Das Rhine-Main Neuroscience Network

Das Rhine-Main Neuroscience Network (rmn²) wurde im Jahr 2010 als Zusammenschluss von Forschungsinstitutionen in Frankfurt und Mainz gegründet, um sich in den verschiedenen Bereichen der Neurowissenschaften gegenseitig zu ergänzen, um Technologien gemeinsam zu nutzen und neue Erkenntnisse schneller in die klinische Praxis umzusetzen. Die gemeinsame Ausbildung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist dabei ein zentraler Baustein des Netzwerks. Beteiligt sind unter anderem die Universitäten und die Universitätskliniken der beiden Städte. Die internationale Sichtbarkeit des Neuro-Forschungsverbunds steht auf einer Stufe mit den Forschungsnetzwerken in Berlin und München. Zu den größten von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Verbundprojekten des rmn² gehören die Sonderforschungsbereiche "Molekularen und Zellulären Mechanismen der Neuralen Homöostase" und "Multiple Sklerose: Von einem neuen Verständnis der Pathogenese zur Therapie".

Zwei starke neurowissenschaftliche Standorte ergänzen sich

Prof. Dr. Helmuth Steinmetz ist überzeugt: "Die Neuro-Szene in Frankfurt und Mainz ist bereits vor fünf Jahren auf einem Weg vorangegangen, dem nun andere folgen." Die Initiative zum engeren Zusammenschluss der Universitäten Frankfurt, Mainz und Darmstadt sowie einer Reihe weiterer Institutionen der Region sei auch vom Rhine-Main Neuroscience Network (rmn²) inspiriert. "Die Erfolge, die wir mit unserer Kooperation einfahren, haben andere Fächer aufhorchen lassen", so der Direktor der Klinik für Neurologie am Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Der junge und der alte Goethe schauen Steinmetz über die Schulter, während er gestenreich und mit viel Energie erzählt. In seinem Büro hängt ein Kunstdruck, der den Frankfurter Dichter in beiden Lebensphasen zugleich zeigt. Schräg hinter dem Neurologen steht eine phrenologische Büste als kleine Hommage an die Hirnforschung des 19. Jahrhunderts und einige Grafiken an den Wänden dokumentieren den besonderen Blick der bildenden Kunst auf das menschliche Gehirn.

Steinmetz ist aktuell Sprecher des Rhine-Main Neuroscience Network. Es fällt ihm nicht schwer, die Vorzüge dieses Netzwerks zu skizzieren. "Wir bestechen nicht nur durch unsere Qualität, sondern auch durch Quantität, durch unsere Methodenvielfalt. Mainz und Frankfurt ergänzen sich hervorragend, denn wir sind thematisch ausreichend verschieden. Die Mainzer forschen vor allem auf der molekularen und zellulären Ebene. Wir in Frankfurt beschäftigen uns schwerpunktmäßig auch mit der systemischen Neurowissenschaft, also mit den höheren kognitiven Funktionen."

Im molekularen und zellulären Bereich habe es in jüngster Vergangenheit große Fortschritte gegeben. "In der systemischen Neurowissenschaft hingegen klaffen noch immer Riesenlücken. Wenn Sie etwa die molekular-zellulären Funktionen der Leber oder des Herzens verstehen, verstehen Sie die Funktion des gesamten Organs. Beim Gehirn ist das anders. Der Gesamtorganismus ist mehr als die Summe seiner einzelnen Teile. Er bringt völlig neue Dinge hervor. Höhere Hirnfunktionen werden nicht aus dem Verstehen der Zellprozesse heraus erklärbar."

Steinmetz ist weit davon entfernt, die Leistungen in der Behandlung neuromedizinischer Krankheiten klein zu reden. "Gerade in der Behandlung des Schlaganfalls oder der Multiplen Sklerose haben wir zuletzt gigantische Fortschritte gemacht." Doch es bleiben viele große, grundsätzliche Fragen  – etwa die nach den strukturell-funktionellen Grundlagen höherer Hirnleistungen und denen ihrer krankheitsbedingten Störungen, mit denen Neurologie und Psychiatrie ebenfalls kämpfen. "Da hoffen wir nachzuziehen."

