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30. November und 1. Dezember 2018

3. Werkstatt: Semantische und semiotische Prämissen des Vor-Augen-Stellens jenseits von Text und Bild. Interdisziplinäre öffentliche Werkstatt an der Wissenschaftlichen Akademie der Universität Mainz.

Mit dem Begriff ‚Vor-Augen-Stellen‘ werden gemäß rhetorischer Tradition zumeist sprachliche Verfahren erfasst, welche die Bedeutung eines abwesenden Gegenstandes so zu visualisieren vermögen, dass sie gegenwärtig und lebendig erscheint. Damit angesprochen ist jedoch nicht nur ein Konzept von ‚Anschaulichkeit‘, das in spezifischer Weise für sprachliche Formen der Kommunikation relevant ist. Es steht auch in Relation zu bild-künstlerischen Darstellungen und Techniken, die der visuellen Ostentation im Medium des Bildes dienen.Die Tagung ‚Historische Semantik des Vor-Augen-Stellens‘ setzt an dieser bimodalen Schnittstelle an. Anhand unterschiedlicher sprachlicher und bildlicher Medien des Mittelalters und der Frühen Neuzeit möchte sie Konzepte des Vor-Augen-Stellens explorieren und Fragen nach den jeweils spezifischen medialen, historischen und kontextuell eingebundenen Verfahren der Veranschaulichung und Repräsentation von Bedeutung stellen. Im Sinne einer Historischen Semantik, wie sie sich in den letzten Jahren verstärkt auch kulturwissenschaftlich geöffnet hat und nach Bedingungen und Verfahren, Logiken und Praktiken fragt, mit denen Bedeutungen in ihrem historischen Kontext jeweils erzeugt, fixiert oder transformiert werden, stehen vornehmlich zwei Perspektiven im Fokus:

1. Sprachliche und bildliche Verfahren des Vor-Augen-Stellens und die Effekte dieser Verfahren für die jeweilige Bedeutung des Vor-Augen-Gestellten. Im Rahmen der Tagung richtet sich das Interesse dabei spezifisch auf die Veranschaulichung von prinzipiell Unanschaulichem. Gemeint sind damit nicht nur in einem engeren Sinne Visualisierungen von Abstrakta – angesprochen sind hier im weiteren Sinne auch subjektive Erfahrungen, praxeologisches Wissen oder kulturelle Dispositive, die die Inszenierungsverfahren des Vor-Augen-Gestellten jeweils unterschiedlich prägen (können).

2. Die historischen Ausdrucksmittel, mit denen das Konzept des Vor-Augen-Stellens jeweils bezeichnet wird. Je nach Medium ist hier nach sprachlichen, bildlichen, rituellen oder auch gestischen Ausdrucksmitteln zu fragen, welche Prozesse oder Effekte des Vor-Augen-Stellens implizit oder explizit thematisieren, sich in Lexemen, Wortfeldern oder lexikalischen Arrangements bzw. in ikonographischen Topoi, Strukturen oder Motiven verfestigen können und sich in ihrem jeweiligen historischen, funktionalen und diskursiven Kontext untersuchen lassen.

In der Gegenüberstellung und Verknüpfung dieser beiden zentralen Perspektiven bietet die Tagung die Möglichkeit, Konzepte des Vor-Augen-Stellens zum einen in einem weiteren semasiologischen Sinne zu beleuchten: Auf welche Bildspendebereiche greifen metaphorische Verfahren zurück, die Bedeutungen bildlich inszenieren und welche neuen Verweisungszusammenhänge entstehen dabei zwischen Ziel- und Herkunftsbereich? Welche Effekte haben bildliche Inszenierungen von Bedeutung in semantischer (Denotationen, Konnotationen; Sinnpluralisierung und -verdichtung, aber auch Aufhebung der ei-gentlichen semantischen Relation) und wirkungsästhetischer (affizierender, irritierender) Hinsicht? Welche Potentiale, aber auch Eigendynamiken ergeben sich hier, und lassen sich unter einem diachronen Blickwinkel Entwicklungstendenzen oder Paradigmenwechsel feststellen? Zum anderen können Konzepte des Vor-Augen-Stellens in einem weiteren onomasiologischen Sinne untersucht werden: Welche Ausdrucksmittel stehen historisch zur Bezeichnung des Vor-Augen-Stellens zur Verfügung? Im Rahmen welcher Diskurse oder Kontexte wird vermehrt auf sie zurückgegriffen? Stehen mit Verfahren des Vor-Augen-Stellens in einem signifikanten Maße Wortneuschöpfungen sowie ikonographische und bildliche Innovationen in einem Zusammenhang? Und wie wandeln sich die Bezeichnungen des Konzepts in diachroner Hinsicht?
Die interdisziplinäre Tagung, die im Rahmen des DFG-Netzwerks ‚VAS – Vor-Augen-Stellen‘ organisiert wird, lädt Kunst- und Literaturwissenschaftler zum fächerübergreifenden Dialog ein, um sich der Historischen Semantik des Vor-Augen-Stellens jenseits der Dichotomie von Sprache und Bild zu nähern. Unterstützt wird dieser Dialog durch die Einbindung des ‚Mittelhochdeutschen Wörterbuchs‘, das als historisches Belegwörterbuch den mittelhochdeutschen Wortschatz und Wortgebrauch des gesamten Spektrums überlieferter deutschsprachiger Texte (mittelhochdeutsche Epik und Lyrik, Urkunden, Rechtsbücher, Chroniken, Sachtexte usw.) bis zum Frühneuhochdeutschen (1350) bietet und damit zu einer weiteren Fundierung der historisch-semantischen Fragestellung der Tagung beiträgt.

