Zgërdhesh - Eine hellenistische Stadt in Albanien

Projektleiter: Dr. Th. Maurer (Passau)

Projekthomepage: http://archiz.info

Vom 15. April bis 11. Mai 2019 fand die dritte deutsch-albanische Grabungskampagne im Areal der hellenistischen Stadt bei Zgërdhesh statt. Wie bereits 2017 und 2018 handelte es sich um ein gemeinschaftliches Unternehmen des Instituts für Archäologische Wissenschaften (Abt. II) der Goethe-Universität Frankfurt/M. und des Archäologischen Instituts an der Akademie für Albanologische Studien in Tirana. Unter der Leitung von Dr. Elvana Metalla und Dr. Thomas Maurer nahmen 12 Studierende aus Tirana und Frankfurt an den Grabungen teil1. Zeitweise verstärkten zwei Arbeiter der Drejtoria rajonale e Kulturës Kombëtare (Durrës) das Team. Finanzielle Unterstützung gewährte dankenswerterweise die Fritz-Thyssen-Stiftung (Köln).


Im Fokus der diesjährigen Arbeiten stand die Oberstadt (Akropolis), wo an vier Stellen Sondagen angelegt wurden: Untersucht wurden die Kirchenruine unmittelbar östlich der Quermauer (Fl. 4), der östliche Bereich des Gipfelplateaus (Fl. 5), das Areal südlich (unterhalb) des sog. Südtores (Fl. 6) sowie – mittels einer kleinflächigen Testsondage – der Innenraum des sog. Bau 18 am Nordrand der Akropolis (Fl. 7).


Die Arbeiten an der Kirchenruine hatten zum Ziel, die Baugeschichte dieses sicher nachantiken Bauwerks zu untersuchen. Das Gebäude besitzt eine rechteckige Form (ca. 10 x 5,5 m); seine Längsachse verläuft etwa in Ost-West-Richtung. Aus der östlichen Schmalseite kragt eine halbrunde Apsis vor. Der Innenraum ist heute mit Gras bewachsen, an einer Stelle tritt bereits der Fels an die Oberfläche. Baustrukturen sind nicht zu erkennen. Im Bereich der Apsis befindet sich eine tiefe Mulde („Raubloch“). Die Mauern der Kirche bestehen teils aus Spolien (darunter mächtigen Quadern), teils aus Kalkbruchsteinen. Eingestreut in die Mauern sind zahlreiche Ziegel sowie vereinzelt Mühlsteinfragmente. An der nordöstlichen Außenseite der Apsis konnte knapp unter dem rezenten Bodenniveau eine durchgängige Ziegellage beobachtet werden. In der Mitte der Westseite lag der Eingang, heute noch gekennzeichnet durch einen Schwellenstein mit zwei Angellöchern. An der Innenseite der Südmauer deutet eine Aussparung auf die Existenz einer Nische (oder eines Fensters?) hin.


Im Laufe der Grabung wurden mehrere Teilflächen im Innenbereich und außerhalb der Kirche angelegt. Die äußeren Flächen (Fl. 4a, 4b, 4c, 4f) lagen vor der Südmauer und nordöstlich der Apsis. In all diesen Teilflächen wurde knapp unterhalb des rezenten Bodenniveaus eine deutliche Konzentration von Kalkbruchsteinen beobachtet, durchmischt mit Ziegeln. Diese offenbar rings um die Kirche laufende Steinkonzentration begann unmittelbar an den Außenseiten der Mauer und endete max. 1,40 m davor. Es dürfte sich um verstürztes Baumaterial der Mauern handeln. Behauene Steine waren darin nicht enthalten. An einigen Stellen zeigte sich bereits der gewachsene Fels. In der Teilfläche nordöstlich der Apsis wurde der Mauerversturz abgenommen und die darunter liegenden Schichten untersucht. Es zeigte sich hier ein homogenes Erdpaket (Kolluvium), durchsetzt mit kleineren Kalksteinen, Ziegelbruch und hellenistischer Keramik, vereinzelt auch Tierknochen. Baubefunde wurden nicht angetroffen.
Im Kircheninnern (Fl. 4, 4d, 4e, 4g) bot der Oberboden zunächst ein dem Außenbereich vergleichbares Bild: Eine lockere bis dichte Konzentration von Kalkbruchsteinen, durchmischt mit Ziegelbruch und hellenistischer Keramik. An mehreren Stellen stand in der östlichen Hälfte des Innenraums der gewachsene Fels knapp unter der Grasnarbe an. Er war hier plattig ausgebildet und verlief in Art einer schiefen Ebene ungefähr hangparallel. Im West- und Mittelbereich des Innenraums konnten zur allgemeinen Überraschung mehrere Körpergräber freigelegt werden.

