Ziele:

Mit einem neuen ganzheitlichen Ansatz zur Rekonstruktion der Funerallandschaft und aufbauend auf zwei Vorgängerprojekten sollen erstmals sämtliche Formen von Grabmarkierungen des Treverergebietes zusammengestellt und über Gattungsgrenzen hinweg umfassend kontextualisiert werden. Im Hinblick auf ihre formalen, räumlichen, funktionalen und semiotischen Bezüge sind folgende Leitfragen zu untersuchen:

  • Einbettung der Einzelmonumente in den Siedlungs- und Landschaftsraum und Entwicklung der Funerallandschaft sowie
  • Analyse von Varianzstrategien und -dynamiken (Architektur, Ornamentik, Bildschmuck), sowohl im Treverergebiet als auch im überregionalen Vergleich. Anhand des vicusBelginum/Wederath als Fallbeispiel sollen
  • Layout, Struktur und Nutzung der Nekropole im Zusammenhang mit der
  • Entwicklung der kaiserzeitlichen Erinnerungskultur in ihrer räumlichen und rituellen Dimension analysiert werden.Mit Hilfe modellhafter, digitaler Rekonstruktionen werden
  • Rezeptionsästhetik und Rezeptionslenkung sowie
  • Farbcodierung / Polychromie untersucht.

Grabdenkmäler und -markierungen im Kontext der Sepulkralkultur

Große und kleine Grabdenkmäler (© GDKE/Rheinisches Landesmuseum Trier, Foto: K.-U. Mahler)

Nicht nur im Trevererraum wurden Grabdenkmalsgruppen bislang vorwiegend nach Gattungen getrennt untersucht. Dabei kam den monumentalen Grabdenkmälern häufig die größte Aufmerksamkeit zu (Scholz 2012; Fasold u.a. 2016; Binsfeld u.a. 2020). Zwischen diesen und den anderen Gattungen wie Grabstelen, Sarkophagen, Halbwalzenmonumenten und Aschenkisten bestehen jedoch enge funktionale, formale, typologische und ikonographische Verflechtungen, was durchaus bekannt ist, aber noch nicht systematisch für eine ganze Region untersucht wurde.

Rezeptionsästhetik und Rezeptionslenkung

Durch die Vorgängerprojekte ist eine frappierende Diskrepanz zwischen erreichtem For­schungsstand und moderner Rezeptionsgeschichte augenfällig geworden. Rezeptionsästhetisch wandelbare Modelle regionaler Typen haben sich normie­rend auf Rekonstruktionen fragmentarisch erhaltener Denkmäler ausgewirkt. Deswegen hat man die Variationsbreite monumentaler Grabdenkmäler bisher unterschätzt. Diese Diskrepanz ist in hohem Maße von den wirkmächtigen, aber fast vollständig undokumentierten und erst durch unsere Vorarbeiten nachvollziehbaren Rekonstruktionen im RLM geprägt. Dort wurden Bildaus­schnitte verschiedener Denkmalseiten versatzstückhaft kombiniert, ebenso wie Teile unter­schiedlicher Grabdenkmäler, um unter Ausnutzung der Blickachsen ein pasticcioartiges Ge­samtbild präsentieren zu können. Um derartige vermeintliche Bildgewissheiten aufzubrechen und den Blick von der mo­dernen Überprägung weg auf das ursprüngliche Monument und seine Form zurückzuführen, sollen digitale Visualisierungen erstellt werden, die dem aktuellen Wissensstand angepasst sind und diesen auch vermitteln.

Obwohl schon im 19. Jahrhundert Farbspuren beobachtet und zum Teil akribisch zeichnerisch wiedergegeben wurden, liegen noch keine systematischen Untersuchungen vor. Im Rahmen des DFG-Vorgängerprojektes haben wir bereits sämtliche Objekte auf erhaltene Farbreste hin überprüft. Diese Reste lassen auf eine durchgängig farbige Fassung der Monumente schließen.
Farbe schafft Zusammenhänge, die allein aus der plasti­schen Gestaltung nicht ersichtlich werden. Diese für die Gesamtwirkung wesentlichen Aspekte lassen sich nur auswerten, wenn die Farbmaterialien und -töne genau bestimmt werden. Leider ist dies bislang nicht möglich, da es noch keine naturwissenschaftlichen Analysen der Farbreste auf Kalk- und Sandsteinmonumenten dieser Region und Epoche gibt. Um hierfür Standards zu entwickeln und um das Potential für weitere Forschungen fundiert einschätzen zu können, sol­len die technischen Möglichkeiten zunächst in einer Pilotstudie an einem ausgewählten Einzel­monument ausgelotet werden.

 
Relief mit Farbresten (© GDKE/Rheinisches Landesmuseum Trier, Foto: Th. Zühmer)   Kolorierte Zeichnung (Massow 1932, Taf. 67)

Grabdenkmäler und -markierungen in ihrem räumlichen, funktionalen und semiotischen Kontext

Grabdenkmäler und -markierungen dienten über ihre eigentliche Funktion hinaus auch als Landmarken. Gerade (aber nicht nur) die monumentalen Grabdenkmäler waren häufig an exponierten Stellen positioniert und effektvoll auf Fernansicht hin inszeniert. Sie prägten den Raum und gaben denjenigen Orientierung, die diesen Raum nutzten und durchquerten. Ein wichtiges Kennzeichen war dabei der Bezug zu Verkehrswegen, also zu Straßen und Flüssen.
Im Verlauf der Annäherung wurden die Monumente und ihr Dekor in immer neuen Perspektiven wahrgenommen, wobei sich Inschrift, figürlicher und ornamentaler Schmuck gegenseitig ergänzten. Bestimmte visuell vermittelte Botschaften wurden auf diese Weise sowohl wiederholt als auch differenziert (Klöckner 2021).Wir wollen die sich im Annäherungsprozess verändernden Wahrnehmungsmöglichkeiten und die landschaftsprägende und -strukturierende Funktion der Grabdenkmäler und -markierungen für das Treverergebiet unter Einbeziehung von Sichtfeldanalysen untersuchen.

