Umgang mit Gewaltübergriffen in Behörden

Dissertationsprojekt

Petra Maurer (Dipl-Pädagogin, Doktorandin bei Prof. Dr. Christiane Hof)

E-Mail: petramaurer@stud.uni-frankfurt.de

Die Dissertation fokussiert Lernprozesse von Erwerbstätigen im Feld der personenbezogenen Dienstleistung, die aus einer Irritation von Handlungsroutinen entstehen und die innerhalb einer arbeitsbezogenen Situation mit Klient:innen bewältigt werden (vgl. Schäffter 1997, Dehnbostel 2010).
Mitarbeitende der hier ausgewählten öffentlichen Behörden, deren zentrale Aufgabe entweder als Sozialarbeiter:innen, persönliche Ansprechpartner oder Leistungssachbearbeiter die staatlich mandatierte personenbezogene Dienstleistung beinhaltet (vgl. Nittel 2004, S. 351),  sind in Ausübung ihres beruflichen Handelns sowohl verbaler als auch non-verbaler Gewaltübergriffe, die von Kunden und Klienten ausgehen, ausgesetzt.  Sie werden persönlich beschimpft, beleidigt, sind direkten Drohungen ausgesetzt oder werden schlimmstenfalls körperlich angegriffen. Diese Realität vermitteln die öffentlichen Medien ebenso wie die inzwischen verfügbaren Sicherheitskonzepte zum Schutz der Mitarbeiter:innen , die Veröffentlichungen der Gewerkschaften, Flyer der Polizeibehörden und darüber hinaus auch die unübersichtliche Vielzahl von betrieblichen Weiterbildungsangeboten zum Thema „Deeskalation von Konflikten“.  Institutionell geformte Reaktionen auf das Phänomen der Gewaltübergriffe am Arbeitsplatz führen bekanntermaßen nicht automatisch zum Handeln im Sinne der beabsichtigten Sicherheitskonzepte.  Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Praktiker:innen mit diesen Herausforderungen umgehen und auf welches Wissen sie zurückgreifen, oder welches Wissen durch das Handeln-müssen entsteht (vgl. Hof 2001, Göhlich, Zirfas 2007).

Während die institutionalisierte betriebliche Fort- und Weiterbildung sich an den Erfordernissen betrieblicher Qualifizierung orientiert und die Bedarfe an Trainings-, Qualifizierungs- und Berufsbildungsmaßnahmen ermittelt, wird in der empirischen Studie ein bildungszentrierter Zugang gewählt, der den Erwachsenen als „Subjekt seines Bildungsprozesses gegenüber und in Differenz zu den Institutionen der Erwachsenenbildung“ (vgl. Kade, Nittel, Seitter 1999, S. 70) begreift.

Auf der Grundlage von Gruppendiskussionen fragt die empirische Studie unter einer Aneignungsperspektive (vg. Kade, Nittel, Seitter 1999, S. 80) nach kollektiv geteiltem Wissen von Bedingungsfaktoren im beruflichen Alltagshandeln, aus denen für die handelnden Berufstätigen Bewährungssituationen durch verbale und non-verbale Gewalt im Klient:innenhandeln entstehen, in welchen sie nicht auf  Wissen zurückgreifen, das in formalen Bildungsabschlüssen zu erwerben ist. Insofern sind die Akteure situativ und individuell gefordert auf Handlungslogiken zurückzugreifen, die nicht zu den Kernaktivitäten ihres beruflichen Handelns gehören.  Vor diesem Hintergrund ist das Verhältnis von Wissensform und Handlungsbezug von zentralem Interesse (vgl. Hof 2000, S. 66).

Dabei soll rekonstruiert werden, welche Rolle das informelle Lernen und das individuelle Erfahrungslernen einnehmen, um so Anschlussmöglichkeiten der Konzepte beruflich-betrieblichen Lernens zu generieren (vgl. Dehnbostel, 2010, S. 41, Rehfeld 2012, S. 65). Unter einer differenzierten Analyseeinstellung zum Gegenstand Lernen und/oder alternativ  zu strategischem Handeln (vgl. Ludwig 2012, S. 89, Ludwig 2000, S. 33), kann die Studie außerdem einen Beitrag zur Lernforschung leisten. Für die institutionelle Perspektive wird es möglich sein mit den Forschungsdesideraten wichtige Anhaltspunkte zu schaffen, die einer pädagogisch fundierten Programmentwicklung zur Gewaltprävention im behördlichen Kontext eine noch weitgehend ausstehende wissenschaftliche Basis bietet.

In der  Dissertation werden forschungsleitende Fragestellungen verfolgt, die sich auf Anlässe und Handlungsstrategien im Umgang mit Gewaltübergriffen aus der Perspektive der Praktiker:innen beziehen.   Aus den Analysedaten sollen gezielte Professionalisierungsmaßnahmen abgeleitet werden.
Durch die Analyseeinstellung auf das informelle Lernen, Erfahrungslernen und auf das Arbeitsumfeld als Ermöglichungsraum für Lernen (vgl. Hof 2009, Arnold 2007, Ludwig 2012) wird durch die Studie ein Mehrwert an empirischer Belege bei „nicht selbst gewählten Umständen und Lernanforderungen“ (vgl. Ludwig 2001) hervorgehen können. Insbesondere der Modus des Können-Lernens (vgl. Göhlich, Zirfas 2007) kann hinsichtlich seiner Tragweite im praktischen Handeln weiter ausdifferenziert werden.

Literatur (Auswahl)

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