Auschwitz-Mahntafel: Josef Mengele

Die (akademische) Auseinandersetzung mit den NS-Tätern zählt bisher kaum zur Erinnerungskultur. Aber sie ist nötig und darf nicht der Trauer und dem Gedenken an die Opfer entgegengesetzt werden. Am 27. Januar 2015 nahm eine Delegation von Student*innen und Mitarbeiter*innen des Fachbereichs Erziehungswissenschaften der Goethe Universität am internationalen Gedenken zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz teil. Danach diskutierten wir, wie unsere Nachforschungen zu Josef Mengele, dem berüchtigten NS-Täter, präsentiert und in der (universitären) Öffentlichkeit sichtbar werden können. Wir hoffen mit unserem Beitrag die (akademische) Auseinandersetzung anzustoßen.

Josef Mengele ein Plakat zu widmen, ist im Kontext der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (NS) sinnvoll und notwendig, denn es gibt eine besondere Verbindung zwischen ihm und der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Studieren und Lehren an der Goethe-Universität bedeutet für uns, sich mit dem Ort und der Geschichte kritisch auseinander zu setzen. Die Goethe-Universität nahm zur NS-Zeit eine führende Rolle in der Bücherverbrennung, Vertreibung aus dem wissenschaftlichen Alltag und der „Rassenforschung“ ein. In dieser Tradition der Goethe-Universität steht auch Josef Mengele, der hier zur „Rassenforschung“ promovierte und dann als „Lagerarzt“ in Auschwitz – wo er für Selektion und Ermordung durch Giftgas mitverantwortlich war und “medizinische Experimente“ an Häftlingen durchführte – zu grausamer Berühmtheit gelangte. Auschwitz ist zum Synonym für den von Deutschen begangenen millionenfachen Massenmord geworden. Die Auseinandersetzung mit Mengele bedeutet für uns, sich der Verantwortung und Ernsthaftigkeit von Studium, Forschung und Lehre bewusst zu werden. Adornos Forderung, „dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung“ (Adorno 1966), muss Fundament des Studiums und allen Nachdenkens in den Erziehungswissenschaften werden. Gerade auch im Hinblick auf die weltweit verübten grausamen Genozide und aktuellen genozidalen Tendenzen bleibt der Imperativ aktuell: „Jede Debatte über Erziehungsideale ist nichtig und gleichgültig diesem einen gegenüber, dass Auschwitz nicht sich wiederhole“ (Adorno 1966). In diesem Sinne, beginnen wir:

Mengele an der Goethe Universität

Josef Mengele wurde 1911 geboren und gehörte zu einer Familie, die eine bekannte Landmaschinenfabrik besaß. Er studierte Medizin und Naturwissenschaften in München, Wien und Bonn. Anschließend promovierte er in München in Anthropologie zur „Rassenmorphologischen Untersuchung des vorderen Unterkieferabschnittes bei vier rassischen Gruppen“ und orientierte sich an der Ideologie der „Rassenlehre“. Mengele trat 1931 dem deutschnationalen „Jung-Stahlhelm“, einer schlagenden Verbindung, bei. 1937 assistierte Mengele an der Goethe-Universität Prof. Otmar von Verschuer, Leiter des „Instituts für Erbbiologie und Rassenhygiene“ und promovierte 1938 an der Goethe-Universität in Medizin zum Thema „Sippenuntersuchungen bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalte“. Er trat der NSDAP (1937), der SS (1938) und der Waffen-SS (1940) bei.

Von Frankfurt nach Auschwitz

Ab Mai 1943 war Mengele im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz tätig. Er war bis 1945 Mitarbeiter der Goethe-Universität und erhielt von ihr sein Gehalt, während er in Auschwitz bereits als sogenannter „Lagerarzt“ tätig war. Dort führte er Selektionen durch und entschied über Leben und Tod der Häftlinge. Das geschah sowohl bei der Ankunft der Deportationszüge an der Rampe, als auch im Lager selbst und im Häftlingskrankenbau. Ferner war Mengele bei der Beaufsichtigung der Ermordung durch Giftgas und den Erschießungen dabei. Er nutzte seine Arbeit im Lager für eine Sammlung von Daten und Material für seine „Forschung“. Er arbeitete an der „Zwillingsforschung“ an Sinti und Roma, den Ursachen des „Zwerg- und Riesenwuchses“ und der „Forschung“ zu „Rasse und Blut“. Diese „Forschung“ bestand aus Menschenexperimenten und systematischen mörderischen Verbrechen. So wurden Medikamente der deutschen Pharma-Industrie an Menschen erprobt, Versuche von Sterilisationsverfahren mit Säure durchgeführt und Menschen gezielt mit Krankheiten infiziert. Zeug*innen berichten von brutalen und willkürlichen Gewaltexzessen und Erschießungen, insbesondere gegenüber Schwangeren und jungen Müttern. Bevor die Rote Armee Auschwitz am 27.01.1945 befreite, erschoss Mengele noch Kinder, die für seine „medizinischen Versuche“ vorgesehen waren.

