Geschichte von Reformation und Konfessionalisierung

Inhalt

Grundlegend für das Selbstverständnis der evangelischen Kirchen und ihre weitere Entwicklung ist der Rückbezug auf die Ursprungssituation im 16. Jahrhundert. Neben der konfessionellen Traditionsvergewisserung im Fokus der Frage nach den Charakteristica der lutherischen Reform im Vergleich zu anderen europäischen Reformationsformen widmet sich die Arbeit der Professur drei Themen

  • 1. Reformationstheorie
  • 2. Martin Luther – Werk und Wirkung
  • 3. Konfessionskulturen - Inszenierung und Artikulation von Differenz
  • 4. Theologiae Alumni Vitebergense (ThAV) 
  • 5. Herausgabe des Archiv für Reformationsgeschichte Literaturberichts

Martin Luther – Werk und Wirkung

Neben dem curriculären Schwerpunkt gehört die Luther- und Reformationsgeschichte zu den Forschungsbereichen, die schwerpunktmäßig am Fachbereich betrieben werden. Dazu gehören die Entwicklung des jungen Luther im Verhältnis zur Vielfalt spätmittelalterlicher Theologie und seine Rezeptionsgeschichte innerhalb der sich auf ihn berufenden lutherischen Kirchen und Verbände. Methodisch liegt der Schwerpunkt dabei auf rezeptions- und begriffsgeschichtlichen Untersuchungen.

Zuletzt erschienen:

  • La voie Lutherienne, in: Histoire comparée des Littératures de Langues Européennes: L’Epoche de la Renaissance. Volume III: Maturations et Mutations (1520-1560) sous la direction de Eva Kushner, Toronto : John Benjamins Publishing Company 2011, 43-66.
  • Die Sicht des Anderen“ – Luthers Verständnis des „Türken“ als „Zuchtrute Gottes“ und „Geißel der Endzeit“, in: Lutherjahrbuch 77, 107-127.
  • Theologische Innovation und Konservatives Beharren bei Martin Luther und Philipp Melanchthon, in: Luther und die Freiheit. Wormser Beiträge hrsg. von Werner Zager, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2010, 59-80.
  • Quo vadis Ecclesia? Theses for the Direction of the Lutheran Church into the Third Millenium, in: Holger Roggelin, Scott Gustavson, (ed.): Lutheanism. Legacy and Future. Essays in honor of Eric W. Gritsch, West Conshohocken PA, 302-322.
  • Allegoria nomen Zion speculam significat. Zion-Deutungen im Mittelalter und deren Rezeption im Werk Martin Luthers, in: Markus Witte (Hg.): Zion. Symbol des Lebens in Judentum und Christentum (Veröffentlichungen des Instituts für Judentum und Kirche), Leipzig 2013

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Konfessionskulturen - Inszenierung und Artikulation von Differenz

