Glückwunsch an Prof. Dr. Jungraithmayr

Am 7. Mai 2021 beging Prof. Dr. Herrmann Jungraithmayr seinen 90. Geburtstag. Der Jubilar, Professor im Ruhestand für Afrikanistik, ist weltweit einer der bekanntesten Gelehrten auf dem Gebiet der afrikanischen Sprachen. Besonders in der Tschadistik sind seine Publikationen wegweisend und gehören bis heute zu den grundlegenden Arbeiten dieser im Herzen Afrikas beheimateten Sprachfamilie. Als „Doyen“ der Afrikanistik hat er sich Zeit seines wissenschaftlichen Lebens mit vielen dieser ca. 150 Sprachen umfassenden Sprachenwelt des „Mega-Tschads“ befasst, deren Faszination Prof. Jungraithmayr bis heute noch immer nicht losgelassen hat.

Herrmann Jungraithmayr wurde im oberösterreichischen Eferding als ältester von drei Brüdern geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Linz studierte er in Wien Afrikanistik, Ägyptologie und Völkerkunde, eine Kombination, die seiner humanistischen Neigung sehr entgegenkam. Sein Studium schloss er 1956 mit einer Promotion über die Sprache der Tangale, einer im nordöstlichen Nigeria beheimateten Ethnie, in Hamburg ab. Zu seinen Wiener und Hamburger Lehrern gehörten international bekannte Wissenschaftler wie Wilhelm Czermak, ein Vertreter der Philologie des Faches Afrikanistik, August Klingenheben, bei dem er Fulfulde, eine der komplexesten Klassensprachen Westafrikas lernen konnte, Johannes Lukas, der ihn in die Welt der Töne afrikanischer Sprachen einführte und Ernst Dammann, dessen wissenschaftliche Gründlichkeit er in Marburg/Lahn erleben durfte. All diese akademischen Lehrer haben nicht nur Herrmann Jungraithmayrs fachliche Fähigkeiten, sondern auch seine menschliche Bildung entscheidend mitgeprägt.

Nach seinem Studium trat Herrmann Jungraithmayr (von 1956-59) eine Dozentenstelle am Goethe-Institut in Kairo an und lehrte dort gleichzeitig an der weltbekannten Al-Azhar-Universität. Er lernt dort Arabisch, was ihn tief in den faszinierenden Kulturkreis des Orients eindringen lässt, dessen Gesellschaft und Lebensgefühl ihn nachhaltig beeindrucken. Von Kairo aus unternimmt er mit seinem Bruder Alfred eine Forschungsreise 1958/59 nach Darfur (Sudan) und Wadai (Tschad), wo er erste Feldforschungserfahrungen sammelt. Im Jahr 1960 kehrt er nach Hamburg zurück und ist dort für die nächsten 3 Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Afrikanische Sprachen und Kulturen tätig. In diese Zeit fällt ein weiterer längerer Forschungsaufenthalt 1962 in Nordost-Nigeria, bei dem er sich v.a. mit dem Tangale und den Angas-Ron-Sprachen auf dem Jos-Plateau beschäftigt. Mit diesem umfangreichen Material habilitiert er sich 1967 in Hamburg, obwohl er bereits ab 1963 in der Abteilung für Afrikanische Sprachen der Philipps-Universität in Marburg/Lahn als wissenschaftlicher Assistent angestellt ist. In den Jahren 1968-69 führte ihn sein Weg als Gastdozent an die Howard University in Washington D.C., wo er am African Studies and Research Program mitarbeitet. Nach Marburg zurückgekehrt, erfolgte 1972 seine Berufung als Professor für Afrikanische Sprachen.

Damit erwuchsen ihm neue Möglichkeiten für eine Erweiterung seiner wissenschaftlichen Themenstellungen und Forschungsziele. Unter seiner Leitung wird der Tschadische Wortkatalog ins Leben gerufen, eine internationale Koordinations- und Forschungsstelle für die Kodifizierung der ca. 150 tschadischen Sprachen. 1968 gründet er - zusammen mit dem Religionswissenschaftler H.-J. Greschat - die Zeitschrift Africana Marburgensia und 1973 die Monographienreihe Marburger Studien zur Afrika- und Asienkunde, die bis heute -  unter dem Titel Sprache und Oralität in Afrika in Frankfurt/Main weitergeführt wird. Am Nachhaltigsten jedoch prägte ihn in seiner Marburger Zeit die Begegnung mit dem Semitisten Otto Rössler. Das analytische Verständnis O.  Rösslers für die historischen Zusammenhänge des ‚Hamito-Semitischen‘ (Afroasiatischen), sowie seine Hypothesen über das binäre Aspektsystem und die diachronen Prozesse bei Rekonstruktionsarbeiten, regten Herrmann Jungraithmayr dann auch zu weiterführenden wissenschaftlichen Arbeiten an. So stammen aus dieser Zeit mehr als 100 Artikel und 10 Monographien aus seiner Feder, bevor er 1985 auf eine C4-Professur an die J.W. Goethe-Universität nach Frankfurt am Main berufen wird. Mit seiner Berufung verband sich die Gründung des hiesigen Instituts für Afrikanistik, das zunächst als Professur, dann als Institut für Afrikanische Sprachwissenschaften, firmierte und dessen Direktor er bis 1996 war. Als Mitbegründer und vertretender Sprecher des Sonderforschungsbereich 268 „Westafrikanische Savanne“ (1989-2003) eröffneten sich ihm viele Forschungsreisen, deren wissenschaftliche Ergebnisse in seinem Oeuvre so zahlreich sind, dass sie sich kaum auf einzelne Themenbereiche hin eingrenzen lassen. Sie reichen von grammatischen Sprachbeschreibungen – vielfach handelt es sich um Erstbeschreibungen afrikanischer Sprachen – bis hin zur Bearbeitung afrikanischer Märchen und sprachphilosophischen Themen. Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeiten sind Theorien zum Aspektsystem im Tschadischen, Hypothesen zur Wanderung tschadischsprechender Ethnien, die Rekonstruktionen urtschadischer Lexeme sowie die aktuelle Frage nach Ablaut und Abton in den verschiedenen tschadischen Verbalsystemen.

