptet, man könne neuronale Entsprechungen sogar für einzelne Gegenstände im Hirn nachweisen, wäre man doch ganz nah am Gedankenlesen?

Im Prinzip ist das richtig. Es darf dabei aber nicht vergessen werden, dass diese Form des Gedankenlesens bisher ausschließlich in einer kontrollierten Laborumgebung möglich ist. Das Thema ist deshalb ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie problematisch die Popularisierung von Erkenntnissen sein kann. Bei der Erforschung des visuellen Kortex, also dem Bereich des Gehirns, in dem unsere visuellen Sinneseindrücke verarbeitet werden, gab es in den vergangenen Jahren beeindruckende Fortschritte, aber vom wirklichen Gedankenlesen sind wir weit entfernt. In populärwissenschaftlichen Beiträgen entsteht dagegen der Eindruck, als wäre das Gedankenlesen möglich. Das weckt in der Gesellschaft Erwartungen, die auf absehbare Zeit nicht erfüllbar sind, und schürt zugleich unbegründete Ängste vor dem biotechnologischen Fortschritt.

Das Interview ist in der aktuellen Ausgabe des UniReport erschienen. Die Fragen stellte Dirk Frank.