Name: Andy Reymann

Titel: „Das religions-ethnologische Konzept des ´Schamanen´ in der prähistorischen Archäologie am Beispiel von ausgewählten Sonderbestattungen des Endneolithikums und der Frühbronzezeit in Mitteleuropa.“

Antragsteller: Prof. Dr. Rüdiger Krause; Prof. Dr. Marin Trenk

Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen eines Einzelförderungsprojektes, 01.05.2011 bis 31.04.2014.

 

1.) Der Schamanismus als “gefährlicher” Begriff.

“We have inherited a certain number of very vague terms, which can be applied to anything, or even to nothing; some were created by travellers and then thoughtlessly adopted by the dilettantes of ethnopsychology, and use any which way. The most dangerous of these vague words is shamanism.” [Arnold van Gennep, 1903]

Der Begriff “Schamane” ist heute tief in unserer Gegenwartssprache verwurzelt. Nicht nur ist er Leitmotiv vieler New Age-Bewegungen und spiritueller Selbsthilfezirkel, auch gilt er als religiöse Manifestation vorindustrieller Gesellschaften und als chronologische Vorstufe zu institutionalisierten Religionen.

Dabei versteht man unter diesem Begriff allgemein die Tätigkeiten, Riten und Glaubensüberzeugungen im Umfeld eines mit besonderen Fähigkeiten ausgestatteten Menschen, des ‚Schamanen‘. Dieser besondere Mensch, so die allgemeine Einschätzung, hat die Gabe, mit den Geistern der Ahnen oder besonderer Tiere zu kommunizieren. Mit Hilfe dieser übernatürlichen Kräfte könne er, salopp formuliert, ´tanzend, singend und die Trommel schlagend, Kranke heilen und die Zukunft vorhersagen´.

Durch die Popularität früher ethnologischer Beobachtungen hielt das Konzept des ‚Schamanen‘ schon vor mehr als hundert Jahren Einzug in die archäologische Forschung.

Dort glaubte man, diesen religiösen Spezialisten anhand seiner besonderen Beigaben und einer gewissen Sonderstellung im Grabbrauchtum ausmachen zu können. Besonders reiche Beigabenspektren, versehen mit Kuriositäten, werden bis heute gerne als „Zauberutensilien“, „Kultgerät“ oder auch als „Teile einer Schamanenausstattung“ identifiziert.

So kommt es häufig vor, dass Bestattungen, die ein nicht-normatives Beigabenspektrum umfassen, auf der Grundlage dieser Funde leichthin als „Priester“, „Zauberer“, „Medizinmann“, „weise Frau“ oder eben auch als „Schamane“ angesprochen werden.

Der Begriff „Schamane“ selbst ist allerdings forschungsgeschichtlich relativ jung. Die frühesten namentlichen Nennungen des Begriffes stammten aus dem 17. Jahrhundert und stellen eine Übertragung aus der Sprache der Tungusen ins Russische dar. Noch im gleichen Jahrhundert wurde dann der „saman“ ins Niederländische und dann ins Deutsche als „Schamane“ übertragen, und vor allem durch die intensiven Forschungen deutscher Gelehrter des 18. und 19. Jahrhunderts weltweit als Überbegriff für religiöse Spezialisten Sibiriens verbreitet.

Es war allerdings nur ein „Sammelbegriff“. Von Anfang an wurden religiöse Erscheinungen unterschiedlichster Ausprägung unter dem Wort zusammengefasst, und so stellt der Begriff bis heute einen in der Ethnologie stark diskutierten Terminus dar, der zudem durch die wechselvolle Geschichte seiner Nutzung oft mit veralteten theoretischen Modellen behaftet ist. Ganz im Sinne Van Genneps einer der „gefährlichsten“ vagen Begriffe in der Forschung.

'Schamane' der Magar (Vitebsky 2001)


2.) Das „Schamanen“-Projekt.