Unter Konfessionskultur wird der Bestand an persistenten oder zumindest längerfristig manifesten, gleichwohl nicht statisch fixierten, bekenntnismäßig geprägten religiösen Verhaltens- und Darstellungsformen, mithin die genuinen Konfessionspraktiken verstanden. Die bekenntnismäßige Prägung erfolgt freilich weit weniger aufgrund der Bindung an normative, um lehrmäßige Homogenität und Kontinuität bemühte Rückvergewisserung in die Ursprungssituation der konfessionellen Differenz in Form von Bekenntnisformulierungen, als vielmehr in der Weise einer als konfessionelle Differenzkriterien behaupteten nachträglichen Legitimation von Lebensweltlich verwurzelten Glaubens- und Frömmigkeitspraktiken, die dann als »lutherisch«, »calvinistisch« oder »römisch« klassifiziert werden. Semantische Untersuchungen zu umgangssprachlichen Wendungen lassen sehr klar erkennen, dass die behauptete Rückbindung an das konfessionelle Grunddokument – Augsburgische Konfession, Heidelberger Katechismus oder die Tridentinische Confessio Fidei bzw. deren populäre Verbreitung in Form von Katechismen, Lehrpredigten etc. – eben gerade nicht zur semiologischen Bedeutung beitragen. Auch wenn diese Zeugnisse in der Hauptsache in Texten bewahrt werden, ist der Kulturbegriff nicht auf diese Texte zu reduzieren: die alltagspraktische Performation konfessioneller Identität ist selbst als Text zu lesen und mit den Methoden der philologischen und historischen Disziplinen zu bearbeiten.
Methodisch ist sorgsam auf die Unterscheidung zwischen primärer Praxis und sekundärer Reflexion und Artikulation von Begründungszusammenhängen für diese Praxis zu unterscheiden. Historisch verifizierbar im engen Sinne sind nur Letztere, mithin sekundäre Quellen. Diesem Problem kann durch eine dichte, nachgerade empirische, in jedem Falle aber flächendeckende und komparatistische Erfassung von Alltagszeugnissen, vor allem in den von der historischen Forschung bisher historisch vernachlässigten Alltagsquellen und Gelegenheitsschrifttum begegnet werden.
Die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen – freilich auch die theologisch-dogmatischen – Rahmenbedingungen der »Konfessionskulturen« sind nicht beliebig und schränken den Ausbreitungs- und Akzeptanzrahmen spezifisch konfessionell konnotierter Kulturpraxis erheblich ein. Gleichwohl überschreiten die Muster der unterschiedlichen Konfessionskulturen durchaus den Rahmen der übergeordneten, konfessionell geprägten Funktionssysteme. Gerade auch weil die dogmatischen Inhalte seit der Mitte des 16. Jahrhunderts immer stärker differierten und der damit verbundene obrigkeitliche, elitäre Normierungsprozess für die meisten Mitglieder der konfessionell zur Homogenität gedrängten Gesellschaft völlig opak verläuft, werden innerhalb der konfessionskulturellen Diskurse Wege des Kompromisses und eines selbständigen, für die am kommunikativen Prozess Beteiligten allerdings luziden Identitätsbildungsverfahrens eingeschlagen. Der Akzent dieser Definition liegt sehr viel stärker auf dem Bestand, als den zu seiner Manifestation hinführenden Prozessen. Das Konzept der »Konfessionskultur« beschreibt also Phänomene, die sich in allen »Konfessionsgesellschaften« – freilich höchst unterschiedlich durch jeweilige politische, soziale, standes- und geschlechterspezifische, sprachliche und ethnische, regionale, territoriale und lokale Eigenarten – manifestierten. Im Unterschied zum Konfessionalisierungsparadigma wird deutlich betont, dass keine obrigkeitliche Lenkung der jeweiligen konfessionellen Kulturpraktiken vorliegt. Die Grenzen des Raumes einer »Konfessionskultur« können von daher durchaus konträr zu politischen Grenzen verlaufen.
Weiterhin richtet der mit dem Begriff der »Konfessionskultur« verbundene Forschungsansatz seinen Blick entscheidend auf die Binnenstrukturen und Orientierungsbedürfnisse der jeweils konfessionsspezifisch geprägten Gläubigen und ihren Gruppenbildungen. Zugleich kommt die innerkonfessionelle Pluralisierung und binnenkonfessionelle Differenzierung stärker in den Blick. Mit dem Terminus »Konfessionskultur« wird die Perspektive gerade auf das Undogmatische und Inhomogene, das Indifferente und Widersprüchliche gelenkt, wodurch folglich eher die kommunikativen Prozesse zur Normfindung als diejenigen zur Normdurchsetzung in den Blick genommen werden. Der Forschungsansatz der »Konfessionskultur« eignet sich durchaus dazu, nicht nur langfristige gesellschaftliche Prägungen zu erfassen, sondern auch Ausschnitte aus dem Kosmos gesellschaftlichen Lebens zu fokussieren.

Zuletzt erschienen:

  • Die Reformation als Ereignis im Wechsel der Epochen, in: Friedrich Schweitzer (Hg.): Kommunikation über Grenzen. Kongressband des XIII. Europäischen Kongresses für Theologie 21.-25. September 2008 in Wien, Gütersloh 2009, 514-532.
  • Bildungslandschaften zwischen Späthumanismus und Reformation. Evangelische Universitäten als Zentren der Entstehung einer akademischen Konfessionskultur, in: hrsg. von Irene Dingel und Ute Lotz-Heumann (SVRG ??), Gütersloh 2013.