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24. und 25. November 2017

2. Werkstatt im Rahmen des Netzwerks VAS. Vor-Augen-Stellen: Rahmung und Spiegelung. Wiederholungsfiguren in Text, Bild und illustrierten Texten. Am ZEMAK der Universität zu Köln.

Aus mittelalterlicher Zeit sind literaturtheoretische Überlegungen in Bezug auf die volkssprachliche Literatur nicht überliefert, obgleich die Sprache der epischen und religiösen Texte als anschaulich bezeichnet werden kann. Eine Nähe zur Evidenz der Bilder kann nicht übersehen werden (Hoeps, Handbuch der Bildtheologie). In literarischen Texten und in Bildern sind allerdings zunehmend Formen von Selbstreflexivität im Sinne einer mise en abyme auszumachen. Diese in Bildwerken vorfindlichen Strategien sind den Exkursen und den metapoietischen Aussagen literarischer Werke vergleichbar, insofern diese Kernaussagen der Handlung, Ideen des Autors und damit auch Aspekte einer literaturtheoretischen Konzeption verdichten. Auch die kommunikativen Bedingungen der Rede können auf diese Weise metadiegetisch gespiegelt und innerliterarisch zur Schau gestellt werden. Es sind medial komplexe Passagen, die das Wiederholte und das Wiederholende zugleich vor Augen stellen. Als Wiederholungsfiguren sind sie selbstreflexiv.

Für Bild und Illustration lassen sich vergleichbare Momente beschreiben. Es ist ein auf Platon zurückgehender Gedanke, dass der Spiegel als Schlüsselmetapher für das Malen verstanden werden kann, so wie Alberti im Narziss den mythischen Begründer der Bildkunst sieht. So stehen Bild und Illustration zu einem Vorausliegenden (‚Wirklichkeit’ bzw. ‚Text’) in einem mimetischen, einem abbildenden Verhältnis. Das bildtheoretische Konzept des gemalten Spiegels und des Bildes im Bild wird von der christlichen Malerei bis in die Moderne tradiert. Sicher wandelt sich die Art und Weise der Selbstreflexivität im Zuge der erkenntnistheoretischen Verschiebungen zwischen Mittelalter, Früher Neuzeit und 18. Jahrhundert fundamental, doch die intramediale Verdoppelung des Mediums bleibt erhalten. Und über diese Wiederholungsfigur sind die Verfahren des Vor Augen Stellens erschließbar, weil  Referiertes und Referierendes simultan gezeigt und zugleich in ihrem Verhältnis deiktisch evident werden.

Da alle Formen medialer Wiederholung im Medium selbst dem rhetorischen Verfahren der mise en abyme verwandt sind, rücken gerahmte ‚Spiegelungen’ unterhalb der Ebene des dargestellten Ganzen in den Blick. Auf dieser nachgeordneten Ebene ist es möglich, Auskunft zu erhalten über die formale und über die interaktive Relation von vor Augen Gestelltem und unmittelbarem Kotext und Kontext. Solche intramedial-selbstreflexiven Formen zeigen die eigenen medialen Bedingungen, weil diese selbst in den Text bzw. ins Bild eingebettet sind und zur Schau gestellt werden. Heuristisch können für intramediale und intermediale Wiederholungen abbildende, narrative, repräsentierende und kommentierende Relationen zum Wiederholten unterschieden werden. Doch gleichermaßen ist an Formen der Auratisierung, Paradoxierung und der rhetorischen Verdunklung zu denken, die der selbstreflexiven Idee und der Identifizierungsleistung der Wiederholungsfigur nicht zu entsprechen scheinen, wenn man an die Metapher des blinden, dunklen, unebenen Spiegels denkt oder aber an religiöse Lichtmetaphoriken, an metaphorisch aufgeladene Exkurse oder Metaphern in Metaphern, die der Dechiffrierung des eigentlich Gemeinten entgegenzuarbeiten scheinen.