Den Zusammenschluss zum rmn²-Netzwerk sieht Steinmetz als Folge der in den letzten Jahren ständig wachsenden Stärke der Standorte Mainz und Frankfurt. "Hier ist in den letzten Jahren eine völlig neue Vielfalt der Institutionen gewachsen, die sich mit Neurowissenschaften beschäftigen. Allerdings haben wir erkannt, dass jeder für sich allein nicht an Berlin oder München heranreichen kann." Erst als geeintes Netzwerk könne Rhein-Main mit den anderen Zentren der Hirnforschung mithalten.

"Tatsächlich werden wir mittlerweile als Einheit gesehen. Dazu passt natürlich, dass Frankfurt und Mainz gerade mal 30 Minuten auseinanderliegen." Diese Botschaft transportiert auch die besondere Landkarte des rmn², die auf Steinmetz' PC-Monitor zu sehen ist: Eine Silhouette des Hirns umschließt die beiden Städte Mainz und Frankfurt. Der Main schimmert als verbindende Ader in hellem Blau. Davor führt die "Research Map" die 13 Verbundpartner auf. Das Netz ist groß.

"Unser Netzwerk lebt aber vor allem in den einzelnen Projekten", betont Steinmetz. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der verschiedenen Forschungsbereiche treffen sich regelmäßig zum intensiven  Austausch. "Es ist zum Beispiel auch üblich, dass Patienten aus Mainz in Frankfurt im Hochfeld-Magnetresonanztomographen und im Magnetoenzephalographen wissenschaftlich untersucht werden."

Damit kommt der Professor auf einen Leuchtturm der Frankfurter Neurowissenschaften zu sprechen: das Brain Imaging Center (BIC). Mit seinen Systemen für die Hochfeld-Magnetresonanztomografie (MRT) oder die Magnetenzephalographie (MEG) ist das Zentrum für Bildgebung in den Neurowissenschaften in Deutschland führend. "Es ist eine große Forschungsanlage aus Mitteln des Bundes, des Landes, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft." Die Mainzer nutzen das Brain Imaging Center regelmäßig und auch Institutionen jenseits des rmn² greifen auf die vielfältigen Verfahren zurück, um sich buchstäblich ein Bild zu machen.

Doch die Fäden des Neuronetzes verbinden nicht nur Leuchttürme. Sie verlaufen auf vielen Ebenen. "Unser Leitungsgremium kommt einmal pro Quartal zusammen und bespricht die anliegenden Themen." In den Berufungsgremien der Partneruniversitäten und -kliniken sitzen jeweils Vertreter beider Standorte, um miteinander abzustimmen, wer ins Netz hineinpasst und wo noch Lücken zu schließen sind. "Außerdem können unsere Studierenden ohne Probleme auf die Lehr- und Promotionsmöglichkeiten beider Universitäten zurückgreifen."

Dass sich solch ein enges Netz über hessische und rheinland-pfälzische Landesgrenzen hinweg ausbreitet, ist recht neu. "Noch vor 20 Jahren hätte niemand solche Überlegungen angestellt. Den Nachbarn zu fördern, das war einfach nicht vorgesehen. Aber auch da ist die Neuro-Szene Vorreiter."

Zum Schluss wagt Steinmetz noch einen Blick in die Zukunft: "Wir erwarten in den nächsten Jahren eine zunehmende Einflussnahme des Bundes auf Wissenschaftssteuerung und -finanzierung. Mit dem Neuro-Netzwerk erhoffen wir uns eine wesentliche Erhöhung unserer Chancen, daran teilzuhaben. Mit zwei Bundesländern werden wir dann auch zwei Fürsprecher haben."

Das Rhine-Main Neuroscience Network steht bereit. Das Netz ist gespannt, die Zukunft kann kommen. Und Goethe schaut staunend zu.

Bildunterschriften:
Prof. Dr. Helmuth Steinmetz vom Universitätsklinikum Frankfurt ist aktuell Sprecher des Rhine-Main Neuroscience Network rmn2. (Foto: Stefan F. Sämmer) 

Prof. Dr. Helmuth Steinmetz leitet die Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum der Goethe-Universität Frankfurt. (Foto: Stefan F. Sämmer)


Rhine-Main Neuroscience Network

Sprecher: Prof. Dr. Helmuth Steinmetz, Klinik für Neurologie am Klinikum der Goethe-Universität, Tel. Tel.: (069) 6301-5769, h.steinmetz(at)em.uni-frankfurt.de

Partner: Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Max Planck-Institute für Biophysik, für Hirnforschung und für Empirische Ästhetik, Frankfurt, Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS), Interdisciplinäres Zentrum für Neurowissenschaften (ICNF), Frankfurt, Ernst Strüngmann Institut, Frankfurt, Institut für Molekulare Biologie (IMB), Mainz, Deutsches Resilienz Zentrum (DRZ), Mainz, Fokusprogramm Translationale Neurowissenschaften (FTN), Mainz.