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Der Beitrag der Predigt zur Ausbildung und Verstetigung konfessionskultureller Praktiken und Riten

 Einem breiten Strang der bisherigen Forschung zufolge, haben Predigten, insbesondere deren gesammelte Wiedergaben in Postillen, maßgeblich zur Gestaltung konfessionell geprägter Kulturen beigetragen. Freilich ist diese Arbeit bisher von der forschungsstrategischen Dominanz der Fragen nach der in der Predigt verkündigten Norm verdeckt worden. Das Problem einer Erfassung des alltagspraktischen Handeln der Christen in ihren jeweiligen Bindungen ist zu vermuten, jedoch nicht nachgewiesen. Vor diesem Hintergrund sollen im weiteren Verlauf der Untersuchungen frühneuzeitlicher Predigtbestände folgende Akzente gesetzt werden:

  1. Das Profil des evangelischen Predigers in der frühen Neuzeit ähnelt in weiten Teilen dem Typos des gelehrten Bürgers. Hier sind freilich weniger die Gemeinsamkeiten als die signifikanten Unterschiede zu benennen. Wo wird die Sakralität des amtlichen Handelns sichtbar? Inwieweit ist der Typos des professionellen Predigers seit dem Wegfall der Unterscheidung von Laien und Klerus säkularisiert? Welche Folgen hat das für die Predigtpraxis.
  2. Die theologische Profilierung der Predigten wird bisher anhand eines Referenzsystems von Lehraussagen vorgenommen. Zur Grundlage dient hierbei das Muster der altprotestantischen Orthodoxie und ihrer systematischen Erfassung der evangelischen Lehrnorm. Im Blick auf deren alltagspraktische Umsetzung ist allerdings sehr viel stärker auf konkrete Handlungsanweisungen und die Erörterung konkreter, sich im konfessionskulturellen Alltag ergebender Handlungshindernisse und Konflikte zu richten. Wo werden diese artikuliert? Wie kommen sie zur Sprache? Inwieweit handelt es sich um Konkretionen und nicht bloß stereotype Behauptungen konfessionskulturell inszenierter Polemik.
  3. Wodurch zeichnet sich die Semantik der konfessionellen Predigt aus? Es ist zu erwarten, dass die zentralen Topoi der evangelischen Lehre zur Sprache kommen. Allerdings dürften Begriffe wie Gnade, Rechtfertigung, Sünde etc. relativ unspezifisch verwendet werden. Der konfessionskulturelle Unterschied zu anderskonfessionellen Auslegungen wäre unter folgenden Gesichtspunkten zu präzisieren:
    1. Die Unterscheidung von normativ-belehrenden, adhortativ-moralischen, und seelsorgerlich-consolativen Passagen einer Predigt sowie deren Gewichtung.
    2. Die konkrete semantische Ausgestaltung des politisch wie gesellschaftlich verorteter Narrative zu „Freiheit“, landsmannschaftlicher oder ständischer Zugehörigkeit, horizontalen und vertikalen Mobilisierungstendenzen, sowie der sie begründenden dogmatischen Topoi wie Rechtfertigung, Gnade, und Erlösung.
    3. Die alltagspraktischen Konkretion auf den Feldern der „elementaren gesellschaftlichen Ordnungen“ (Rublack) und darüber hinaus.
    4. Kritik und Handlungsanweisungen bei konfessionskulturell begründeten Konflikten.
    5. Wie sieht die aktuelle Krisenbewältigung aus, die auf Phänomene jenseits der parochialen Grenzen hinweist?
  4. Im Blick auf die normative Begründung der konfessionellen Handlungsorientierung ist auf den Schriftgebrauch und die in ihm sich abzeichnende Exegese zu achten. Wird eine bloße ‚Belegstellenexegese‘ betrieben oder im Sinne der reformatorischen Behauptung von der Selbstauslegung der Schrift der intertextuelle Befund in der Spannung von Gesetz und Evangelium erhoben und konkret angewendet?
  5. Im Blick auf sozialethische Fragestellungen kann eine pauschale Übernahme der von den Reformatoren begründeten Loyalität gegenüber den Obrigkeiten vermutet werden. Dennoch wäre näherhin nach widerständigen und kritischen Passagen gegenüber dem obrigkeitlichen Handeln zu suchen. Zugleich wird damit eine konfessionskulturell zugespitzte Definition des Verständnisses von Politik sowie die zunehmende Ausdifferenzierung der auf diesem Feld tätigen gebildeten Eliten möglich. Vgl. dazu auch das Projekt „Religion und Politik in protestantischen Predigten des 16. und 17. Jahrhunderts im thüringisch-sächsischen Raum“ unter Leitung von Professorin Dr. Luise Schorn-Schütte (https://www.uni-erfurt.de/bibliothek/fb/forschen/projekte/alte-drucke/politische-predigten/)
  6. Das ‚missing link‘ der Verbindung von gepredigter Norm und alltagspraktischer Anwendung, die Quellen zur Predigtrezeption, stellen nach wie vor das größte Problem der Predigtforschung dar. Zunächst sind Quellenbestände zu identifizieren, die gesicherte Aussagen über die Annahme und Umsetzung von evangelischer Predigt dokumentieren. Eine methodisch saubere Interpretation von Kirchenvisitationsprotokollen als deskriptiven Quellen steht immer noch aus. Für einen soliden Eindruck der Wirkmächtigkeit von Predigten und gedruckten Predigtsammlungen bedarf es darüber hinaus einer sorgfältigen Analyse von weiterem Quellenmaterial: Korrespondenzen, Flugblättern, Selbstzeugnissen, Alltags- und Gelegenheitsschrifttum sowie personalschriftliche Überlieferungen und Kirchenbüchern. Viele dieser Quellenaussagen geben individuelle, höchst subjektive Eindrücke wieder und werden in ihrem Kontext zu interpretieren sein. Damit wird deren Generalisierung allerdings ungemein schwierig.
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Theologiae Alumni Vitebergense (ThAV) - Die graduierten Absolventen der Theologischen Fakultät und deren Beitrag zu Distribution und Diffusion der Wittenberger Theologie (1502–1648)

Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (www.dfg.de) bis Juli 2018

Die kursächsische Universität Wittenberg (Leucorea), ihre Professoren und Studenten waren bis weit in das 17. Jahrhundert hinein für die Durchsetzung der Reformation und der lutherischen Konfession nicht nur in zahlreichen Territorien und Städten des Heiligen Römischen Reiches, sondern auch in weiten Teilen der mittel-, nord- und ostmitteleuropäischen Länder prägend. Gewissermaßen als geistig-wissenschaftliche ‚Drehscheibe’ verfügte die Leucorea durchgängig über hohe Immatrikulationsfrequenzen und trug entscheidend zur Ausbildung politisch, gesellschaftlich und kulturell einflussreicher protestantischer Eliten innerhalb und außerhalb des Heiligen Römisches Reiches bei. Gleichwohl fehlen noch immer valide personengeschichtliche Grundlagen, um die in Wittenberg initiierten, europaweiten Prozesse von Wissensdistribution und -diffusion – die vielfach pauschal beschriebene „Weltwirkung der Reformation“ (Gerhard Ritter) – in ihren Quantitäten und Qualitäten konkret nachzeichnen und abbilden zu können. Mit dem Forschungsprojekt werden erstmals Bio-Bibliogramme für sämtliche an der Wittenberger Theologischen Fakultät graduierten Absolventen und – davon ausgehend – prosopographisch-kollektivbiographische Profile erstellt. Zudem wird – bezogen auf die praktische Tätigkeit ebendieser Absolventen als Kirchen- und Schulmänner – eine methodisch begründete Auswahl aus den nach dem Ende des Wittenberger Studiums entstandenen Werken auf konkrete Inhalte und Formen von Distributions- und Diffusionsprozessen einer spezifisch ‚wittenbergischen‘ Theologie in ihrer europaweiten Vermittlung analysiert.

 

Projektleiter: Prof. Dr. Markus Wriedt

Projektmitarbeiter: Daniel Bohnert

 

In Kooperation mit der Stiftung LeucoreaProf. Dr. Heiner Lück, Halle-Wittenberg , und Prof. Dr. Matthias Asche, derzeit Potsdam