Forschungsprojekt: Die Realität der Auferweckung

Die Rede von der Auferweckung des gekreuzigten Jesus von Nazareth bestimmt die Textsammlung des Neuen Testaments maßgeblich. Mit ihr verknüpft ist die Rede von der Auferweckung der Toten. Der erste Teil der Untersuchung geht der Frage nach, wo und wie Auferweckung bzw. Auferstehung in den neutestamentlichen Texten thematisiert wird und unter welchen Realitätsannahmen und rhetorischen Strategien die neutestamentliche Rede von der Auferweckung bzw. der Auferstehung ihre Plausibilität entfaltet.

Der zweite Teil der Untersuchung interpretiert die exegetischen Ergebnisse unter der Fragestellung, wie Theologie die Auferweckung der Toten heute denken kann.

Der dritte Teil versucht exemplarisch nach der existentiellen Tragfähigkeit der erzielten exegetischen und systematischen Ergebnisse zu fragen.

Mit dieser Anlage der Untersuchung soll der doppelten Verengung der Fragestellung innerhalb der neutestamentlichen Wissenschaft entgegengewirkt werden. Die eine Verengung besteht in der weit reichenden Reduktion der Diskussion auf die beiden historischen Fragen: 1. War Jesu Grab nach Ostern leer oder voll? 2. Waren die in 1 Kor 15 erinnerten Schauungen des auferweckten Gekreuzigten subjektive Visionen, also psychologisch zu erklärende Einbildungen, oder objektive Visionen, die etwas gesehen haben, das nicht in der individual- oder sozialpsychologischen Erklärung aufgeht? Beide Fragen liegen auf der Linie historisch-empirischer Rekonstruktionsversuche, und es scheinen die Fragen zu sein, die für viele Zeitgenossen über die notwendige Frage nach der Realität der Auferweckung entscheiden. Aber ist das auch die Auffassung der neutestamentlichen Schriften? Liegt ihr Realitätsverständnis auf derselben Argumentationsebene wie das der historischen Fragen nach dem leeren Grab und nach der Beschaffenheit der Visionen?

Aber selbst wenn die neutestamentlichen Schriften mit anderen als den uns vertrauten Wirklichkeitsannahmen argumentieren, müssen dennoch auch die historisch-empirischen Fragen ihren Ort in der Untersuchung finden, denn die historisch-empirische Wirklichkeit ist ein unhintergehbarer Bereich der Realität, die wir erfahren. Die Erforschung der historisch-empirischen Wirklichkeit als Teilbereich der umfassenden Realität, in der wir leben, und damit auch die Forschung, die die beiden genannten Fragen veranlassen, bleiben notwendig. Sie führen aber auf  theologische und philosophische Irrwege, wenn allein mit ihnen implizit oder explizit die theologische Frage nach der Auferweckung beantwortet wird bzw. werden soll.

Die zweite Verengung besteht in der durch die beiden soeben benannten historischen Fragestellungen erzeugten Reduktion der Berücksichtigung findenden Textauszüge. Die Frage nach den Visionen untersucht in der Regel nur 1 Kor 15 und bestenfalls noch die zumeist als legendarisch eingestuften Erscheinungserzählungen der kanonischen Evangelien. Die Frage nach dem leeren Grab nimmt fast ausschließlich die wenigen davon handelnden Textabschnitte der Evangelien in den Blick. Durch diese Isolierung der Textauszüge aus ihren Zusammenhängen wird aber verdeckt, wonach die Untersuchung vornehmlich fragen soll: die Realitätsannahmen und Plausibilisierungsstrategien der neutestamentlichen Texte, auf deren Basis die Rede von der Auferweckung, vom leeren Grab, von den Erscheinungen des Auferstandenen erst Sinn entfalten können. Die neutestamentlichen Texte müssen im Ganzen gelesen werden, um ihre Sicht der Dinge wahrnehmen zu können

Aber mit der Rekonstruktion des neutestamentlichen Auferstehungsdiskurses ist nicht auch schon die heutige Frage nach der Auferweckung des gekreuzigten Jesus von Nazareth und auch nicht die Frage nach der Auferweckung der Toten beantwortet. Vielleicht sind die Realitätsannahmen, auf der die neutestamentliche Metapher der Auferweckung bzw. der Auferstehung basieren, mit überholten Weltbildern verknüpft, so dass sie wie diese selbst unwiederbringlich ihre plausible Denkbarkeit verloren hat? Wenn heute die Auferweckungstheologie plausibel formuliert werden soll, dann wird dafür ein umfassender Realitätsbegriff notwendig, der die kosmologischen und ontologischen Implikationen der Auferweckungstheologie zum Ausdruck bringen kann. Die Realität, von der Leben, Fühlen und Denken bestimmt sind, umgreift alle drei Dimensionen menschlicher Erfahrung: die erste Ebene eines subjektiven, emotionalen, vorkritischen Wahrnehmens, die zweite Ebene empirisch-historischer Sachverhalte und die dritte Ebene der realitätserschließenden Interpretation.

Glaube, der mehr als ein Fürwahrhalten empirisch-historischer  bzw. quasi-empirischer Sachverhalte ist, sondern der die emotionale Grundlage aller relevanten Lebensentscheidungen bildet, steht aber in der Gefahr in biblizistische Engstirnigkeit oder sogar in fundamentalistische Agression umzuschlagen, wenn er sich den beiden anderen Realitätsebenen der empirisch-historischen Sachverhalte und der realitätserschließenden Interpretationen verweigert. Der dritte Teil der Untersuchung soll deshalb exemplarisch zeigen, wie ein zeitgemäßer, d.h. pluralismusfähiger, informierter und kritischer – d.h. zu Unterscheidungen befähigter - Glaube von der Auferweckung Jesu Christi und der Auferweckungshoffnung der Toten reden kann.

Die Untersuchung möchte Anregungen erarbeiten, die den wissenschaftlichen Diskurs über die Frage der Auferstehung der Toten auf der Basis der Interpretation biblischer Texte und vom Standpunkt christlich theologischen Denkens aus fördern und die kosmologische und ontologische Relevanz der Problematik auch anderen universitären Disziplinen bewusst werden lassen, so dass im besten Fall ein interdisziplinärer Diskurs darüber entsteht. Zugleich soll mit Blick auf die schulische und kirchliche theologische Praxis ein Beitrag geleistet werden, der zu einer lebbaren, denkbaren, lehrbaren und erlernbaren Rede von der Auferweckung Jesu Christi und der Hoffnung auf die Auferweckung der Toten führen kann.

Literaturhinweise:

  • Stefan Alkier, Die Realität der Auferstehung, in: Theologie zwischen Pragmatismus und Existenzdenken. FS H. Deuser, hg. v. G. Linde, R. Purkarthofer, H. Schulz, P. Steinacker, MThSt 90, Marburg 2006, 339-359

  • Themenheft Auferweckung, ZNT 19 (2007)