Die Werkstatt lädt ein über die hier skizzierten Formen von Rahmung und Spiegelung in Text und Bild nachzudenken, um anhand des sichtbaren bzw. greifbaren Umgangs mit referentiellem Wissen das Bedingungsgefüge des Vor-Augen-Stellens genauer zu bestimmen. Selbstreflexion innerhalb des Bild- und Textmaterials, aber auch anhand von in den Text inserierten Illuminationen ist immer zugleich Medienreflexion. Es soll darum gehen, heterogene Figuren der Wiederholung zwischen Repräsentation/ Vergegenwärtigung und Evidenz/ Präsenz zu beschreiben. Einerseits verweist das Wiederholte auf seinen Referenten, dem es damit hierarchisch nachgeordnet zu sein scheint. Andererseits intensiviert, potenziert und pluralisiert die Wiederholung und schiebt das Gezeigte auf diese Weise in den Raum der Präsenz. Doch lassen sich neben solchen Formen der Steigerung, Bekräftigung und Explikation auch Formen der Inversion und der Abwertung greifen, wenn sich ein Bedeutungsgefälle beobachten lässt, wenn das Wiederholte als Alternative des Wiederholten vor Augen gestellt wird. Die zentrale Frage ist also, wie die eigentliche Bedeutung des Gezeigten (das vor Augen Gestellte an sich) jeweils mit dem semantischen Gehalt des Verweisens verbunden ist. Ausgangspunkt für die Referate können Binnenerzählungen und das Bild im Bild selbst sein, Motive der Selbstreflexivität (Narziss, Spiegel, Vanitas, Portrait usf.) oder aber auch systematische Überlegungen zum Phänomen der mise en abyme in den Künsten.

Forschungsansätze, die das Interesse der Werkstatt flankieren, lassen sich mit den Schlagwörtern Interpiktoralität, Metaisierung, Mimesis, Potenzierung, Selbstdarstellung bzw. Selbstreflexivität erfassen. Die literatur- und bildtheoretischen Überlegungen zum Gegenstandsbereich der Wiederholung gehen dabei entweder von den Wiederholungsfiguren selbst aus, wenn sie ihre Beiträge etwa unter dem Stichwort der Metaisierung bündeln  und schließen von dort auf das Allgemeine (Belting, Spiegel; Hauthal, Metaisierung; Stoichita, selbstbewußtes Bild; Wolf, Illusionsdurchbrechung u.a.), oder sie schlagen den umgekehrten Weg ein unter dem Stichwort der Selbstreflexivität (etwa: Böhn, Vollendete Mimesis; Buch, Selbstreflexivität; Anton, Selbstreflexivität, Mann, Erscheinen, Nöth, Mediale Selbstreferenz, Scheffel, Formen selbstreflexiven Erzählens).

Das zu bearbeitende Gegenstandsfeld im Zeitraum zwischen 1100 und 1700 umfasst erstens das mimetische Verhältnis von Text und Bild und es reicht zweitens von in den Text inkludierten Figuren bis zu Erzählungen in Erzählungen und drittens von bildinternen Wiederholungen, Rahmungen und Spiegelungen aller Couleur bis hin zum Bild im Bild. Wiederholungsfiguren als Ausdruck des Vor-Augen-Stellens sollen damit auf unterschiedliche Weise perspektiviert und konturiert werden. Das Themenspektrum ist breit gefächert. Möglich sind Beiträge zu:

1. Identität und Differenz von Repräsentierendem und Repräsentiertem

2. Raumkonzeption im Blick auf das Verhältnis von Repräsentierendem und Repräsentiertem

3. Simultaneität und Ungleichzeitigkeit

4. Bedeutungsbildung (mögliche Stichworte wären hier einerseits intramediale bzw. intermediale Bedeutungspluralisierung, -verdichtung, -zirkulation und andererseits intramediale bzw. intermediale Abwertung, Bedeutungsreduktion bzw. -verdunk­lung)