Link: http://www.rmn2.de


Ein Marathonlauf für die Wissenschaft

"Es ist heutzutage wichtig, Forschungsschwerpunkte systematisch auszubauen“, stellt Prof. Dr. Dr. Robert Nitsch kategorisch fest. "Das war auch unser Plan. Natürlich muss dabei viel mehr herauskommen als eine tolle Website. Man braucht ein langfristiges Konzept und die Dinge müssen nachhaltig wirken. Es geht darum, gute Leute zu holen. Damit diese Leute aber kommen, muss man attraktive Strukturen und vielversprechende Perspektiven bieten. Die Möglichkeit zur kontinuierlichen Forschung über Jahrzehnte hinweg muss entstehen. Das ist uns gelungen."

Der Direktor des Instituts für Mikroskopische Anatomie und Neurobiologie an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) weiß, wovon er spricht. In der Vergangenheit baute er unter anderem an der Berliner Charité ein Forschungszentrum für Neurowissenschaften auf, war dort mit dem Cluster NeuroCure in der Exzellenzinitiative erfolgreich. In Mainz und Frankfurt bereitete er die Gründung des Rhine-Main Neuroscience Network (rmn²) vor, das im Jahr 2010 offiziell ins Leben gerufen wurde. Seitdem arbeitet der Mediziner und Neurobiologe mit einem zusätzlichen Doktorgrad in der Philosophie unermüdlich an dessen weiteren Ausbau. "Das ist wie ein Marathonlauf", sagt er – und lehnt sich entspannt zurück.

Das Gespräch mit Nitsch findet in einem kleinen Konferenzraum in einem 1960er-Jahre-Bau der Universitätsmedizin Mainz statt, während auf dem Gutenberg-Campus gerade ein Forschungsbau für Neurowissenschaften entsteht. Dafür wird ein älteres Gebäude von Grund auf umgekrempelt. Die Sanierung kostet rund 42 Millionen Euro. "Die Hälfte des Geldes kommt vom Bund, das haben wir kompetitiv eingeworben", erzählt Nitsch. Spätestens 2018 soll zudem ein neues, hochmodernes Neuroimaging-Center auf dem Gelände der Mainzer Universitätsmedizin entstehen. Beides sind Meilensteine an Nitschs Marathonstrecke.

Um rmn² überhaupt zum Erfolg zu führen, musste zuerst ein eigenes Regionenkonzept her: "Mainz und Frankfurt mussten als ein Standort wahrgenommen werden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft sieht das inzwischen so. Wir haben bei ihr mittlerweile zwei Sonderforschungsbereiche eingeworben und es sollen noch mehr werden. Das ist etwas Besonderes, denn solche Sonderforschungsbereiche sind hoch kompetitiv."

Es lag im Grunde nahe, Mainz und Frankfurt als einen Forschungsstandort zusammenzuschließen. Nitsch schaut kurz auf die beiden anderen großen Zentren der Neurowissenschaften in Deutschland, auf Berlin und München, wo ebenfalls verschiedenste Institutionen an einem Strang ziehen. "Wenn Sie in Berlin von einer Universität zur anderen fahren, brauchen Sie unter Umständen mehr als eine Stunde. Da liegen Mainz und Frankfurt mit ihren Universitäten näher aneinander. Außerdem sind wir mit dem Frankfurter Flughafen international hervorragend angebunden."

Der Sprung über die Ländergrenze hinweg bedurfte zu Beginn einiger Überzeugungsarbeit. Mittlerweile arbeiten Rheinland-Pfalz und Hessen in Sachen rmn² Hand in Hand. Im Netzwerk finden sich 13 Partner aus beiden Bundesländern, darunter neben den Universitäten und Universitätskliniken auch einige Frankfurter Max-Planck-Institute und das Institut für Molekulare Biologie (IMB) in Mainz.