Vom 01.05.2011 bis 31.04.2014 widmete sich das von der DFG unterstützte, interdisziplinäre Forschungsprojekt dem Problem des „Schamanismus“ in der prähistorischen Archäologie. Der Schwerpunkt des durch Prof. Dr. Rüdiger Krause (Vor- und Frühgeschichte) und Prof. Dr. Marin Trenk (Ethnologie) beantragten Projektes lag vor allem auf der Anwendung eines zu erarbeitenden terminus technicus auf vorgeschichtliche Bestattungen. Im Rahmen des Projektes entstanden unter dem gleichnamigen Titel eine Dissertation des Projektmitarbeiters Andy Reymann, M.A, die voraussichtlich noch im Jahr 2015 als Teil der Reihe „Frankfurter Archäologische Schriften“ veröffentlicht werden wird, sowie einige Artikelbeiträge und eine Posterpäsentation im Rahmen der Tagung „Irreguläre Bestattungen“ der Römisch-Germanischen Kommission in Frankfurt.

 

3.) Ergebnisse des Projektes

Bestattung einer vermeintlichen
"Schamanin" von Ust-Udinsk
(Devlet 2001, 52, Abb. 3.8)

Die Sichtung der umfangreichen Literatur zum Phänomen ‚Schamane‘ aus der Ethnologie und der Religionswissenschaft, hat gezeigt, dass der Terminus an sich nur schwer als feststehende Begrifflichkeit aufgefasst werden kann. Vielmehr unterlag er in den etwa 400 Jahren seit seiner ersten Nutzung zahlreichen voneinander abweichenden Deutungen und Neuformulierungen, die auch zum Teil zeitgleiche geistige Strömungen repräsentieren. Neben dem starken Einfluss christlicher und buddhistischer Missionstätigkeiten seien hier nur summarisch Beeinflussungen wie die Psychoanalyse, das Genie-Konzept der Romantik oder der europäische Primitivismus des frühen 20. Jahrhunderts genannt.

Obwohl demnach gerade aus der ethnologischen Forschungsliteratur seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts zum Teil stark subjektive Beschreibungen des ‚Schamanen‘ vorliegen, und bis heute die genaue Klärung der Frage „Was ist denn überhaupt ein Schamane“ auch in der Ethnologie nicht gelungen ist, konnte im Rahmen der bisherigen Arbeiten ein allgemeiner Konsens erkannt werden.

In diesem Konsens spielen Schlagwörter wie „Ekstase“, die „Bindung zu Geistern“, eine spezielle gruppenspezifische Kosmologie und ein auf die Gemeinschaft gerichtetes Aufgabenspektrum eine zentrale Rolle, sowie die oft gerade mit den Begriffen „Ekstase“ und „Geistern“ verknüpften materiellen Bestandteile des rituellen Lebens von „Schamanen“.

Ein Vergleich mit archäologischen Interpretationen zeigte jedoch, dass die erst genannten Elemente nur über Umwege in archäologischen Befunden identifizierbar sind, und dass wir demnach gänzlich auf deren symbolische Wiedergabe anhand von prähistorischen Funden angewiesen sind.

Jedoch zeigen die beobachteten Bestattungssitten von ‚Schamanen‘, dass im Gegensatz zu bisherigen Theorien die zur rituellen Sphäre des Phänomens gehörenden Paraphernalia aus verschiedenen Gründen niemals oder nur in seltenen Ausnahmefällen in den Grabkontext gelangen. Hingegen zeichnen sich ‚Schamanengräber‘ vor allem durch abweichende Lage und andere Divergenzen im Bestattungsbrauchtum aus. Somit muss bei der Analyse vorgeschichtlicher Grablegen die Interpretation von Abweichungen im Hinblick auf die Anwesenheit von religiösen Spezialisten neu bewertet werden.

Eine Analyse endneolithischer und frühbronzezeitlicher Bestattungen aus Mitteleuropa zeigte jedoch, dass die Sichtung von ‚Sonderbestattungen‘ aus diesem Zeithorizont nur bedingt mit dem Begriff ‚Schamane‘ erklärbar sind. Hier finden sich zu viele Deutungsmöglichkeiten, während traditionelle Deutungen im Sinne von „schlimmer Tod“ und ähnlichen Vorstellungen zum Teil ausgeschlossen werden können. Somit resümiert das Projekt in der erwähnten Dissertation, dass die Nachweisbarkeit von vorgeschichtlichem ‚Schamanismus‘ anders vorgenommen werden muss als bisher praktiziert - wobei die vorsichtige Nutzung alternativer Begrifflichkeiten wie eines polythetisch verwendeten Systems mit einem zentralen „shaman-like“ oder solcher Begriffe wie ‚religiöser Spezialist‘ vorzuziehen sind.

