Projekt Phi actio

Zusammenhang zwischen den Überzeugungen zum Lehren und Lernen und zur Wissenschaft Physik und dem Unterrichtshandeln zukünftiger Physiklehrkräfte

Lehrerüberzeugungen (teacher beliefs) sind Vorstellungen und Annahmen von Lehrkräften über schul- und unterrichtsbezogene Phänomene und Prozesse mit einer bewertenden Komponente. Vor allem den Überzeugungen, die sich auf unterrichtsnahe Inhalte, Unterrichtsmethoden oder den Umgang mit einzelnen Schü­ler*innen beziehen wird eine handlungsleitende Funktion und somit ein Zusammen­hang mit der Unterrichtsqualität oder den Lernerfolgen der Schüle*innen zugesprochen.

Allerdings erzielen bereits existierende Studien zum mathematik- und naturwissenschaftlichen Unterricht bezüglich dieses Zusammenhangs unterschiedliche Er­gebnisse: Während Staub und Stern (2002) sowie die COACTIV-Studie (Dubberke et al., 2008) für den Mathematik­unterricht einen Zusammenhang zwischen den Überzeugung der Lehrkräfte und den beiden Qualitätsmerkmalen „kognitive Aktivierung“ und „konstruktive Unter­stützung“ nachwies, konnte die IPN-Videostudie im Fach Physik (Seidel et al., 2006) auf Basis der gewählten Unterrichtsmerkmale (Schüler*innenzentrierung, Lernbegleitung und Zielorientierung) zwar verschiedene Unterrichtsmuster identifizieren, aber keine Zusammenhänge zwischen diesen Mustern und den Überzeugun­gen der Lehrkräfte messen. Ursachen für diese heterogenen Befunde können, neben Unterschieden in der Erhebungsmethodik zur Unterrichtsqualität, auch in den Fachspezifika der Lehrerüberzeugungen liegen. So wurde in der Frankfurter Referendarstudie (Lamprecht, 2011) neben den in der COACTIV-Studie beschriebenen Lernüberzeugungen des „trans­mission view“ und „constructivist view“ ein drittes, bisher lerntheoretisch nicht berücksichtigtes Überzeugungsmuster identifiziert, das sowohl konstruktivistische als auch rezeptartige Lernüberzeugungen vereinigt.

Ziele und Fragestellungen


Das Forschungsvorhaben untersucht mehrperspektivisch den Zusammenhang zwischen den Überzeugungen zum Lehren und Lernen und zur Wissenschaft Physik und dem Unter­richtshandeln zukünftiger Physiklehrkräfte (Videoanalyse sowie Studierenden- und Schüler*innenfragebögen).

Neben dem obigen Forschungsziel hat das Projekt eine zusätzlich untersuchungsmethodische Fragestellung: Die Erhebung des Unterrichtshandelns erfolgt im Rahmen komplexitäts­reduzierter, dennoch abgeschlossener Unterrichtsminiaturen zu einem Freihandexperiment. Während bisherige Videostudien ganze Unterrichtsstunden oder gar –einheiten untersuchen, sind diese Miniaturen durch eine kurze Unterrichtsdauer von 15 Minuten und durch kleine Lerngruppen (10–15 Schüler*innen) charakterisiert. Mit diesem Design kann eine ökonomischere Gestaltung von Videostudien erreicht werden, indem mehr Proband*innen unter­sucht werden können.

Fragenkomplex A: Untersuchungsmethodik

  1. Lassen sich komplexitätsreduzierte Unterrichtssequenzen in Be­zug auf Sichtstruktur (Arbeitsformen und Unterrichtsphasen) und auf vertiefte Analysen (Lernbegleitung, Ziel­orientierung, Umgang mit Fehlern sowie Experiment) mit Hilfe der operationalisierten Unterrichtsmerkmale der IPN-Videostudie auswerten?
  2. Sind die Ergebnisse der IPN-Videostudie durch die Analysen der komplexitätsreduzierten Sequenzen reproduzierbar?
  3. Sind im Fach Physik die Ergebnisse der Schüler*innenbefragung der COACTIV-Studie zur Unterrichtsqualität reproduzierbar?
  4. Lassen sich Zusammenhänge zwischen den Ergebnissen der Videoanalysen und der Schüler*innenbefragungen nachweisen?


Fragenkomplex B: Zusammenhang Überzeugungen und Unterrichtshandeln

  1. Lassen sich Zusammenhängen zwischen den Unterrichtsmerkmalen und der Zuge­hörigkeit zu einem Überzeugungsmuster – unter Kontrolle weiterer Komponenten der professionellen Kompetenz – nachweisen?
  2. Lassen sich explorativ bezüglich der Überzeugungsmuster weitere differenzierende Unterrichtsmerkmale finden?

Forschungsdesign und Untersuchungsmethoden


Die Erhebungen erfolgen im Rahmen des Lernarrangements „Unterrichtsversuche mit Video­feedback“, in dessen Zentrum das Training didak­tisch-methodi­scher Refle­xion anhand eige­ner Fallstudien steht.

Für die Erhebung der Überzeugungen wird ein Fragebogen eingesetzt, dessen Skalen aus existierenden Studien anderer Fächer für das Fach Physik adaptiert und weiterentwickelt wurden. Mit dem Fragebogen werden zusätzlich Professionswissen, selbstregulative Fähigkeiten und Motive der Berufswahl sowie biografische Daten erhoben.

Das Unterrichtshandeln der Studierenden und Referendar*innen wird über videografierte Unter­richtssequenzen erfasst. In einer quantitativen Videoanalyse werden die Oberflächenmerk­male der Sequenzen mithilfe niedriginferenter Verfahren kodiert, während Qualitätsmerkmale der Sequenzen über ein hochinferentes Ratingverfahren eingeschätzt werden. Zur besseren Vergleichbarkeit werden die Unterrichtsvideos in einem ersten Schritt auf Basis der Kategorien- und Ratingsysteme der IPN-Videostudie kodiert. Für weitere Analysen werden die Kodiersysteme unter Berücksichtigung aktueller Forschungsergebnisse zur Qualität von Unterricht modifiziert und erweitert. Die erste Projektphase dient der Pilotierung der Analyseverfahren mit Hilfe bereits existierender Microteaching-Videos.

Die Schüler*innenfragebögen sollen an den Fragebogen der COACTIV-Studie angelehnt werden. Einer zusätzlichen Perspektive dienen videografierte Schüler*innenrückmeldungen.

Angestrebt wird eine Zahl von ca. 60 - 80 Probanden. Die Datenerhebung für die Pilotstudie begann bereits im Wintersemester 2011-12.