Trotz all dieser organisatorischen und wissenschaftspolitischen Fragen verliert Nitsch die konkreten Forschungsprojekte nicht aus den Augen. "In unserem Netzwerk beschäftigen wir uns zum Beispiel mit Fragen der psychischen Gesundheit: Wie bleiben wir in dieser komplexen Welt gesund? Wie kann das Gehirn den Herausforderungen der modernen Arbeitswelt standhalten? Wie halten wir den permanenten Druck aus? Einige können das besser, andere schlechter. Warum?"

Das Interesse an der Beantwortung solcher Fragen ist groß. "Wir haben das Deutsche Resilienz-Zentrum gegründet, um auf diesem Gebiet zu forschen. Hervorragende Leute sind nach Mainz gekommen, um das DRZ aufzubauen." Nitsch nennt als Beispiel seinen Kollegen Prof. Dr. Rafael Kalisch. "Er wurde aus Hamburg berufen, wo er an einem erstklassigen Zentrum gearbeitet hat. Seinerzeit ist er mit der Hoffnung gekommen, bei uns etwas Neues aufbauen zu können. Er hat sich auf ein echtes Risiko eingelassen und Übergangslösungen in Kauf genommen." Dann konnte der Neubau für das Neuroimaging-Center eingeworben werden, für das Kalisch verantwortlich zeichnet, der 2018 auf dem Campus der Unimedizin Mainz bezogen werden kann.

"Im gesamten Neurobereich wurden in den letzten Jahren mehr als ein Dutzend neue Professorinnen und Professoren berufen", sagt Nitsch. Von diesen renommierten Forscherinnen und Forschern lebt das rmn², da ist er sich sicher. "Auch durch die Anbindung von Prof. Dr. Amparo Acker-Palmer und Prof. Dr. Jochen Röper, beide Professoren an unserer Frankfurter Partneruniversität, die demnächst auch in Mainz forschen, ist das rmn2 gelebte Realität! Es müssen aber nicht immer gleich Professoren sein. Oft haben die Doktorandinnen und Doktoranden die besten Ideen." Auch sie kommen zu Wort. "Wir treffen uns zum Beispiel alle zwei Jahre in einer Jugendherberge. Da versammeln sich rund 350 Leute – und es sind vor allem Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler –, die ihre Forschung vorstellen und darüber diskutieren."

Mit seiner ersten "rmn² lecture" präsentierte sich das Netzwerk im Februar 2015 einer breiten Öffentlichkeit. Der relativ späte Zeitpunkt war bewusst gewählt. Hier stellte sich ein Verbund vor, der bereits große Erfolge eingefahren hatte. Der berühmte Neurophysiologe Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolf Singer sprach über "Das Gehirn, ein sich selbst organisierendes, dynamisches System: Herausforderungen eines Paradigmenwechsels". Das Interesse war groß, rund 900 Gäste kamen nach Frankfurt.

Schon am 1. Februar 2016 wird der Neuropsychologe Prof. Dr. Jan Born aus Tübingen die nächste "rmn² lecture" halten – diesmal zum Thema "Schlaf". "Wir haben der Öffentlichkeit etwas zu sagen, und wollen den Bürgerinnen und Bürgern in der Rhein-Main-Region zeigen, was wir Wissenschaftler machen", sagt Nitsch. Und immer wieder werden Nitsch und seine Mitstreiter mit ihrer Forschung neue Meilensteine setzen. Neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden das Netzwerk bereichern, neue Institute werden entstehen. "Wir sind sogar auf dem Weg, das Deutsche Resilienz-Zentrum als Leibniz-Institut zu etablieren."

Nitschs Marathonlauf ist noch lange nicht beendet. Ein Ziel aber hat er längst erreicht: "Mainz und Frankfurt sind wirklich verbunden. Die Welt weiß, dass wir eins sind." 

Bildunterschriften:
Prof. Dr. Dr. Robert Nitsch leitet das Institut für Mikroskopische Anatomie und Neurobiologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. (Foto: Stefan F. Sämmer)

Mit der ersten 'rmn2 lecture' im Februar 2015 hat sich das Rhine-Main Neuroscience Network einer breiten Öffentlichkeit präsentiert. (Foto: Stefan F. Sämmer)