Es handelte sich um vier weitgehend vollständige, gut erhaltene Skelette, die alle ungefähr in Ost-West-Richtung ausgestreckt lagen, mit dem Kopf im Westen. Drei dieser Individuen waren im westlichen Abschnitt des Innenraums von Norden nach Süden aufgereiht; das vierte lag an prominenterer Position, unmittelbar vor der Apsis, knapp südlich der Mittelachse der Kirche. Die Grabgruben waren teilweise von Kalkbruchsteinen eingefasst, teilweise nutzten sie Felsklüfte aus. Bis auf ein eisernes Messerklingenfragment (bei der prominenteren Bestattung) waren die Skelette beigabenlos. Neben den vier vollständigen Skeletten konnten Reste einer höher gelegenen, gestörten Bestattung dokumentiert werden sowie eine dicht gepackte Knochenkonzentration direkt an der Südwand. Dieses „Knochenpaket“ besaß eine auffällig rechteckige Form, was dafür sprechen könnte, dass es ursprünglich in einer Holzkiste beigesetzt wurde. Nach einer ersten Durchsicht handelt es sich um Überreste von mindestens sechs Individuen. Auf dem Niveau der Skelette war das Kircheninnere durchsetzt mit zahlreichen Kalksteinen und den allgegenwärtigen Funden aus hellenistischer Zeit: Ziegelbruch, viel Keramik (darunter Fragmente von Amphoren und Pithoi) und einige Kleinfunde (v.a. mehrere Bronzemünzen). Besonders im westlichen Bereich des Kircheninnern war der gewachsene Fels bei Grabungsschluss noch nicht erreicht.


Fläche 5 wurde am östlichen Rand des Gipfelplateaus des Stadtbergs angelegt. Ziel war es, zu überprüfen, ob auf dem höchsten Punkt der Akropolis (Höhe bis 255 m ü.d.M.) mit antiken Baustrukturen zu rechnen ist. Das Abtiefen bis auf 50 cm unter heutiger Oberfläche erbrachte jedoch diesbezüglich keine Hinweise. Unter einen dünnen Humusdecke steht hier flächig ein ockerfarben-hellbraunes Bodensubstrat an, in das nur ganz vereinzelt Steine und Keramikscherben eingestreut waren. Sichere Befunde konnten nicht beobachtet werden. In einer wenige Meter nordwestlich der Fläche aufgefundenen, alt gegrabenen schmal-rechteckigen Grube (Testsondage?) besaß dieser Boden eine Mächtigkeit von fast 2 Metern. Erst in dieser Tiefe stand in der Grube Felsgestein bzw. eine extrem harte sandig-kalkige Schicht an. Aufgrund dieser Erkenntnis und arbeitsökonomischen Überlegungen wurde von einem weiteren Abtiefen der Fl. 5 abgesehen.


Bei Fläche 7 handelt es sich um eine Testsondage, die in dem südöstlichen Eck des „Innenraums“ von Bau 18 (nach Plan S. Islami) angelegt wurde. Bau 18 liegt nordwestlich des Gipfelplateaus und besteht aus einer Rückwand aus zwei Lagen Quadern und zwei davon rechtwinklig abzweigenden, nur teilweise erhaltenen Seitenwänden. Die Sondage erbrachte die Erkenntnis, dass die obertägig sichtbare untere Quaderlage unmittelbar in dem braunen humosen Erdreich gründet. Spuren eines Fundaments o.ä. wurden nicht gefunden. Beim Abtiefen kamen zahlreiche Keramikfragmente zum Vorschein, augenscheinlich aus hellenistischer Zeit. Auf dem erreichten Planum – gut 25 cm unter heutiger Oberfläche – waren einige mit Ziegel- und Keramikstückchen sowie Holzkohle durchsetzte, unregelmäßige dunkle Verfärbungen zu erkennen. Wegen hohen Wasserstandes infolge ausgiebigen Regens konnte hier nicht weitergearbeitet werden.