5. Evidenzerzeugung durch Verdopplung, Verdichtung usf. (etwa bei vanitas-Dar­stel­lungen und Pleonasmen)

6. Verrätselung und/oder Paradoxierung (etwa Wiederholung als Irritation semiotischer Relationen)

7. Wiederholung und Spiegelung als Annäherung an das Undarstellbare im religiösen Kontext

8. Iteration als Mittel der Potenzierung des vor Augen Stellens bzw. des vor Augen Gestellten

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11. und 12. November 2016

1. VAS-Werkstatt 1: Vor-Augen-Stellen. Die Verfahren bildlicher Kommunikation in Text und Bild/Illustration. Im Internationalen Begegnungszentrum München.

Die Bedeutung von Bildern für die menschliche Kommunikation steht außer Frage; die Prägung unserer westlichen Kultur durch Sprache und Schrift ist gleichermaßen eine durch das Bild. Das Interesse am Bild als sinnstiftendem Teil der Kommunikation ist im 20. Jahrhundert nicht nur stetig gewachsen, sondern mit dem iconic turn im Anschluss an die Arbeiten Gottfried Boehms vollzog sich eine die Disziplinen übergreifende Wende von der Sprachanalyse hin zur Bildwissenschaft. Die Analyse von faktischen, sprachlichen und mentalen Bildern ist nicht mehr nur Teil der künstlerischen Fächer, sondern auch interdisziplinär diskursprägend. Doch die forcierte Rede von der Ablösung des Wortes als erstem Informationsträger durch das Bild polarisiert zwei Medien, die vor allem in ihrer Verschränkung miteinander bestehen und wirken. Die Wahrnehmung bildkünstlerischer Darstellungen wird zum Beispiel durch den Bildtitel oder eine Beischrift gelenkt. Erinnerungen im Sinne mentaler Bilder können in der Regel nur verbal kommuniziert werden. Fotografische Bilder, die um die Welt gehen, mögen (emotional) für sich sprechen, doch kommuniziert und kontextualisiert werden sie durch das Wort. Auch wenn das Bild das Erkenntnisobjekt unvermittelt und direkt vor Augen stellt, so bleibt der Zugang zur Erkenntnis immer ein nur scheinbarer. Die Sprache ist und bleibt das Mittel der Vermittlung.

Der Binarismus von Wort und Bild ist Folge einer erkenntnistheoretischen Standortbestimmung des 20. Jahrhunderts, die der kulturformenden Macht der Bilder, die der Macht des Sicht- und visuell Zeigbaren (in den modernen Medien) auf den Grund geht. Die Eigenlogik des Bildlichen zu betonen wie Gottfried Boehm, sollte nicht dazu führen, die lange Tradition der Bedeutung des Bildes für die Rhetorik auszublenden. Im Anschluss an Aristoteles ist das Feld der Bildgebung mit Stichwörtern wie evidentia, Hypotypose, Metapher und Vergleich rhetorisch besetzt.

Für die historischen Wissenschaften ist nicht bei einer Trennung, sondern bei einer Verschränkung von Wort und Bild anzusetzen; die Text-Bild-Forschung der letzten 40 Jahre zeigt dies eindrücklich. Doch ist der Antagonismus von Sprache und Bild ein hermeneutisches Diktum, basierend auf der in der Wissenschaftsgemeinschaft zirkulierenden Annahme der Eigenlogiken beider Medien. Das zeigt sich vor allem dann, wenn die sprachlichen und die bildlichen Aussagen als einander ergänzende, affirmierende gedeutet werden oder das Bildliche als Korrektiv verstanden wird. Die dahinter gedachte eigenlogische Differenz markiert einen je anderen Wahrheitsstatus. Eine solche Differenz darf nicht eo ipso gesetzt werden; sie muss für jeden Fall neu bestimmt und begründet werden, insofern Wahrheitsansprüche für vorästhetisches Denken auf ein für wahrscheinlich Gehaltenes zurückgehen, nicht aber auf die Wirkung des Wahrgenommenen. (Gert Hübner, Baum)