Aber Sprache ist für Herrmann Jungraithmayr keineswegs nur ein theoretisches Gebilde, sondern immer auch Ausdruck des Lebens. Viele seiner Forschungsreisen, die der Verfasser selbst miterleben durfte, zeigen ihn auch als einen einfühlsamen Wissenschaftler, der das Vertrauen und den Respekt seiner afrikanischen Mitarbeiter schnell gewinnen konnte. Dabei kam ihm seine offene und zuvorkommende Art, aber auch seine große Sprachbegabung zugute. Ein schneller Zugang zum Wesen(skern) der Sprachen befähigte ihn, diese nicht nur in ihrer Komplexität rasch zu erfassen, sondern die diffizilen Sachverhalte auch seinen Studierenden anschaulich im Unterricht darzulegen. Dabei hat er nie eine Vorlesung im üblichen Sinne gehalten. All seine Veranstaltungen waren eine reiche Quelle philologischer Erklärungen, scharfsinniger Interpretationen, und von der tiefen Empfindung geprägt, dass ‚Wort‘ und ‚Mensch‘ nicht voneinander zu trennen sind. So war für ihn Sprache nicht nur Theorie, nie irgendein Abstractum, sondern immer Ausdruck des Lebens. Mit großer Begeisterung hat er den wundersamen Reichtum afrikanischer Sprachen vor seinen Hörern auferstehen lassen und ihnen ihre Laut- und Tonstrukturen, ihre Morphologie und syntaktischen Regeln erklärt. So machte es ihm immer wieder Freude, junge Menschen für seine Wissenschaft zu begeistern und sie zu eigenen Sprachuntersuchungen anzuleiten. Viele seiner Student*innen und jüngere Kolleg*innen verdanken ihm daher die Anregung eigene Feldforschungen durchzuführen, um so die Sprachen in ihrem natürlichen Habitat zu erleben.

Dabei verstand H. Junraithmayr - wie kaum ein anderer - nicht nur im universitären Bereich, sondern auch in der Öffentlichkeit einem breiten Publikum die Faszination unseres ‚Orchideenfachs‘ Afrikanistik zu vermitteln. So konnte es nicht ausbleiben, dass zahlreiche Ehrungen seinen beruflichen Werdegang begleiteten. Viele Jahre war er DFG-Gutachter, saß im Vorstand des Internationalen Afrika-Instituts in London, war in den 1970er Jahren Responsable de la Section Tchadique am Centre National de Recherche Scientifique und später (1990) Président de l’Association Méga-Tchad in Paris. Seit 1972 gehörte er zum Vorstand der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, deren Erster Vorsitzender er von 1990-99 war. Als Partnerschaftsbeauftragter unserer Universität begleitete er den Studenten- und Dozentenaustausch mit der Universität Maiduguri/Nigeria und die Kooperation mit der Lomonossow-Universität in Moskau. Die Frankfurter Wissenschaftliche Gesellschaft berief ihn 1976 zu ihrem Mitglied und 1985 in den Vorstand. Aber nicht nur in Europa gelangte er zu verdienstvollen Positionen und damit zu herausragenden Ehrungen in den verschiedensten  akademischen Institutionen. Auch in Afrika würdigte man Herrmann Jungraithmayr. Im Jahre 1995 wurde ihm von den Tangale, deren Erforschung ihm Zeit seines Lebens ein besonderes Anliegen war, der Ehrentitel May Yadak ‚Minister des Krieges‘, d.h. ‚Verteidiger der Tangale-Kultur‘ verliehen, und bei den Mushere auf dem Nigerianischen Plateau erhielt er den Titel Mi Sam, eine Ehre, die keinem anderem Europäer so jemals vor ihm zuteil wurde.

Das Bild des Menschen H. Jungraithmayr wäre jedoch unvollständig, würde man nicht seine wissenschaftliche Begeisterung, sein Suchen nach neuen Wegen in der Forschung und seine Freude und  Leidenschaft für Musik und Poesie erwähnen. Aber auch seine Liebe zu seiner Familie und zu seinen vier Kindern sei hier genannt. Die Literatur, die ihm Zeit seines Lebens ein wichtiger Bestanteil seiner Erholung und Muse war, zeitigt eine hohe Bedeutung in seinem Leben. Ohne sie - so versicherte er mir einmal – gäbe es keine Gelassenheit und keine Heiterkeit.

Das Institut für Afrikanistik wünscht dem Jubilar weiterhin nicht nur Glück und Gesundheit, sondern auch alles erdenklich Gute bei weiteren Unternehmungen. Möge Ihnen die Kraft und die Freude an der weiteren Erforschung und Beschreibung so manch einer afrikanischen Sprache noch lange erhalten bleiben. Das wünschen wir Ihnen von ganzem Herzen.   

 

Dr. Rudolf Leger