Gesellschaftliche Aufarbeitung sexualisierter Gewalt gegen Kinder in der Familie

Gesellschaftstheoretische, erziehungswissenschaftliche und familienpolitische Erkenntnisse aus Anhörungen und schriftlichen Berichten

Laufzeit: 01.04.2019 – 31.07.2021

Wissenschaftliche Leitung:
Prof.‘in Dr. Sabine Andresen (s.andresen@em.uni-frankfurt.de )

Wissenschaftliche Mitarbeiterin:
Marie Demant (demant@em.uni-frankfurt.de )

Das Forschungsprojekt wird über Mittel der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs in Deutschland (UKASK) finanziert.

In Anhörungen und schriftlichen Berichten haben bisher 1.800 (Stand März 2021) erwachsene Betroffene mit der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs gesprochen oder Berichte eingesendet. Ein großer Teil dieser Betroffenen hat sexualisierte Gewalt in der Kindheit in der Familie und/oder familiären Umfeld erlebt. Für das Forschungsprojekt werden im Rahmen einer Fallstudie Anhörungen und Berichte zu diesem Kontext ausgewertet. Ziel ist es die Formen und Umstände sexualisierter Gewalt in Familien zu dokumentieren und herauszuarbeiten.

Die bisherige Auswertung zeigt deutlich, dass für Betroffene in Familien spezifische Schwierigkeiten bestanden, sexualisierte Gewalt (und andere Gewaltformen) zu benennen und sie als Kind und Erwachsene meist auf Unverständnis und Unglauben in ihrem Umfeld stießen. Eine zentrale Frage ist daher, wie betroffene Menschen als Aufwachsende die Situation in der Familie erlebten und welche Personen und Kontexte für sie relevant waren. Die Auswertung schließt dabei an Fragen gesellschaftlicher Verantwortung an. Obwohl der Fokus in den ersten öffentlichen Debatten in den 1980er Jahren auf sexueller Gewalt und sexuellem Missbrauch durch Väter und andere Verwandte lag, wurden in den letzten zwei Jahrzehnten vor allem über Aufarbeitung in pädagogischen Institutionen und kirchlichen Kontexten diskutiert und geforscht. Vor diesem Hintergrund geht es in diesem Projekt auch um die Aufgaben und Möglichkeiten gesellschaftlicher Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in Bezug auf den spezifischen Kontext der Familie. Im Rahmen einer Diskurswerkstatt werden Wissen und Erfahrungen zu dem Themenfeld ausgetauscht und diskutiert, was Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Familie bedeutet. Dabei bringen vier Personen ihre Betroffenenexpertise ein, davon zwei als Mitglieder des Betroffenenrats bei der Kommission. Die Diskurswerkstatt wird zudem durch die Expertise von zwei Personen aus Frankfurter Beratungsstellen ergänzt.

Ein weiterer Schwerpunkt des Projektes ist die Frage, ob Aufarbeitung Wissenschaft, Pädagogik und Gesellschaft erreicht. Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Familien als Orte dieser Gewaltform sind in der Erziehungswissenschaft bisher nur ein Randthema. Ausgehend von einem ersten Teilprojekt (2016-2019) geht es daher auch darum, wie Aufarbeitung und ihre Erkenntnisse in der (erziehungs-)wissenschaftlichen Diskussion verankert werden können. Dazu wurde im Rahmen des ersten Teilprojektes eine kritische Analyse der erziehungswissenschaftlichen Debatte um sexualisierte Gewalt gegen Kinder durchgeführt. Daneben wurden Beispiele und Themen der Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs im internationalen Kontext und ihrer wissenschaftlichen Begleitforschung untersucht. Hier ergaben sich erste Erkenntnisse über die Vernachlässigung des Themas sexualisierter Gewalt in Familien in aktuellen Debatten. Aus diesem ersten Teilprojekt sind Auswertungen von Anhörungen mit Betroffenen zum Kontext Familie in den Bilanzbericht der unabhängigen Aufarbeitungskommission eingeflossen.

Literatur und weiterführende Links:

Andresen, S., Demant, M. (2017): Worin liegt die Verantwortung der Erziehungswissenschaft? Ein Diskussionsbeitrag zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Erziehungswissenschaft. In: Erziehungswissenschaft 28 (2017) 54, S. 39-49 - URN: urn:nbn:de:0111-pedocs-148730 - DOI: 10.3224/ezw.v28i1.06. Online unter: https://www.pedocs.de/frontdoor.php?source_opus=14873

Demant M., Andresen S. (2020): Sexualisierte Gewalt gegen Kinder in der Familie. In: Ecarius J., Schierbaum A. (Hrsg.): Handbuch Familie. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19416-1_56-1

Betroffenenrat. Beratendes Gremium beim Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (2021): Tatort Familie. Impulspapier des Betroffenenrates zum Tatkontext Familie. Eine Aufforderung zu Aufarbeitung, Schutz und Hilfe an die gesamte Gesellschaft. Online unter: https://beauftragter-missbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Betroffenenrat/Aus_unserer_Sicht/BR_Impulspapier_Tatort_Familie.pdf

Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauch (2019): Geschichten die zählen. Bilanzbericht 2019. Band 1. Online unter: https://www.aufarbeitungskommission.de/mediathek/bilanzbericht-2019-band-1/

Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauch (2019): Meine Geschichte. Bilanzbericht 2019. Band 2. Online unter: https://www.aufarbeitungskommission.de/mediathek/bilanzbericht-2019-band-2/

Website der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs in Deutschland: https://www.aufarbeitungskommission.de/

Betroffenenrat beim Unabhängigen Beauftragen für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM): https://www.aufarbeitungskommission.de/

Website zu Aufarbeitungskommissionen weltweit (englischsprachig):https://www.lib.latrobe.edu.au/research/ageofinquiry/index.html