Für die historischen Wissenschaften ist zu konstatieren, dass mit dem aktuell die Fächer übergreifenden Interesse an Formen bildlicher Kommunikation das rhetorisch besetzte Feld der Bildlichkeit einer Justierung bedarf. Dabei muss die Orientierung hin zur bildlichen Kommunikation, die weder reine Sprach- noch ausschließlich Bildanalyse ist, zum einen den Binarismus von Sprache/Text und Bild (zunächst) ausblenden, um medienübergreifend nach den Bedingungen, den Verfahren, Modalitäten, den Funktionen und Wirkungen anschaulicher Darstellung in beiden Medien fragen zu können. Nur so lassen sich fachspezifisches Analysepotential und fachübergreifender Gegenstand weiterführend verknüpfen. Zum anderen muss für die Formen mittelalterlicher Text- und Bildkunst das rhetorische evidentia-Konzept in seiner Funktionsbestimmung befragt werden. In seiner Ausrichtung auf die Glaubwürdigkeit des Dargestellten, erzeugt durch Klarheit und einen ordo naturalis (Gert Hübner, evidentia), eignet sich das Konzept möglicherweise nicht für alle mediävistischen Gegenstände. Textuelle Argumentationen in ganz unterschiedlichen Gattungen stellen immer wieder eine Auratik aus, die die rhetorische claritas-Prämisse gerade nicht bedient. Denkt man an die Bildfelder im „Rätselspiel“ des „Wartburgkrieg“-Komplexes, an die verwirrenden Sprachbilder bei Wolfram von Eschenbach oder bei Mechthild von Magdeburg, an die ekphrastische Darstellung des Camillagrabmals in Heinrichs von Veldeke Eneasroman oder an die Grabmalsdarstellung in Konrad Flecks „Flore und Blanscheflur“ oder denkt man an die Brackenseil-descriptio im „Titurel“ Wolframs von Eschenbach, die alle den ordo naturalis stören, hat man Darstellungen des Auratischen vor sich. Auch diese Darstellungen erzeugen eine Art emphatischer Präsenz im Sinne des Anschaulichen, Ausdrücklichen, Intensiven auch Drastischen, die in ihrem Kontext Irritationen hervorrufen können und deren Verweiszusammenhänge nicht immer einsichtig sind. Das Evidente bleibt  auch in diesen Fällen ein Effekt der Rhetorik (Jan-Dirk Müller, Rhetorik).

Fragen nach den Bedingungen, den Verfahren, Modalitäten, den Funktionen und Wirkungen anschaulicher Darstellung stellen das leitende hermeneutische Gerüst für die VAS-Werkstatt bereit. Kunst- und Literaturhistoriker sind angesprochen, sich dem gleichen Gegenstand zu widmen, dem Vor-Augen-Stellen. Heuristisch werden drei Verfahren unterschieden (Rüdiger Campe, Vor Augen Stellen): 1) Das metaphorische Verfahren uneigentlicher Rede, das ein Bild des Eigentlichen energetisch vor Augen stellt, „ohne ausdrückliche Rückbindung an die Erkenntnis“. 2) Das narrative Verfahren des Vor-Augen-Stellens, das Evidenz erzeugt, wenn das Reden ein Zeigen wird (evidentiaostendere) – was nicht in jedem Falle Klarheit und Erkenntnis bedeutet. Und 3) das figurierende Verfahren, das Personen, Dinge, Zustände und Handlungen dramatisch vor Augen stellt (Aufführung/ Hypotypose) im Sinne der Verlebendigung – energeia. Für Illustrationen werden zunächst vier Verfahren unterschieden: 1) Das narrative Verfahren, das Texthandlung im Sinne der Substitution vor Augen stellt. 2) Das repräsentative Verfahren, das Motive oder auch Kernaussagen des Textes verdichtet und figural verlebendigt. 3) Das kommentierende Verfahren, das Textaussagen allegorisch oder typologisch überträgt und damit eine Deutung vor Augen stellt. Und 4) das diagrammatische Verfahren, das Textaussagen reduziert und als abstrakte (geometrische) Formen vor Augen stellt (Christel Meier, Typen, Henrike Manuwald, Einhornjagd).

Für eine erste Sondierungen mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Formen der Bildlichkeit soll es darum gehen, die genannten Verfahren des Vor-Augen-Stellens auf ihre Gültigkeit im Rahmen bildlicher Kommunikation und hinsichtlich der Modalitäten der Evidenzerzeugung zu prüfen. Möglich sind analytische Beiträge in folgenden vier Gegenstandsbereichen:

1.     VAS in heldenepischer und höfischer Dichtung

2.     VAS in religiöser Dichtung

3.     VAS in Illustrationen weltlicher Literatur

4.     VAS in Illustrationen religiöser Literatur

Hier geht es zum Tagungsbericht und zum Flyer.

DFG-Netzwerk: VAS