Wir zielen auf eine ‚dichte Beschreibung‘ für einen größeren Raum, der sich zudem noch durch besonderen Bild- und Formenreichtum auszeichnet. Für eine systematische Analyse der gesamten Region soll als Grundlagenforschung eine interaktive Karte erstellt werden, die nicht nur primäre und sekundäre Fundorte anzeigt, sondern zusätzlich sowohl objekt- als auch ortsbezogen abgerufen werden kann.

Mit Hilfe einer funktionalen Kontextanalyse und anhand eines exzeptionellen Fundortes mit Mo­dellcharakter soll die Ebene visueller Darstellung und räumlicher Verteilung mit einer im Befund fassbaren Handlungsebene der Erinnerungskultur verbunden werden. Die ideale Fallstudie hier­für ist die keltisch-römische Nekropole „Hochgerichtsheide“ im vicus Belginum/Wederath. Diese bedeutende ländliche Siedlung liegt in der Peripherie, aber zugleich verkehrsgünstig an der Überlandstraße zwischen Augusta Treverorum und Mogontiacum. Hier existieren systematisch ausgegrabene und stratifizierte Bestattungen, Grabdenkmals-, Nekropolen-, Siedlungs-, Heilig­tums- und Straßenbefunde an einem über Generationen hinweg kontinuierlich genutzten Ort, was nicht nur im Treverergebiet, sondern imperiums­weit eine Seltenheit ist. Hier lässt sich auf lokaler Ebene verfolgen, wann, wo und in welchen Handlungsrahmen Grabdenkmäler und -markierungen in der örtlichen Erinnerungskultur einge­setzt wurden.

Über die lokale und regionale Kontextualisierung hinaus sollen die Grabdenkmäler auch in einen überregionalen Bezugsrahmen gesetzt werden. Die Gallia Belgica ist anders als die benachbarten germanischen Provinzen weniger durch das Militär, sondern v.a. durch Landwirtschaft und Handel geprägt. Es entwickeln sich urbane Zentren mit einem Lebensstil, der mit einer fortschreitenden Integration lokaler und griechisch-römischer Kultur verbunden ist. Damit einher geht die Genese neuer materieller Formen und der Transfer von Darstellungskonventionen entlang eines stetig ausgebauten Verkehrsnetzes. Grabdenkmäler als sichtbare Marker am Wegesrand und Zeugnisse einer vermittelten sozialen Selbstdarstellung sind gleichzeitig Ausdruck und Motor dieser Entwicklung.
Regionale Grabtypen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Aufbaus, ihres Dekors und der dargestellten Motive. Solche Formen, die meistens mit Blick auf das Verhältnis der Provinzialen zu Rom interpretiert wurden, bildeten sich im Zuge von Standardisierungsprozessen heraus. Sie sind als Adaption oder Umdeutung verstanden worden, in übergeordnetem Sinne sogar als Ausdruck einer Resistenz gegenüber Rom (Noelke u.a. 2003). Die Komplexität solcher Phänomene wurde in neuerer Zeit mit Begriffen wie ‚Glocalisation‘ oder ‚Particularisation‘ beschrieben und im Hinblick auf ihre soziale Dimension ausgewertet (z.B. Pitts – Versluys 2015; Kelp 2015). In Überwindung eines überkommenen Zentrum-/Peripherieverständnisses richtet sich der Blick nun auf die Provinzialen als Auftraggeber und auf ihre Wahlmöglichkeiten. Dadurch schärft sich das Bewusstsein dafür, dass Architekturformen bzw. Bildchiffren nicht zwingend in Rom, sondern auch in den Provinzen entstehen und von dort aus verbreitet werden (Lipps 2017).
Zu diesen provinzialen Akteuren gehörten vor allem lokale Auftraggeber, die steinerne Grabdenkmäler als bevorzugte sepulkrale Repräsentationsform wählten. In deren Gestaltung zeichnen sich Varianzstrategien ab, die – so unsere Arbeitshypothese – auf dem Grundprinzip „Mehr ist mehr“ basieren. Die Auftraggeber mit ihrem selektiven Wissen, ihren begrenzten Erfahrungen und spezifischen Präferenzen konzipieren und positionieren ihre eigenen Monumente planvoll und strategisch, um sie im lokalen und regionalen Rahmen hervorzuheben. Individuelle Varianzstrategien ergeben ein örtliches Varianzspektrum; in regionaler und überregionaler Perspektive stellen sie sich eher als Varianzdynamiken dar. Mit diesem von uns neu eingeführten Begriff soll der Fokus vom Einzelmonument und den dafür verantwortlichen Akteuren auf lokale, regionale und überregionale Entwicklungen gerichtet werden.
Die Grabmonumente des Trevererraums eignen sich dafür in besonderem Maße, denn sie bilden eine geschlossene Materialgruppe in einem zeitlich und räumlich definierten provinzialen Kontext mit einem großen Bilder- und Ornamentreichtum, vielschichtigen medialen Zusammenhängen im decorum und einer dichten Folge typisierter Motive in ihren regionalen Varianten.