Fläche 6 wurde am Südhang des Stadtberges direkt unterhalb des gebogenen korridorartigen Ganges angelegt, der bisher als „Südtor“ bezeichnet wurde. Unmittelbar westlich davon trifft die Quermauer (diateichisma) auf die mutmaßlich in Ost-West-Richtung verlaufende, hier nicht erhaltene Stadtmauer. Das Ende der Quermauer wird hier durch einen gut erhaltenen, rechteckig nach Westen vorspringenden Turm verstärkt (Turm 9 nach Plan S. Islami). Unmittelbar südwestlich dieses Turms wurde schon 2018 ein aus dem Fels gearbeiteter Gang entdeckt. Es deutete sich hier also die Situation an, dass beiderseits des Quermauer-Abschlusses je ein Gang den Zutritt zum Mittelhang (im Westen) bzw. zur Akropolis (im Osten) vermittelt. Die südlichen Enden dieser Zugänge haben sich jedoch nicht erhalten, da hier der Fels unmittelbar abbricht. Einige Meter unterhalb des Felsabbruchs sind im nach Süden abfallenden Gelände zwei Abschnitte ungefähr parallel verlaufender Quaderreihen zu sehen. Die Grabungsfläche wurde so positioniert, dass sie den Bereich zwischen diesen beiden mutmaßlichen Mauern erfasst, um einerseits ihren Charakter zu klären, andererseits zum besseren Verständnis der allgemeinen Verkehrstopographie beizutragen. Es zeigte sich beim Abtiefen, dass es sich bei den beiden Steinreihen um die obersten erhaltenen Lagen von zwei parallel verlaufenden Mauern handelt, die eine in ost-westliche Richtung verlaufende Torgasse einfassen. Die Mauern bestehen aus vergleichsweise grob behauenen Kalksteinen unterschiedlicher Länge und Höhe. Ist die nördlich begrenzende Mauer noch in einer Höhe von bis 1,80 m erhalten, so war die südliche, zweischalige Mauer wesentlich stärker zerstört. Die Breite der Torgasse beträgt 2,95 m.

Zur allgemeinen Überraschung konnte in der Torgasse sogar die Position des eigentlichen Tores bzw. der Tür festgestellt werden. Von diesem lagen beide Türangelsteine sowie der dazwischen liegende Schwellenstein mit Türanschlag noch in situ. Die Tür war so konstruiert, dass sich die beiden Flügel nach Westen hin öffneten.

Gut 2 m östlich der Tür enden die beiden Torwangen. Die nördliche Mauer biegt – hier schlecht erhalten – nach Norden um und läuft nach wenigen Metern an der Felswand (= weiterer Verlauf der Stadtmauer?) aus. Analog dazu scheint auch die Zweischalenmauer im Süden zu enden. Das Ende wird heute von einem mächtigen, in Nord-Süd-Richtung liegenden Quader gebildet (inwieweit dieser obertägig liegende Quader noch in situ liegt oder bei Restaurierungsarbeiten dorthin verlagert wurde, ließ sich nicht klären. Ein Weiterlaufen der Zweischalenmauer kann hier aber nicht vollständig ausgeschlossen werden, da das Gelände weiter südlich/südöstlich stark abfällt und eventuell vorhandene Mauerreste den Hang hinuntergestürzt sein könnten).

Die nördliche Torwange biegt 3 m westlich der Tür erneut nach Norden um. Hier könnte ein Aufgang zu dem direkt oberhalb ansetzenden gebogenen Korridor existiert haben. Die Fortsetzung der die Torgasse im Süden begrenzenden Schalenmauer nach Westen konnte noch nicht untersucht werden. Möglicherweise ist sie in dem hier sehr steilen Hangbereich weitgehend abgerutscht.

Aus den die Torgasse verfüllenden Schichtpaketen konnte eine enorme Menge an aussagekräftigen Funden geborgen werden. Das meiste Material war in eine schwarzgraue Schicht eingebettet, die sich erst nach Aufgabe der Torgasse gebildet haben kann. Die Funde stammen ursprünglich von höher gelegenem Gelände (Südrand der Akropolis) und rutschten den Hang herunter bzw. wurden heruntergespült. Aber auch aus den tieferen Schichten der Sondage – die etwa den Laufniveaus der Torgasse entsprechen – konnten interessante Funde geborgen werden. Hier sind neben Keramikfunden v.a. mehrere Fibeln und ein kleiner Hort in Dyrrachium geprägter Bronzemünzen aus hellenistischer Zeit zu erwähnen.

Nach den Befunden an Fl. 6 lässt sich die Zugangssituation am Südhang des Stadtberges wie folgt rekonstruieren: Es konnte hier die Existenz einer in Ost-West-Richtung verlaufenden Torgasse mit Flügeltür nachgewiesen werden. Der Zugang muss von Osten her erfolgt sein. Nach Passieren des Tores konnte man entweder über den südwestlich von „Turm 9“ gelegenen Aufgang den Mittelhangbereich erreichen oder stieg über eine steile Treppe o.ä. nach Norden durch den gebogenen Korridor auf die Akropolis.

Zukünftigen Forschungen muss die Klärung der Frage vorbehalten bleiben, wie die Wegeführung außerhalb des neuentdeckten Tores aussah. Der das Tor in östliche Richtung verlassene Weg könnte entweder entlang der Südostflanke des Stadtberges weiter zum Ostrand der Stadt gezogen sein, oder er vollzog eine steile Kehre und verlief in Serpentinen nach Südwesten durch das Trockental der Lana in Richtung Ebene.