Forschungsstand:

Die römischen Grabmonumente aus dem Treverergebiet besitzen sowohl für die Gattung der römischen Sepulkraldenkmäler insgesamt als auch für die Sozial- und Kulturgeschichte der Nordwestprovinzen eine zentrale Bedeutung. Dennoch waren sie wissenschaftlich bislang nur unzureichend erschlossen. Das diesem Antrag vorangehende DFG-Projekt „Römische Grab-denkmäler aus Augusta Treverorum im überregionalen Vergleich: mediale Strategien sozialer Repräsentation“ hat deswegen erstmals einen systematischen Zugriff auf die erhaltenen mo-numentalen Grabdenkmäler der Metropole und des Umlands geschaffen (Mahler – Klöckner – Stark 2018; Klöckner – Reuter – Scholz [in Vb.]). Dies geschah in enger Abstimmung mit dem Kooperationsprojekt „Grabbauten des westlichen Treverergebietes im interregionalen Kontext“, gefördert vom FWF (A) und FNR (LUX) (Mahler u. a. 2017; Binsfeld u.a. 2020). Ergänzt werden diese Arbeiten durch das BMBF-Projekt „Grabdenkmäler aus Augusta Treverorum, digital vernetzt“, das für die Rekonstruktion der ursprünglichen Aufstellungs- und Fundkontexte neues Material erbrachte.

Titelbild Stadt - Land - Fluss

Auf der Basis des Erreichten wird nun eine erweiterte Fragestellung zur Rekonstruktion der Funerallandschaft verfolgt. Bislang konzentrierte sich die Forschung oft auf steinerne Grabarchitekturen mit Reliefschmuck (Massow 1932; Numrich 1997; Tabaczek 2009; Lang 2019; Numrich [i. Dr.]) und die Ikonographie figürlicher Darstellungen (Baltzer 1983; Kempchen 1996; Freigang 1997; Langner 2001; Ritter 2002/03; Langner 2003; Binsfeld 2006/07; Tabaczek 2011; Binsfeld 2014; Klöckner – Stark 2017; Klöckner – Stark 2019; Mahler 2019; Tabaczek 2019). Die Forschung beginnt dem Thema Polychromie in den Nordwestprovinzen erst jüngst Aufmerksamkeit zu schenken (Delferrière – Edme 2020; Lipps 2020). Für die Grabdenkmäler des Treverergebietes liegen, von Vorarbeiten abgesehen (Cüppers 1968 und 1969; Goethert 2002), noch keine Untersuchungen vor. In typologischer Hinsicht umfassend bearbeitet wurden insbesondere die Grabhügel der römischen Zeit aus dem Trierer Raum (Wigg 1989, 1993 und 1998; s. a. Hornung 2014). Monumentale Grabdenkmäler präsentierten sich dem zeitgenössischen Publikum allerdings nicht als isolierte Objekte, sondern waren zusammen mit anderen, meist weniger aufwendigen Gräbern Teil eines übergreifenden Bezugsnetzes und bildeten eine Funerallandschaft (Lang 2020; Mahler 2021). Dazu gehörten auch Bezüge zu regionalen Traditionen, da Grabhügel und Hügelgräberfelder schon seit der Älteren Hunsrück-Eifel-Kultur bevorzugt an Wegen angelegt wurden (Haffner 1976). Alle diese oberirdischen Grabmarkierungen unterschiedlichster Formen und Formate haben die Raumwirkung und -wahrnehmung weit über den eigentlichen sepulkralen Bereich hinaus geprägt.

Abb. 2: I. Bell und T. Lang, Universität Mainz

Für die Aufstellung von Grabmonumenten bei Villen und vici zeichnen sich bereits bestimmte Muster ab, allerdings ist das Bild nach wie vor lückenhaft (Henrich 2010; Krier – Henrich 2011; Henrich 2016). Es fehlt eine systematische Zusammenstellung der relevanten Befunde, die außer den monumentalen Denkmälern auch andere Formen von Grabmarkierungen einbezieht. Im Allgemeinen widmen sich Arbeiten zu Funerallandschaften vorrangig einzelnen Nekropolen, Gräberstraßen oder Mikroregionen oder liefern ein Set von methodisch und thematisch weit gefächerten Einzelstudien (z. B. Stirling – Stone 2007; Monteil – van Andringa 2019).

