Historizität und Islamizität: Perzeptionen der islamischen Frühgeschichte im zeitgenössischen muslimischen Denken

12 - 14 Dezember 2019


Programm








































Historizität und Islamizität: Perzeptionen der islamischen Frühgeschichte im zeitgenössischen muslimischen Denken

Internationale Konferenz am Zentrum für Islamische Studien, Goethe-Universität Frankfurt am Main,

12.–14. Dezember 2019


Veranstalterinnen: Prof. Dr. Armina Omerika, Dr. Soumaya Louhichi-Güzel


Die Geschichte des Islams, besonders dessen frühe Phase, hat sich im Denken moderner Muslime zu einem wichtigen Referenzpunkt und zur Projektionsfläche bei der Konstruktion islamischer Identitäten und allgemein von Islamizität entwickelt.

Seit dem 19. Jahrhundert wurde die Frühgeschichte des Islams seitens europäischer Orientalisten verstärkt in den Blick genommen. Die dadurch entstandenen Kontroversen ebenso wie der sich im Erkenntnishorizont der globalen Moderne vollziehende Ideentransfer führten teilweise zu einem Abwehrreflex in der muslimischen Welt, aber auch zu Aneignungen zeitgenössischer geschichtsphilosophischer und geschichtswissenschaftlicher Konzepte sowie zu ihren Adaptationen an ältere Episteme der muslimischen Ideengeschichte. Gleichzeitig ermöglichte die moderne Rekonstruktion des Konzepts „Islam“ als eines historischen Subjekts neue Formen von kollektiver Identitätsbildung, die ihre Legitimation wiederum aus historischen Referenzen bezogen.

In den im Laufe des 20. Jahrhunderts von modernen muslimischen Intellektuellen und Denkern vertretenen historischen Modellen kam der frühen Phase der islamischen Geschichte eine zentrale Bedeutung zu. Die dabei zu Tage tretenden Konstruktionen reichen von einer heilsgeschichtlichen Überzeichnung historischer Prozesse, über Verdichtungen zu einem ‚Ursprung‘ bzw. ‚Goldenen Zeitalter‘ bis hin zu Idealisierungen der frühen muslimischen Gemeinde als Modell zur Begründung moderner sozialer Ordnungen. Diese Konstruktionen haben sich in ihren Implikationen vor allem für das islamische religiöse Denken trotz anderslautender, auf kritischen Betrachtungen und Untersuchungsmethodik beruhender historischer Ansätze auch von Muslimen, bis heute als beständig erwiesen.

Zugleich sind insbesondere seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts differenzierte Positionen zu Historizität und ernsthafte Bezüge auf moderne geschichtswissenschaftliche Forschungen auch unter muslimischen Denkern zu finden, die wiederum wichtige Konsequenzen für die Ausdifferenzierung von theologischen Positionen haben. Allerdings haben auch diese im Kontext moderner wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit islamischen Quellen und Traditionen entwickelten Ansätze die Frühgeschichte des Islams und seiner Quellen im Fokus: Der historisch-kritischen Koranhermeneutik beispielsweise, wie sie im Anschluss an die Überlegungen von Fazlur Rahman entwickelt wurde, ist der Rekurs auf den ‚Ursprung‘ des Islam ebenso immanent wie etwa manchen feministischen Lesarten, die von einer historisch gewachsenen patriarchalen Überfrachtung und Verformung eines ursprünglich egalitären Islams ausgehen.

Versuche, Ergebnisse moderner historischer und textwissenschaftlicher Forschung durch interdisziplinären Austausch auch in die islamisch-theologische Reflexion einzubeziehen, zeigen sich in den letzten Jahren vor allem in den neuen Ansätzen von zeitgenössischen akademischen islamischen Theologien etwa an europäischen Universitäten, jedoch auch zunehmend an den wissenschaftlichen Institutionen in der islamischen Welt.

Vor diesem Hintergrund möchte die Tagung einen Einblick in die gegenwärtigen Bezugnahmen und Perspektiven auf die islamische Frühgeschichte im gegenwärtigen muslimischen Denken geben. Zur Sprache kommen sollen dabei sowohl die Konstruktionsmechanismen des „frühen Islams“ in muslimischen identitären Selbstvergewisserungen (Teil I), als auch die kritischen Betrachtungen dieser Mechanismen im gegenwärtigen Denken der Muslime (Teil II). Von besonderem Interesse für die Tagung sind die Interaktionen und interdisziplinären Verflechtungen zwischen gegenwärtigen islamisch-theologischen Ansätzen und historischen Disziplinen sowie die sich hieraus ergebenden Geschichtsbilder samt ihren Konsequenzen für islamisch-religiöse Deutungsmuster (Teil III).