Mengele nach 1945

Noch vor dem Eintreffen am 27. Januar 1945 der Roten Armee verließ Mengele das Lager. Später geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, wurde jedoch aufgrund seiner fehlenden, für Angehörige der SS üblichen, Blutgruppentätowierung von den US-Streitkräften nicht erkannt. Nach seiner Freilassung lebte er zunächst untergetaucht im Wald in der Nähe seines Geburtsortes in Günzburg/Bayern. 1949 verließ Mengele mit einem Pass des Internationalen Roten Kreuzes Deutschland und floh nach Argentinien. In den folgenden Jahren besuchte Mengele Deutschland zwei Mal. Beim zweiten Besuch sogar mit legalen Papieren unter vollem Namen. Mengele wird international als Kriegsverbrecher gesucht, jedoch ohne Eintrag in den deutschen Fahndungslisten. 1958 strengt der Auschwitz-Überlebende Hermann Langbein, Generalsekretär des Internationalen Auschwitz Komitees, eine Klage gegen Mengele an. Seit 1956 wurde gegen Mengele u.a. durch Fritz Bauer bzw. durch die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt. Da Mengeles Aufenthalt nicht identifiziert werden konnte, blieb es beim Ermittlungsverfahren, das erst nach der definitiven Feststellung seines Todes eingestellt wurde.  Nicht zum ersten und nicht zum letzten Male versagte die deutsche Justiz derart und verhinderte die Verurteilung eines Naziverbrechers.

Langbein gelang es dennoch, die letzte Meldeadresse Mengeles in Erfahrung zu bringen. Somit erging ein Jahr später Haftbefehl gegen den ehemaligen „Lagerarzt“. 1961 konnte Langbein die Universität München und die Goethe-Universität dazu bringen, Mengele die beiden Doktortitel zu entziehen. Durch die Verzögerungstaktik von Mengeles Anwalt Fritz Steinacker aus Frankfurt/M wurden erst 1964 die beiden Doktortitel des NS-Verbrechers aberkannt.

Aufgrund der Vorbereitungen des Frankfurter Auschwitz-Prozesses (1959-1965) und des hohen Bekanntheitsgrades seines Namens wurde für Mengele die Lage in Südamerika gefährlicher. Um eine Auslieferung zu verhindern, verschaffte er sich in Paraguay die dortige Staatsbürgerschaft und lebte unter falschem Namen in Brasilien. Ohne sich jemals der Verantwortung für seine begangenen Verbrechen stellen zu müssen, wohnte Mengele auf seiner Hazienda, bis er 1979 beim Badeunfall starb (sein Tod wurde erst 1985 offiziell bestätigt).


Nachweise:

  • Foto: Ehem. „Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene“ Goethe Universität; Gartenstr.140, FFM
  • Dokument:  Josef Mengeles Vereidigungsnachweis 21. Juli 1938
  • Dokument:  Haftbefehl gegen Josef Mengele 19. Januar 1981, hier heißt es: „Er ist dringend verdächtig, zwischen dem 24. Mai 1943 und dem 18.  Januar 1945 in Auschwitz (Oswiecim / Polen) und anderen Orten durch mehrere selbständige Handlungen teils gemeinschaftlich handelnd in einer abschließend noch nicht ermittelten Vielzahl von Fällen aus Mordlust und sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch, grausam und mit gemeingefährlichen Mitteln Menschen, getötet, dies versucht und zur Tötung von Menschen angestiftet und Beihilfe geleistet zu haben.“

Quellen:

Bildnachweise: 1. Portrait Josef Mengele, Ort und Datum unbekannt: National Museum of Auschwitz-Birkenau. Copyright: United States Holocaust Memorial Museum .  2. Ortmeyer 2014, S. 21. 3. „Vereidigungsnachweis“ von Josef Mengele aus: Ortmeyer 2014: S.67. 4. Ortmeyer 2014, S. 75-107.

Literatur: Adorno, Theodor W. (1966): Erziehung nach Auschwitz. In: Kadelbach, Gerd (Hrsg.) (1971): Theodor W. Adorno. Erziehung zur Mündigkeit. Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Main.  Benzenhöfer, Udo (Hrsg.) (2010): Mengele, Hirt, Holfelder, Berner, von Verschuer, Kranz: Frankfurter Universitätsmediziner der NS-Zeit. Klemm & Oelschläger: Münster.  Benzenhöfer, Udo (2012): Die Frankfurter Universitätsmedizin zwischen 1933 und 1945. Klemm & Oelschläger: Münster.  „diskus“ in Zusammenarbeit mit der Initiative Studierender am IG Farben Campus (2013): diskus. Studieren nach Auschwitz. Jg. 52, Heft Nr.1.13 Frankfurt am Main.  Eckart, Wolfgang (2012): Medizin in der NS-Diktatur. Ideologie, Praxis, Folgen. Böhlau Verlag: Wien/Köln/Weimar.  Hilberg, Raul (2007): Die Vernichtung der europäischen Juden. Band 1. 10. durchgesehene und erweiterte Ausgabe.  Klee, Ernst (2012): Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer. 5. überarbeitete Neuausgabe. In: Pehle, Walter H. (Hrsg.): Die Zeit des Nationalsozialismus. Eine Buchreihe. Fischer TB Verlag: Frankfurt am Main.  Mozes Kor, Eva/ Rojany Buccieri, Lisa (2012): Ich habe den Todesengel überlebt. Random House: München. | Ortmeyer, Benjamin (2014): Jenseits des Hippokratischen Eids. Josef Mengele und die Goethe-Universität. Protagoras Academicus: Frankfurt am Main.  Simonsohn, Trude (2013): Noch ein Glück. Erinnerungen. Wallstein Verlag: Göttingen.

Ein Beitrag zur Geschichte und Kritik an der Goethe Universität. „AG Mengele Poster“ zum 70. Tag der Befreiung von Auschwitz am 27.01.2015 von  Lisa Gehrlein, Ingo Paul, Paola Widmaier und Dr. Manfred Wittmeier, FB 04 Erziehungswissenschaften; www.uni-frankfurt.de/63736518/Mengele-Projekt

Förderung und Dank an: Freunde und Förderer der Goethe Universität Frankfurt & FB Erziehungswissenschaften.