Für eine lokale Fallstudie bietet sich im Untersuchungsgebiet die keltisch-römische Nekropole „Hochgerichtsheide“ im vicus Belginum/Wederath an. Hier existieren systematisch ausgegrabene und stratifizierte Bestattungen, Grabdenkmals-, Nekropolen-, Siedlungs-, Heiligtums- und Straßenbefunde an einem über Generationen hinweg kontinuierlich genutzten Ort, was nicht nur im Treverergebiet, sondern imperiumsweit eine Seltenheit ist. Mit ihren 2472 Gräbern auf 5 ha wurde die Nekropole von 1954 bis 1985 systematisch ausgegraben (Wederath-Belginum 1–6; Haffner 1989; Cordie 2007; Geldmacher 2008). Im Zuge der Bearbeitung der monumentalen Grabdenkmäler mit 16 in situ angetroffenen Fundamenten liegt inzwischen die vollständige Aufnahme der 183 Steindenkmäler vor (Numrich – Cordie 2020; Numrich [im Druck]). Da sich die kaiserzeitliche Nekropole im Bereich von Grabhügeln aus der Jüngeren Hunsrück-Eifel-Kultur und der bereits existierenden Straße entwickelt, manifestieren sich bewusst an die Vergangenheit anknüpfende Bezüge in immer neuen Formen (Cordie 2006).

Regionale Grabtypen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Aufbaus, ihres Dekors und der dar­gestellten Motive. Solche Formen, die meistens mit Blick auf das Verhältnis der Provinzialen zu Rom interpretiert wurden, bildeten sich im Zuge von Standardisierungsprozessen heraus. Sie sind als Adaption oder Umdeutung verstanden worden, in übergeordnetem Sinne sogar als Ausdruck einer Resistenz gegenüber Rom (Noelke u.a. 2003). Die Komplexität solcher Phäno­mene wurde in neuerer Zeit mit Begriffen wie ‚Glocalisation‘ oder ‚Particularisation‘ beschrieben und im Hinblick auf ihre soziale Dimension ausgewertet (z.B. Pitts – Versluys 2015; Kelp 2015). In Überwindung eines überkommenen Zentrum-/Peripherieverständnisses richtet sich der Blick nun auf die Provinzialen als Auftraggeber und auf ihre Wahlmöglichkeiten. Dadurch schärft sich das Bewusstsein dafür, dass Architekturformen bzw. Bildchiffren nicht zwingend in Rom, son­dern auch in den Provinzen entstehen und von dort aus verbreitet werden (Lipps 2017). Weiter­führend erweist sich dabei ein modulares Modell, das die Existenz genormt wirkender Orna­mente betont, die als eigenständige Motive bzw. standardisierter ‚Baukasten‘ gemäß den spezi­fischen Interessen der Auftraggeber frei verfügbar waren (Hesberg 2003). Überwunden wird damit die Vorstellung einer Diffusion römischer Grabtypen (Gabelmann 1979), die als Grad­messer für Akkulturation bzw. Romanisierung gewertet werden.
Diesem modularen Modell verpflichtet sind Arbeiten, die sich auf einzelne Bauglieder konzent­rieren, analog zur Analyse stadtrömischer Architektur (Mattern 2001) auch in den Provinzen (Numrich 1997). Allerdings darf die Aussagekraft einzelner Architekturglieder für die Bewertung ganzer Bauten nicht überschätzt werden (Lipps 2011). Neuere Interpretationen regionaler und lokaler Formen in den Provinzen beziehen sich auf signifikante Varianzen innerhalb eines stan­dardisierten Rahmens und zielen in Absetzung von vermeintlich alltagsbezogenen und symboli­schen bzw. eschatologischen Deutungsmustern auf spezifische kulturelle Wertesysteme ab (Langner 2001; Ritter 2002; Klöckner 2017; Binsfeld u.a. 2020; Klöckner – Reuter – Scholz [in Vb.]).
Neu ist jedoch die Beschäftigung mit Varianz an sich und mit semiotisch orientierten Varianz­strategien im Rückgriff auf die ursprüngliche Bedeutung des lateinischen Begriffs variatio. Im Gegensatz zur klassizistischen Kunsttheorie ist dieser durchaus positiv besetzt (Reinhardt 2018). Dadurch kann die Standardisierung von Figuren als decorum verstanden werden (Höl­scher 2018), was figürliche Darstellungen leichter austauschbar und transferierbar macht. Unter dieser Prämisse sind Bildschmuck und Bauornamentik als gleichwertig anzusehen, womit sich die Gegensätze von Kunst versus Dekor und dementsprechend von ‚aktiver Produktion‘ versus ‚passiver Reproduktion‘ auflösen (Reinhardt 2019).
Als geschlossene Materialgruppe in einem zeitlich und räumlich definierten provinzialen Kontext mit einem großen Bilder- und Ornamentreichtum eignen sich die Grabmonumente des Trevererraums damit in besonderem Maße für die Analyse lokaler, regionaler und überregionaler Entwicklungen.