Grab einer jakutischen Schamanin aus dem 18. Jh. (Crubécy/Alexeev 2007, 20)
‚Schamane‘ mit Fransenkostüm. Felsbild aus der Altairegion
(aufgenommen von  Reymann 2013)

4.)    Ausgewählte Literatur

BEHM-BLANKE 1989: G. Behm-Blanke, Zum Weltbild und zur Gesellschaftsstruktur der Schnurkeramiker. Alt-Thüringen 24, 1989, 117-150.

CRUBÉZY/ALEXEEV 2007: E. Crubézy/ A. Alexeev (Hrsg.), Chamane. Kyys, jeune fille des glaces (Paris 2007).

DEVLET 2001: E. Devlet, Rock art in Siberia and Central Asia. In: PRICE 2001, 43-55.

ELIADE 1951: M. Eliade, Le chamanisme et les techniques archaiques de l´extase : chamanisme et psychopathologie (Paris 1951).

FLAHERTY 1992: G. Flaherty, Shamanism and the eighteenth century (New York 1992).

JILEK 2003: W. G. Jilek, Vom dämonischen Scharlatan zum psychisch Gestörten zum fachkundigen Therapeuten und post-modernen Seelenführer: Westliche Vorstellungen zum Schamanen und deren Hintergrund. Curare 26, 2003, Heft 1/2. 57-66.

KASTEN 2009: E. Kasten (Hrsg.), Schamanen Sibiriens. Magier, Mittler, Heiler (Stuttgart 2009).

OHLMARKS 1939: Ǻ. Ohlmarks, Studien zum Problem des Schamanismus (Lund 1939).

PRICE 2001: N. S. Price (Hrsg.), The Archaeology of Shamanism (New York 2001).

VITEBSKY 2001: Piers Vitebsky, Schamanismus (Köln 2001).

WIERMANN 2001: Roland R. Wiermann, Untersuchungen zur geschlechts- und altersspezifischen Bestattungssitte der Kultur mit Schnurkeramik in Böhmen. Magisterarbeit von 1996/1997. Archäologie Digital 1 (2001).

ZNAMENSKI 2009: A. A. Znamenski, Jenseits von Sibirien: Schamanismus in der Wissenschaft und in zeitgenössischen Bewegungen des Westens. In: E. Kasten (Hrsg.), Schamanen Sibiriens. Magier, Mittler, Heiler (Stuttgart 2009). 172-187.

VAN GENNEP 2003: A. Van Gennep, Del´emploi du mot chamanisme. Revue de l´Histoire des Religions 47, 1903.

5.)    Projektinterne Literatur

REYMANN 2013: A. Reymann, ‚Schamane‘ oder nicht ‚Schamane‘? Zur Problematik der Nutzung eines ethnologischen Terminus bei der Analyse vorgeschichtlicher Bestattungen. In: N. Müller-Scheeßel (Hrsg.), ´Irreguläre´ Bestattungen in der Urgeschichte: Norm, Ritual, Strafe…? Akten der Internationalen Tagung in Frankfurt a.M., 3.–5. Februar 2012. Koll. Vor. U. Frühgesch. 19 (Bonn 2013). 65-74.

REYMANN 2014: A. Reymann: S. Tomášková, Wayward Shamanism - The prehistory of an Idea (Berkeley/Los Angeles/London 2014). http://www.antikewelt.de/index.php/wayward-shamans; Zeitpunkt des letzten Aufrufes: 18.06.2015.

REYMANN 2015a (im Druck): A. Reymann, „Die mit den Geistern sprechen“ – Zur Problematik der Nutzung des ethnologischen Terminus ‚Schamane‘ in der prähistorischen Archäologie. In: D. Brandherm und B. Nessel, Glaubenswelten in der Bronzezeit. Tagungsband zur Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Bronzezeit auf dem 8. Deutschen Archäologiekongress in Berlin (In Vorbereitung).

REYMANN 2015b (im Druck): A. Reymann, Das religions-ethnologische Konzept des ‚Schamanen‘ in der prähistorischen Archäologie am Beispiel von ausgewählten Sonderbestattungen des Endneolithikums und der Frühbronzezeit in Mitteleuropa (In Vorbereitung).